550 Jahre Ahrweiler St. Sebastianus-Schützengesellschaft
Von Ferdinand Gies
Aus dem Jubiläumsfestzug 1953
Foto: Segschneider
Im rheinischen Volksleben spielen seit dem Mittelalter die Schützengesellschaften eine große Rolle. Die Ahrweiler St. Sebastianusschützengesellschaft rühmt sich mit Recht, die älteste des Ahrtals und eine der ältesten des Rheinlandes zu sein. In der Fronleichnamswoche des Jahres 1953 feierte sie das Jubiläum ihres 550jährigen Bestehens. Ein historischer Festzug mit zehn Gruppen zeigte am Dreifaltigkeitssonntag anschauliche Bilder aus tausend Jahren Ahrweiler Geschichte. Am Schluß dieses Festzuges, der uns Winzer, Bürger, Ritter, Grafen, Herzöge, Mönche, Äbte und Bischöfe zeigte, sprach auf offenem Marktplatz von der Ehrentribüne aus zu einer vieltausendköpfigen Volksmenge Ministerpräsident Altmeier. Er sprach zu den Ahrweiler Schützen als den Repräsentanten aller Schützen des Landes und zeichnete in seiner begeisterten und begeisternden Rede die Heimatliebe, die Volksverbundenheit, die Vaterlandstreue und die Gottesfurcht eines echten Schützen. Trotz des Regens lauschten nicht nur die Schützen, sondern auch eine vieltausendköpfige Volksmenge ergriffen den Worten ihres Landesoberhauptes.
Genau so lauschten die Schützen und viele Gäste im Festzelt am Nachmittag des Fronleichnamstages dem Festredner des Tages, Herrn Ferdinand Gies, dem Chronisten und 84jährigen Altersjubilar der Gesellschaft. Er sagte:
Sehr verehrte Festversammlung!
Wenn eine Gesellschaft, eine Bruderschaft wie die unsrige, auf 550 Jahre Bestehen zurückblicken kann, so zwar, daß sie heute nicht nur noch von schönen Erinnerungen zehrt, nicht nur noch Spuren einstigen Glanzes aufzuweisen hat, sondern wenn diese Gesellschaft heute in mindestens gleich hoher Blüte steht wie in ihren besten Zeiten, wenn ihr auch heute noch die Bürger unserer Stadt aus allen Ständen als Mitglieder zuströmen, wenn sich auch heute noch geistliche und weltliche Würdenträger gerne in ihre Namensbücher eintragen, so müssen doch wohl die Fundamente, die Grundlagen dieser Gesellschaft tiefere, ihre Ziele und Zwecke höhere sein, als einige oberflächlich Urteilende annehmen, die im Auftreten der Schützen nach außen hin, also in glanzvollen Aufzügen in bunter Uniform, mit Waffen und unter klingendem Spiel, schon deren Ziele und Zwecke als erschöpft betrachten.
Es sei mir gestattet, die Frage nach den eigentlichen Prinzipien unserer Schützengesellschaft in gleicher Weise zu beantworten, wie schon einmal an dieser Stelle vor 23 Jahren, als ich die Ehre ‚hatte, Schützenkönig zu sein, und zu versuchen, aus der Begehung unseres vielhundertjährigen Brauchtums diese Prinzipien, diese Ziele und Zwecke herauszulesen.
Sehr verehrte Festversammlung! Vor etwa einem Menschenalter lebte und wirkte ein deutscher Bischof, Dr. Paul Wilhelm von Keppler, als Oberhirte der Diözese Rottenburg, der sich durch seine geistvollen Schriften einen Namen weit über die Grenzen seines engeren Wirkungskreises, ja unseres deutschen Vaterlandes hinaus, machte. Eines seiner vielgelesenen Bücher trägt den Titel: „Mehr Freude!“ In diesem Buche gibt der Verfasser einleitend seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß die Menschheit unserer Tage vielfach die Quellen reiner Freude verlassen habe und Freuden nachgehe, die wegen ihres bitteren Nachgeschmackes in Wirklichkeit keine sind. Und dann weist er auf die alten, unvergänglichen Freudenquellen hin, als da sind: die Natur, „die ewig junge“, so lenkt er den Blick auf echte Kunst und gute Literatur, so widmet er u. a. ein Kapitel dem Gesang, insbesondere dem deutschen Volkslied, und an die Spitze stellt er als die Bringerin edelster und dauernder Freude hin: die Religion. Sollte es abwegig sein, hier unser Fest einzuschalten als wahre Freudenquelle? Sicher kann es, in der rechten Weise aufgefaßt, eine solche sein. Auch hier ist der religiöse Teil desselben, die Verbundenheit mit der Kirche, obenan zu stellen. Ursprung und Anfang desselben rechtfertigen dies, da ja die Einführung der Fronleichnamsprozession mit der Entstehung der Schützenbruderschaften bekanntlich zeitlich zusammenfällt.
