Margaretha Schucht: Geächtet – verhaftet – des Landes verwiesen

Es gibt menschliche Schicksale, die uns auch 200 Jahre später noch erschaudern lassen. Ein solches Schicksal erlitt eine junge Mutter

Dr. Peter Neu

Im Januar 1781 stand Margaretha Schucht vor dem Gericht auf der Arenburg. Auf dem Arm trug sie ein etwa 10 Monate altes Kleinkind. Richter war der Arenberger Landschultheiß Lersch, als Schöffen standen ihm zur Seite die beiden Arenberger Bürger Nikolaus Krings und Peter Joseph Nelles. Corporal Schnichels führte Margaretha aus dem Gefängnis in den Saal und erklärte, dass die Beschuldigte nach Aussagen der Dorseler Gerichtsschöffen „mit dem Schmeltzer auf der Stahlhütten lange Zeith verdächtigen Umgang gehabt, endlich ein Kind zur Welt gebracht und auf mehrmalige bedrohliche Erinnerung das Land nicht räumen wollen“.

Die Gerichtsverhandlung

Daraufhin begann die Verhandlung, die keines weiteren Kommentars bedarf:1)

Aremberg 9. Jan. 1781

Richter (R): Wie sich nenne? Margaretha (M): Margaretha Schucht. R: Wie alt seye?

M: 27 biß 28 Jahr.

R: Wo geburtig?

M: Zu Miesem aufm Meyenfeld2).

R: Was glaubens?

M: Katholisch.

R: Wie sich ihre Eltern genennt?

M: Der Vater Peter Schucht, die Mutter Kathrin.

R: Wie sich ihre Eltern ernähret?

M: Der Vater seye im Sommer mit den Flotzen3) gefahren. Im Winter aber habe er Schwebel Spähn4) gemacht.

R: Ob die Eltern noch im Leben?

M: Nein, seyen schon lange tot und zu Miesem verstorben und begraben.

R: Womit Inquisitin sich ernähre?

M: Sie suchte ein Stück Brot, im Sommer ginge sie ins Flachsland5) werken.

R: Wie lange sie schon in hiesigem Land aufgehalten?

M: 5 bis 6 Jahr.

R: Wo sich die mehrste Zeit aufgehalten?

M: In Trierischen, Cölnischen und hiesigen Landen.

R: Mit was für Gesellschaft sich aufgehalten?

M: Mit keiner.

R: Ob geheurathet oder geheurathet gewesen?

M: Nein, seye weder geheurathet noch geheurathet gewesen.

R: Von wem sie das bey sich habende Kind habe?

M: Von dem Hans Peter Wagner, Unterschmeltzer auf der Stahlhütten.

R: Wohe der Schmeltzer hingehöret?

M: Nach Dichtelbach auf dem Hundsrück6), nunmehr nach Rheinböllen verheurathet.

R: Wie alt das Kind seye.

M: Im 10. Monath.

R: Ob der Schmeltzer verheurathet gewesen, als er sie beschwängert?

M: Nein, selbiger seye erst zeithero entwichene Ostern verheurathet.

R: Man sagt, sie habe einen Abstand vom Schmeltzer erhalten, wie viel es seye?

M: Einen Reichsthaler 54 Blafferten7), habe aber ihr 30 Reichsthaler geben sollen, wie sich mit selbten vor dem Scheffen Marx verglichen.

R: Sie seye mehrmalen auß Dorsel auf Veranstaltung des Pastoren8) durch den Send außge…(wiesen?) Warum keine Folge geleistet?

M: Wollte dasselbten gefolget, so mögte nicht in ihr Unglück gekommen seyn.

R: Ob der Schmeltzer geheurathet gewesen, als sie mit demselben vor dem Scheffen Marx den Accord von Abstand9) deren 30 Reichsthaler gemacht?

M: Ja, damahlen seye derselb verheurathet gewesen.

