Eine Kirche taucht unter – und wieder auf!

Die Evangelische Kirchengemeinde Bad Neuenahr ist zuversichtlich, zukünftigen Generationen eine würdige Kirche weiterzugeben

Thomas Rheindorf

Die Evangelische Kirchengemeinde Bad Neuenahr war stolz auf die tolle Lage ihrer Hauptkirche direkt an der Ahr. 2017 feierte sie hier das Lutherjahr mit einem rauschenden Volksfest. Vier Jahre später rauschte der Fluss in den Kirchenbau. Das Undenkbare wurde wahr. Jetzt muss das 150 Jahre alte Gotteshaus zukunftsfest gemacht werden.

Die Martin-Luther- Kirche vor der Flut: An der Stirnseite hinter dem Altarbereich zeigt ein Mosaik des Künstlers Eugen Keller den Gekreuzigten.

Die Chorprobe im Gemeindehaus war die letzte Veranstaltung der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Neuenahr vor dem Hochwasser, das das Ahrtal vom 14. auf den 15. Juli 2021 heimsuchte. Während der Zusammenkunft drangen erste besorgniserregende Nachrichten über soziale Medien und Chatgruppen zu den Sängerinnen und Sängern. Nach frühzeitiger Beendigung der Probe gingen besorgte Gemeindeglieder noch den kurzen Weg zur unmittelbar am Fluss liegenden Martin-Luther-Kirche. Die Ahr führte, zu diesem Zeitpunkt bereits angeschwollen zum reißenden Strom, schon viel Treibgut mit, was auf die Verwüstungen an den oberen Flussabschnitten hindeutete. Was in der Nacht mit den Gebäuden der Kirchengemeinde geschehen würde, entzog sich aber der Vorstellungskraft der letzten Augenzeugen an dem zu diesem Zeitpunkt am späteren Mittwochabend noch unversehrten Kirchbau.

Totalschaden in wenigen Stunden

Am 15. Juli 2021 war die Kirchengemeinde schwerst getroffen. In die Martin-Luther-Kirche drang das Wasser über einen Meter ein. Sakristei, Kellerräume mit WC, Heizungsanlage und Materialraum wurden geflutet. Das gesamte Kirchengestühl, ein Konzertflügel, eine Truhenorgel sowie die Ausstattung mit Büchern und Textilen gingen verloren.

Das Gemeindeamt wurde verwüstet, die gesamte Verwaltungsinfrastruktur mit Computern, Druckern und Server ging verloren. Das in Kellerräumen gelegene Archiv ging ebenso unter wie der Kopierraum mit Materialien für Taufen, Trauungen, Beerdigungen und Geburtstage samt Bibeln.

Im Gemeindehaus, das vor einigen Jahren für über eine Million Euro umgestaltet worden war, stand das komplette Untergeschoss mit Werkstatt, Jugendräumen, Materiallager, Heizung, und Umluftanlage in Wasser und Schlamm. Auch die sechsgruppige Kindertagesstätte der Gemeinde ging vollständig verloren.

Ein emotional besonders herber Verlust war der von „:Kerit“, der gemeindlichen Sozialeinrichtung, einem niederschwelligen Ort für Beratung und Kontakte. Auch hier war die komplette Anlage mit Wohnzimmer, Küche, Versammlungsraum und Büro betroffen. Ein erst im Juni begonnenes Projekt, bei dem gesammelte Kleider- und Sachspenden in einem Ladenlokal in der Innenstadt zu kleinen Preisen verkauft wurden, versank mit dem gesamten Warenbestand und der neuen Ladeneinrichtung.

Unbeschädigt bleib die kleine Filialkirche im Stadtteil Ahrweiler, die sich zum geistlichen Zentrum und Begegnungsort der Gemeinde entwickelte. Trotz der gravierenden Schäden wurde unmittelbar an allen betroffenen Orten mit Räum- und Wiederherstellungsmaßnahmen begonnen. Dabei zeigte sich, dass die Standfestigkeit der Kirche nicht beeinträchtigt war, massive Schäden an der Grundplatte und den Wänden aber eine völlige Entkernung bis zu einer Höhe von etwa zwei Metern unumgänglich machten. Damit war die Idee, 2022 das geplante 150-jährige Jubiläum der Einweihung mit einem großen Fest zu feiern, vom Tisch.