Auch heute noch beginnen wir unser Fest damit, Gott die Ehre zu geben durch Beiwohnung am feierlichen Hochamt mit anschließendem Umgang durch unser altehrwürdiges Gotteshaus, und wenn dann da draußen die Natur ihr Festgewand angelegt zu haben scheint, wenn die gefiederten Sänger in den Bäumen einstimmen in Gebet und Gesang der Andächtigen, in das Festgeläut der Glocken, wenn das Echo der Böller von den Bergen widerhallt, wenn dann die gläubige Menge in den Staub sinkt, dann fühlt sich das Menschenherz emporgehoben, daß es einstimmen muß in diese Sinfonie heiliger Freude, davon Grundton, davon Leitmotiv ist der Ausruf des Psalmisten: „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“
Mehr Freude soll uns unser Fest vermitteln auch am Vaterland. Ihm zu Ehren erdröhnte heute morgen zum ersten Male wieder nach fünfzehnjähriger Pause die erste Ehrensalve auf dem Marktplatz, ihm gehört das erste Gedenken, wenn wir uns hier versammelt haben zu „löblichem Tun“. Ist es nicht selbstverständlich, daß die Mitglieder einer Gesellschaft, die im Jahre 1637 ihrem damaligen Landesherrn, dem Kurfürsten Ferdinand von Köln, bei dessen Anwesenheit in unserer Heimat gehuldigt haben wie im Jahre 1833 dem damaligen preußischen Kronprinzen und späteren König Friedrich Wilhelm IV., die sich als loyale Staatsbürger unter dem Krummstab und der milden Herrschaft der Kölner Kurfürsten ebenso bekundet haben wie unter dem Zepter und dem straffen Regiment der preußischen Könige, sollen sie diese Gesinnung nicht auch der deutschen Bundesrepublik und unserem ihr zugehörigen Land gegenüber hegen, davon leitende Männer das deutsche Volk aus dem tiefsten Zusammenbruch seiner Geschichte, vom Abgrund des Verderbens zu erträglichen Zuständen, zu Wiederaufbau und Freiheit geführt haben? „Die Geschichte ist die beste Lehrmeisterin“, diese alte Wahrheit zitierte am vergangenen Sonntag in seiner Ansprache der Herr Ministerpräsident Altmeier. Und was lehren uns nun die letzten hinter uns liegenden Jahrzehnte? Was hat sich als dem Heil der Menschheit dienlicher erwiesen, die Lehre von dem Übermenschen, der, jenseits von Gut und Böse, über die Köpfe, und, falls es ihm erforderlich erscheint, über die Leichen seiner Mitmenschen, und seien es Millionen, hinwegschreitet zum Alleinherrscher, zum Diktatoren, mit Gewalt und Brutalität alles vernichtet, was sich ihm entgegengestellt, und dann in seinem Sturz nichts hinterläßt als Tod und Verderben, Trümmer, Gefangenschaft, Vertreibung aus der Heimat, von der Scholle, kurz, alle menschlichen Leiden unvorstellbaren Ausmaßes; im anderen Falle nichts hinterläßt als Unfreiheit, Verelendung, Vermassung, Versklavung, Bevormundung der Nachbarvölker und darum ständige Furcht der freien Völker vor dem gleichen Schicksal — oder hat sich nicht doch die alte christliche Lehre als heilbringender erwiesen, die da bezüglich des Verhaltens gegenüber den Mitmenschen und damit auch der Völker zueinander den Grundsatz aufgestellt hat: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Und wenn wir nun auch einem größeren Vaterlande zustreben, das Europa heißt, in dem die freien Völker brüderlich nebeneinander wohnen, gemeinsam Frieden, Wohlfahrt und Fortschritt fördern sollen, so wird uns doch stets jenes Land am nächsten stehen, das uns geboren, in dessen Erde unsere Väter ruhen, dessen Menschen uns durch Abstammung, in Sprache, Sitten und Gebräuchen gleich oder verwandt sind. Mögen wir daher in einem baldigst wiedervereinten Vaterland mit stets mehr und mehr Berechtigung die Worte singen können, die wir eben gesungen: „Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand, blüh‘ im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland!“