R: Ob sich niemahlen bey Vagabunden, Gamsler (?) und Diebsbanden sich aufgehalten?

M: Nein, würde ihro auch kein Mensch solches nachsagen.

Damit war die Befragung abgeschlossen.

Ein hartes Urteil

Das Gericht fällte sofort folgendes Urteil: Gleichwie Inquisitin nicht denunzieret worden, daß Jemandem etwas entfremdet noch auch daß sich verdächtigen Schelmen und Diebsbanden jemahlen zugesellet, also ist Gericht des rechtlichen Dafürhaltens, daß in Ansehung des bey sich habenden annoch die Muttermilch geniesenden Kindts mit der nachdrucklichen Verwarnung aus dem Landt zu führen und zu weisen seye, daß, wofern sie Inquisitin sich kunfftig nochmahlen in hiesig Landen unter einigerley Vorwand antreten laßen würde, selbige Poenal Sentionsmäßig allenfalls auch dem Befinden nach an Leib und Leben bestraft werden solle.

Landschreiber J. Ridder fertigte das Protokoll aus, das Gericht setzte noch die Gerichtskosten fest. Sie beliefen sich auf 5 Reichstaler, 57 Albus und 4 Heller. Davon standen dem Richter 2 Taler, dem Gerichtsschreiber 1 ½ Taler und den beiden Schöffen je ½ Taler zu. Die Gerichtssitzung war geschlossen.

Damit war Margaretha Schucht mit ihrem Kleinkind des Landes verwiesen. Man konnte sie keines Vergehens beschuldigen, sie hatte weder gestohlen noch war sie Landstreicherin. Sie war mittellos. Ihre geringe Habe konnte nicht ausreichen, die Gerichtskosten zu bezahlen. Sie musste unmittelbar nach dem Urteilsspruch mit ihrem Kleinkind mitten im Winter – vermutlich in spärlicher Bekleidung das Arenberger Land verlassen. Wohin sie ging, ist unbekannt. Ob sie irgendwo in der Welt eine barmherzige Seele aufnahm, ob sie auf den verschneiten Wegen mit ihrem Kind liegen blieb und erfror oder ob sie am nächsten Fluss den Tod suchte? Niemand hat es aufgeschrieben.

Margaretha hatte nach ihrer Niederkunft noch einige Zeit in Dorsel ausgeharrt, weil sie nach einem Schiedsspruch des Schöffen Marx vom Vater ihres Kindes 10 Reichstaler erhalten sollte. Aber der Mann machte sich davon, einen einzigen Taler gab er seiner ehemaligen Geliebten, sie blieb im Elend zurück. Vor allem Pfarrer Werner Heinrich Kisselstein in Dorsel drängte darauf, die junge Frau aus dem Ort zu entfernen. Sie wurde aufgefordert, den Ort zu verlassen, aber sie harrte aus, weil sie immer noch hoffte, Geld vom Vater ihres Kindes zu erhalten. Mittellos – von allen verlassen – ging sie, ihr Kleinkind auf dem Arm, – vermutlich verbittert und weinend – in die Welt hinaus. Ein Zurück ins Arenberger Land war ihr verbaut. Sollte sie wiederkommen, musste sie mit „Leibesstrafe“ rechnen.

Wie sich nenne? – Margaretha Schucht. – Wie alt seye? – 27 biß 28 Jahr. – Wo geburtig? – Zu Miesem aufm Meyenfeld. – Was glaubens? – Katholisch. – Wie sich ihre Eltern genennt? – Der Vater Peter Schucht, die Mutter Kathrin.

Darstellung der Ruinen der Arenburg von etwa 1820. Bild eines unbekannten Künstlers. Das Gemälde befand sich zuletzt im Kapuzinerkloster Enghien und wurde bei der Auflösung des Klosters an einen unbekannten Ort gebracht.