Große Schäden: Das Kircheninnere am 30. Juli 2021

Eine Kirche mit Geschichte und Zukunft

Am 14. August 1872 wurde die Martin-Luther-Kirche im damals noch nicht mit der Kreisstadt Ahrweiler zusammengelegten Bad Neuenahr eingeweiht. Die Errichtung der Kirche ging auf das Erblühen des an Thermalquellen reichen Kurorts zurück. Die solventen Gäste aus protestantischen Gebieten sollten ihren heimischen Gewohnheiten entsprechend in einer Kirche Gottesdienst feiern können, nicht in umfunktionierten Sälen.

Es entstand ein neugotischer Zentralbau in Form des griechischen Kreuzes mit angehängtem Chor aus regionalem Bruchstein. Der Bau wurde an prominenter Stelle in einer Achse mit einer den Kurbereich erschließenden Brücke angelegt. Die Kirche überstand die Weltkriege ohne Schäden, wurde aber 1958 gänzlich überformt. Vom ursprünglichen Bau sind der östliche Glockenturm, die (aufgestockte) Wand mit Hauptportal und Fensterrosette sowie zwei Seitenfenster erhalten. Das Kirchenschiff wurde neu errichtet und um ein Seitenschiff mit Empore ergänzt. Stilistisch wurden die neuen Bauteile durch Bruchsteinverblendungen an die alte Kirche angeglichen. Das Holzgewölbe wurde durch eine flache Betondecke ersetzt. An der Stirnseite, hinter dem Altarbereich zeigt ein Mosaik des Künstlers Eugen Keller aus Höhr-Grenzhausen den Gekreuzigten.

Mit dem Verlust der Inneneinrichtung der Martin-Luther-Kirche ist der Wunsch nach einer zweiten durchgreifenden Neufassung geweckt worden. Die Blütezeit des Kur- und Bäderwesens scheint vorüber, die Anforderungen an den Kirchenbau haben sich gewandelt. Der Koblenzer Architekt Michael Arnold hat Pläne vorgelegt, die die Raumwirkung beruhigen und konzentrieren. Zudem hat Dipl.-Ing. Lutz Baumann, ein Experte für Kirchenheizungen aus Chemnitz, ein zeitgemäßes, ökologisch vertretbares Wärmekonzept für das Gebäude geplant.

Das 150-jährige Bestehen ihrer Hauptkirche hatte die Gemeinde mit einem großen Fest zu begehen begehrt. Es war eine Entscheidung der Vernunft und der Pietät, darauf in diesem Jahr zu verzichten. Freudig ist die Verbundenheit zahlreicher evangelischer Gemeinden im In- und Ausland vor Ort aufgenommen worden. Mit viel Kreativität wurden Spenden eingeworben: Ob Sonderkollekten, Waffelbacken, Benefizkonzerte oder Basare – es gab viel Hilfe und Solidarität.

Am 14. August 1872 wurde die Martin-Luther- Kirche im damals noch nicht mit der Kreisstadt Ahrweiler zusammengelegten Bad Neuenahr eingeweiht.

Dass ein Jahr nach dem Hochwasser an der Kirche keine Baufortschritte zu erkennen sind, ist außerhalb der Region erklärungsbedürftig. Es sind jene Hemmnisse, die an vielen Stellen den Aufbau verzögern: nicht abschließend geklärte Finanzierungs- und Zuschussfragen, Hürden bei der Genehmigung, Konsensbildung über das Konzept. Dennoch ist die Evangelische Kirchengemeinde Bad Neuenahr zuversichtlich, künftigen Generationen in nicht allzu ferner Zukunft eine würdige und in ihrer Raumsprache überzeugende Kirche übergeben zu können.

Thomas Rheindorf ist Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Neuenahr