Mehr Freude, auch an der Heimat! „Ich weiß ein liebes Tälchen“, so beginnt ein Lied aus unserem Schützengesangbuche. Das Flüßchen, das dieses Tal durcheilt und das die ehemaligen Bewohner, die Kelten, einst Are genannt — was soviel bedeutet wie unruhiges Wasser, Wildwasser —, gibt dem Tal sowohl wie auch der Heimatstadt den Namen. Und in der Tat, in manch wilden, tollen Sprüngen und zwischen wilden, schroffen Felsen hindurch, in mancherlei Bogen und Schleifen und auf Umwegen muß sich dieses Flüßchen seinen Weg durch das Tal und nach dem Rhein suchen, aber auch grüne Fluren durchschneidet es und saftige Wiesen, an blühenden Dörfern, an der altertümlichen Kreis- und Weinstadt, an der eleganten Badestadt fließt es vorbei. Dort, wo die heilenden Quellen und etwas weiter abwärts das erfrischende Tafelwasser dem Vulkanboden entspringen, und selbst wenn die unruhige Ahr nun den letzten Abschnitt in ihrem Lauf, die fruchtbare Ebene der Goldenen Meile mit weiteren Mineralquellen erreicht hat, mäßigt sie noch kaum ihre Eile, bis dann am Ostrande dieser Landschaft Vater Rhein seine ungestüme Tochter in die Arme nimmt. In den Hängen des Tales aber und auf den Höhen gedeiht ein Feuerwein. Der fleißige Winzer ringt hier in Sonnenbrand und Winterkälte dem Felsboden den feurigen Tropfen ab. Vorerst aber müssen fachkundige Küfer sich des schäumenden Mostes annehmen, müssen seinen jugendlichen, von der Sommersonne gestachelten Übermut eindämmen, sein Kochen, Gären und Brodeln überwachen, womit er sein Gefängnis sprengen möchte, müssen ihn dann weiterhin pflegen und klären, wenn er unter kühlen Kellergewölben ein beschauliches Dasein verträumt, bis er dann endlich werden kann den Kranken ein Labsal, den Gesunden ein Freudenbringer; was wäre unser Fest ohne ihn!
Aus dem Jubiläumsfestzug 1953
Foto: Segschneider
Denn alljährlich zur Fronleichnamszeit, da wird es in dem alten Städtchen lebendig. 550 Jahre nun schon sehen seine altersgrauen Mauern, sehen seine trutzigen Tortürme die Schützen unter ihnen herziehen zum lustigen Königsschießen „auf dem Green“. Wie da nach anfänglichem Geplänkel und schließlich ernstlichem Kampf gegen Abend der neue Schützenkönig von den Umstehenden auf die Schultern gehoben und dem versammelten Volke gezeigt wird, wie ihn dann alle umringen, beglückwünschen und leben lassen, wie er dann bei Beginn der Dämmerung, begleitet von „Rittern, Klerus und Volk“, wie alte Chroniken melden, und unter Glockengeläute und dem Jubel der Bürger Einzug hält in das Städtchen. Sie sähen dann, die grauen Mauern, „op oses Hären Dag“, wie die frommen Vorfahren Fronleichnam nannten, die Schützen durch die waldesduftenden und mit Blumen bestreuten Straßen hinziehen zu ihren vier Stadttoren und die vier Altäre umschließen, um dem allerhöchsten König den schuldigen Tribut zu zollen. Und dann sitzen sie im Schatten des Kleinods ihres Städtchens, der herrlichen St. Laurentius-Kirche, Bürger aller Stände, vereint unter einem Dache, um einen Tisch, bei der Gabe ihrer heimatlichen Berge und manches, was im Jahre hindurch vorgekommen, ist vergessen. Freundschaften werden geschlossen, alte erneuert, alles freut sich. „Aber stets“, so sagt der rheinische Dichter Gottfried Kinkel in seinem Buche von der Ahr, „bleibt die Freude rein, wenn sich auch die Festlichkeiten bis in die Nacht hinein hinziehen“, was wir für selbstverständlich halten, denn Männer, die sich nicht beherrschen, können keine Schützen sein. Es ist mehr die Freude, die Schiller in seinem „Lied an die Freude“ gemeint hat, wenn er sagt: „Alle Menschen werden Brüder“ und „Seid umschlungen, Millionen, Freunde, über’m Sternenzelt, muß ein guter Vater wohnen!“ Diese Hymne an die Freude, die einer der größten Meister der Tonkunst, Ludwig van Beethoven, im letzten Satz seiner neunten Sinfonie in Töne gekleidet hat mit einem Werk, das neben und mit seiner „Missa solemnis“, mit Goethes „Faust“, mit Michelangelos Wunderkuppel auf dem St. Petersdom, seinen klassischen Bildwerken, seinen Plastiken, seinen Monumentalgemälden in der Sixtina Höhepunkte darstellen menschlichen Könnens, menschlichen Geistes, und darum auch für den Miterlebenden Höhepunkte der Freude, Freude an Meisterwerken, die unvergänglich bleiben, solange es eine Kultur gibt.
