6. Bild aus dem Heimatspiel um die Landskron

„Tausend Jahre Aachen=Frankfurter Heerstraße“

VON WILHELM KNIPPLER

1546 auf der Heerstraße zwischen Leimersdorf und Bengen, nicht weit vom „Scheid“.

Ein Bauer sitzt auf einem Feldstein und wartet. Schaut aus! Ein Fuhrmann und ein Scholar kommen hinzu.

Fuhrm.: Wie weit ist es bis zum Schmied?

Bauer: Nach Eckendorf? Eine kleine Stunde! Ihr müßt Glück haben, wenn Ihr ihn antreffen wollt. Dort ist heute viel Volk beisammen. Auf dem Scheid ist ein großes Fest!

Scholar: (dem Fuhrmann die Hand schüttelnd) Vale et gratias! Vergelts Euch Gott!

(Geht ab.)

Fuhrm.: (holt Brot und Speck aus seiner Tasche und ißt.)

Bauer: Das war wohl ein gelehrter Herr?

Fuhrm.: Ein fahrender Scholar, hab ihn mitgenommen von Koblenz. Er kommt weit her, war in Bologna auf der hohen Schule. Zu sechsen kamen sie über die Alpen bis nach Basel. Da gingen sie an das Grab des Erasmus. Der soll ein guter Lehrer gewesen sein. Dann trennten sie sich. Drei zogen weiter nach Prag und nach Wien. Zwei blieben in Heidelberg und der letzte hier will auf die Schule der Dominkaner nach Köln.

Bauer: So jung und so allein weiter?

Fuhrm.: Keine Angst! Der schlägt sich durch! Der spricht mit den Bauern deutsch und bei den Italienern italienisch. Zu den Welschen redet er französisch und bei den Pastoren lateinisch.

Bauer: Kein Wunder, daß so ein Scholar später von der ganzen Welt erzählen kann. Der kommt noch weiter als der Postreiter, der vorhin hier vorbeiritt nach Breisig.

Fuhrm.: Der Windhund! — Die Postreiter haben’s gut, galoppieren mit der Post des Kaisers Tag und Nacht, wie richtige Meilenfresser! Heute noch in Brüssel, morgen in Aachen, übermorgen in Koblenz, am ändern Tag schon in Frankfurt! In neun Tagen von Brabant bis nach Tirol!

Die müssen sich nicht herumschlagen mit Achsenbrüchen und faulen Schmieden, mit Schnapphähnen und anderen Räuberbanden, mit entlaufenen Landsknechten, mit Zöllnern, Bettlern und Wegelagerern. Wegen dem lichtscheuen Gesindel kommt kein ehrlicher Fuhrmann weiter. Alle Dörfer haben sie hier weit von der Straße gebaut. Jedes zweite kleine Nest versteckt sich hinter dicken Mauern.

Bauer: Feste Mauern haben doch nur die Städte, dazu noch Gelsdorf, und das war auch einmal eine Stadt.

Fuhrm.: Du vergißt Meckenheim und Heimersheim und Bodendorf!

Bauer: Die wissen auch, weshalb Mauern notwendig sind. An der Heerstraße wohnen ist gefährlich!

Fuhrm.: Potz Frundsberger Drill! Kein Wirtshaus gibt es an der Straße von Bodendorf bis nach Eckendorf! Und wir Fuhrleute haben ewig Durst.

Bauer: Dann müßt Ihr Bier fahren oder Wein.

Fuhrm.: Haben wir aber nicht! Nur von den neumodischen Kolonialwaren aus Indien und aus Amerika. Das meiste davon bleibt in Aachen. Dann holen wir Brabanter Tuch aus Cent, daß wir rechtzeitig zur Frankfurter Messe kommen und nach Augsburg.“Drum muß ich weiter!

Bauer: Hoffentlich habt Ihr Glück! Lebt wohl! (Fuhrmann geht ab.) Unsereiner bleibt sein Leben lang daheim. Andere fahren ihr Leben lang über die Straßen durch die ganze Welt. Was wohl schöner sein mag?

Da! Endlich kommt der Thönis. — Nun, wie war die Huldigung auf dem Scheid? (Schöffe Thönis aus Heppingen grüßt den Bauer.)

Thönis: Wir mußten schwören vor dem neuen Herzog von Jülich bei Gott und den HeU ligen —

Bauer: An die er selbst nicht glaubt.

Thönis: Treue und Gehorsam —

Bauer: die er auch nicht kennt —

Thönis: und Erfüllung aller Untertanenpflichten vorbehaltlich unserer eigenen Gerechtsame.

Bauer: Das sind nicht mehr viele! Wer war denn auf dem Scheid?

Thönis: Alle vierzehn Gerichte der Grafschaft Neuenahr, alle Richter, die Schultheißen, Schöffen und Bürgermeister, die ganze Grafschaft war vertreten von Wadenheim bis nach Adendorf. Es wäre bestimmt ein schönes Fest geworden, wenn nicht die neue Lehre den regierenden Herren die Köpfe verdreht hätte.

Bauer: Aber das ist doch jetzt vorbei. Der Luther ist doch tot!

Thönis: Das hat nichts zu sagen. Seine Lehre lebt weiter.

Bauer: Vor zwanzig Jahren in Aachen, die Krönung, das war noch ein Fest! Da floß der Wein in Strömen. Der Ochse wurde am Spieß gebraten; in dem Ochsen steckte ein Kalb, darin eine Gans, darin eine Henne und darin ein Ei!

Thönis: Ein komisches Ei muß das gewesen sein.

Bauer: Das merkten wir vor drei Jahren.

Thönis: Als der Jülicher das Abendmahl unter beiden Gestalten nahm, bis die Kaiserlichen kamen. Vierzigtausend Mann aus Spanien, Italien und aus dem ganzen Reich sind durchgezogen auf dieser Straße gegen die Feste Jülich. Gerade Jülich war doch der Wächter vor der Krönungsstadt Aachen. Der Jülicher wurde besiegt und gelobte die Beibehaltung des alten Glaubens.

Bauer: Wäre er katholisch geblieben!

Thönis; Weshalb ihm einen Vorwurf machen, wenn selbst die Bischöfe schwanken? Denk an Hermann, den Erzbischof von Köln!

Bauer: Dafür wurde er exkommuniziert. Es ist keine Ordnung mehr in der Welt.

Thönis: Die Bauern erschlugen die Ritter, und die Ritter erschlugen die Bauern. Die Ketzer stürmten die Kirche, und die Kirche verbrannte die Ketzer. Pas ist Ordnung.

Bauer: Die Kirche und die Adeligen sind zu reich geworden. Die Hälfte des Bodens gehört ihnen. Aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel. — Könnten die Mißstände nicht abgeschafft werden ohne Gewalt und ohne Blut?

Thönis: Ihr redet wie ein Philosoph!

Bauer: Nein, nur wie ein einfacher Bauer! (Beide ab)