Ihr trauriges Schicksal zeigt, wie unbarmherzig die Welt vor 200 Jahren mit Menschen umging, die sich nicht in die strenge Ordnung einfügten, vor allem dann, wenn sie von Beginn an außerhalb der Gesellschaft standen. Die Volkszählung im Arenberger Land von 1781/82 erwähnt Margaretha Schucht nicht. In den Zählungslisten heißt es: „Ausländische Hüttenarbeiter, Domestiquen und Tagelöhner …. in obige Köpf nit inbegriffen.“ Margaretha galt nicht als Arenbergerin, sie war „Domestique“ (Magd) oder Tagelöhnerin.

Der Weg in eine ungewisse Zukunft

  1. Um 1790 taucht auf der Abentheuerhütte bei Birkenfeld ein Stahlarbeiter Johannes Wagner auf, vermutlich der Vater des Kindes. Wagner war damals verheiratet mit Maria Barbara Weber.
  2. Margaretha selbst ging offenbar nicht ins Birkenfelder Land zu ihrem ehemaligen Geliebten, sie wird in Abentheuer nicht im Familienbuch erwähnt.
  3. Margaretha ging nicht zurück nach Miesenheim, ihrem Geburtsort. Im Familienbuch Miesenheim wird sie nicht genannt. Ihr Vater Peter Schucht ist in Miesenheim bezeugt.
  4. Die Taufe des unehelichen Kleinkindes Schucht wird nicht in den Kirchenbüchern von Antweiler, Dorsel, Üxheim und Aremberg erwähnt. Geburts- und Taufort sind bisher unbekannt. Unbekannt bleibt damit auch, ob es ein Junge oder ein Mädchen war.
  5. Uneheliche Geburten waren im Herzogtum Arenberg um 1780 keine Seltenheit. Sie wurden in der Regel mit einer Geldbuße belegt.
    Beispiel10): Oktober 1782 im Ort Aremberg: „Angezeigt Doctor Eysenhuts dochter ein unehelich Kind gebohren, Herrenstraf 1 Goldgulden und 2 Pfund Wachs für die Kirch.“ In Lommersdorf im Jahre 1783: „Veronica Lersch ist zum Fall gekommen und wird dieswegen mit 2 Pfd. Wachs für die Kirch und 2 Goldgulden bestraft.“ Das Beispiel der Margaretha Schucht zeigt, dass mit zweierlei Maß gemessen wurde.
  6. Der Schöffe Sebastian Marx aus Dorsel, der sich vor 1781 bemüht hatte, der jungen Mutter zu einer finanziellen Unterstützung zu verhelfen, starb 1788 in Dorsel.
  7. Den Familiennamen Schucht gibt es auch heute noch im Raum Andernach-Koblenz.
  8. Eine Nachricht über das weitere Schicksal Margarethas nach 1781 ist bisher nicht aufgetaucht. Nachforschungen der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde e.V. brachten 2020 kein Ergebnis (Freundliche Unterstützung durch Herrn K.-H. Bernardy). Auch das Stadtmuseum Andernach (Herr K. Seebert) konnte keine weitere Spur ermitteln.

Anmerkungen:

  1. Arenberger Archiv, Enghien, Akte D 3981.
  2. Miesem = Miesenheim bei Andernach.
  3. Flößer.
  4. Offenbar Kleinholz zum Feueranzünden.
  5. Flachsland = Gegend bei Erkelenz im Jülicher Land.
  6. Die Ortsgemeinde Dichtelbach liegt in der Verbandsgemeinde Simmern- Rheinböllen. Sie hat heute etwa 750 Einwohner.
  7. Gemeint ist zweifellos: Je Reichstaler zu 54 Blaffert. Blaffert war eine Münze, die im Jülicher Raum im 17. Jahrhundert gängig war, vermutlich gleichbedeutend mit „Albus“.
  8. Pastor in Dorsel war 1773 – 1789 Werner Bernhard Kisselstein.
  9. Abstand = Abfindung.
  10. Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 19 A, Akt 73, fol. 18 und 30v.