Zurückkehrend zu unserem Heimatfest: Ist nicht selbst der vielfach belächelte, ja manchmal geschmähte festliche Umzug, auch „Trinkzug“ genannt, der gemäß alter Überlieferung eine Vorstellung der neuen Schützenkönige den geistlichen und weltlichen Behörden sowie der Bürgerschaft gegenüber darstellt, bietet er nicht ein unvergleichliches Bild der Eintracht und Harmonie unter den Bewohnern unseres Städtchens, ist er nicht ein Maßstab für die Sympathien, die man den beiden Königen mit den Schützengesellschaften entgegenbringt, gibt er uns Schützen nicht willkommene Gelegenheit, mit manchem lieben Mitbürger und seinen Angehörigen einmal ein paar freundliche Worte zu wechseln, wenn sie uns an der Schwelle ihres Hauses mit dem Besten bewirten, was ihr Keller birgt? Fürwahr, die Heimat und wir Schützen, wir gehören zusammen, unser Brauchtum ist auf dem Boden der Heimat gewachsen, es ist ein Stück von ihr.
Drei Schützenkönige
Foto: Segschneider
Männer, deren Namen in der Heimat und darüber hinaus einen guten Klang hatten, haben uns dieses Fest als Erbe hinterlassen,und wie es nun in den ältesten Zeiten der Gesellschaft die Blankart’s waren, die auf fast allen Blättern des ersten Namensbuches zu finden sind, dann die Kolff oder Kolve, die Orsbeck und Ennenberg, in späteren Jahrhunderten die Rösgens, Heerestorf, Bossard, Markenheuer, Armbrustmecher; wie im letztvergangenen Jahrhundert von 1802 bis 1903 die Königsschilder nicht weniger als neunmal den Namen Kreutzberg (oder Kreuzberg) aufweisen, darunter ein Georg Kreuzberg, der mit der Entdeckung der Bad Neuenahrer Quellen und des Appollinaris-Brunnens die wirtschaftliche Lage der ganzen Ahrgegend fördernd beeinflußte, ebenso wie ein Geheimrat Dr. von Ehrenwall, den man den „getreuen Eckart“ unserer Gesellschaft genannt hat, in gleicher Weise die Lage unserer Heimatstadt; wie unser letzter Schützenkönig Eugen Kreutzberg-Renschhausen am vergangenen Sonntag beim historischen Festzug ebenso die Königsschilder trug, wie aus dem gleichen Anlaß vor 50 Jahren dessen Vater; wie unser Jubelfest-Schützenkönig, Rechtsanwalt K. von Groote, schon durch seinen Familiennamen und die demselben verbundene Tradition diesem Feste einen besonderen Glanz verleiht, wie unser Hauptmann Toni Jarre nun schon 26 Jahre unsere Gesellschaft erfolgreich führt und die Hauptlast und Verantwortung für das Gelingen des Festes getragen hat, so wird es auch in Zukunft, dessen bin ich sicher, immer wieder Männer geben, die das Erbe der Väter erwerben, um es zu besitzen, damit es weiter unseren Prinzipien dienen kann, zu wecken und zu pflegen den religiösen Sinn, den Heimat- und Vaterlandssinn, den Gemeinsinn und sozialen Sinn, damit es uns und der Nachwelt weiterhin vermittle: „Mehr Freude!“
Wir geben unserer Freude Ausdruck, indem wir die Trägerin unseres Festes, unser 550jähriges Geburtstagskind, leben lassen: Ich bitte, mit mir einzustimmen:
Unsere St. Sebastianus—Bürgerschützengesellschaft lebe hoch!