Der Hochwasser-Nachrichtendienst für das Ahrtal 1894

Ein in Vergessenheit geratener Katastrophenschutzdienst für die Ahr

Steffen Schütze M.A.

Seit dem Mittelalter sind immer wieder Hochwässer der Ahr in Quellen verzeichnet. Das bisher vor 2021 extremste Hochwasser war wahrscheinlich 1804. Nach den Hochwässern 1888 und 1890 gab der Oberpräsident der Rheinprovinz am 11. Februar 1891 die Anweisung, einen Hochwassernachrichtendienst für die Ahr einzurichten.

Es erfolgten danach verschiedene Abstimmungen zwischen dem Regierungsbaumeister Künzel vom Meliorationsbauamt Remagen, der Oberpostdirektion, dem Landratsamt Adenau und den Bürgermeistern und Ortsvorstehern mit dem Ahrweiler Landrat Heising. Grundsätzlich musste geklärt werden, wo Pegel angebracht werden müssen und welche Wasserstände der Pegel im Kreis Adenau zu Überschwemmungen im unteren Ahrtal nach Erfahrungswerten führen werden. Zudem sollten die Nachrichten auch in der Nacht verbreitet werden können, so dass bei den Postämtern und Postagenturen sogenannte „Lärmapparate” errichtet werden mussten.

Anfang 1892 wurde bereits ein vorläufiger Hochwassermeldedienst eingerichtet. Pegel wurden in Müsch und Dümpelfeld angebracht bzw. ältere genutzt und es ergab sich nach Erfahrungswerten, dass ab einem Pegel von 2 Metern in Müsch Hochwasserwarnungen zu verbreiten sind. Beobachter für den Pegel in Müsch wurde der dortige Lehrer. Die Erfahrungen zeigten, dass ein Pegel von über 2 Meter in Müsch mitunter verschiedene Pegelhöhen im unteren Ahrtal nach sich zogen. Dies lag vor allem auch an den unterschiedlichen Wasserzuflüssen der unterhalb in die Ahr einfließenden Bäche. Der Richtwert von 2 Metern in Müsch blieb dennoch das Standardmaß.

Am 20. Oktober 1892 berichtete Landrat Heising an den Regierungspräsidenten, dass vor allem die Orte Altenahr, Altenburg, Dernau, Hemmessen, Kreuzberg, Laach, Mayschoß, Reimerzhoven und Walporzheim sowie auch Neuenahr durch Hochwasser gefährdet sind.

Ausgangsort Müsch

Am 15. Januar 1894 verordnete der Koblenzer Regierungspräsident von Itzenplitz einen Hochwassermeldedienst für das Ahrtal. Ausgangsort der zu verbreitenden Nachrichten war Müsch. Der an der Brücke unterhalb der Einmündung des Trierbaches 1887 angebrachte Pegel wurde an die Orte per Telegrafen weitergegeben.

Gemeldet wurden der Pegel in Zentimeter und die Uhrzeit der Messung. Ab einen Pegel über 2 Meter und darauf folgend bei weiterem Steigen um 20 Zentimeter wurden Telegramme abgesandt. Diese konnten je nach Lage auch mit Worten wie „steigt sehr schnell” oder „Wolkenbruch” verschärft werden.

Die Telegramme gingen an den Landrat in Ahrweiler, an die Bürgermeister von Ahrweiler, Altenahr, Neuenahr und Sinzig sowie an die Ortsvorsteher von Bodendorf, Dernau, Heimersheim, Kripp, Mayschoß und Walporzheim. Die ursprünglich in der abgebildeten Meldekarte vorgesehenen Nachrichten an Orte im Kreis Adenau erfolgten ab 1893 nicht mehr. Die Bürgermeister und Ortsvorsteher der gefährderten Orte im Kreis Ahrweiler hatten unmittelbar nach Empfang die Meldungen durch Anschlag bzw. Ausruf öffentlich bekanntzugeben. Falls vorhanden, war den Bahnhofsvorstehern Meldung zu machen. Die Ortsvorsteher und Bürgermeister hatten zudem ab 2,20 Meter und wiederholt ab einem Steigen von weiteren 40 Zentimetern Boten in die einzelnen Ortsteile zu entsenden.

Die Übersichtskarte des vorläufigen Hochwasser-Nachrichtenganges im Ahrtal von 1891

Nur 16 Jahre später musste sich dieser Meldedienst ernsthaft bewähren. Am 13. Juni 1910 um 4 Uhr morgens erhielt der Neuenahrer Bürgermeister Faulhaber das erste Telegramm aus Antweiler mit den Worten „Schwerer Wolkenbruch, starkes Hochwasser zu erwarten”. Er alarmierte darauf hin Heimersheim und Lohrsdorf sowie die ahrnahen Bewohner von Neuenahr. Das zweite Telegramm erhielt er 7:30 Uhr. Die Hauptwelle erreichte Neuenahr am 13. Juni gegen 10:30 Uhr (vgl. Bestand 01, Nr. 297 auch bei den nachfolgenden Berichten). Um 3:45 Uhr erhielt das Bürgermeisteramt Altenahr die Meldung „Hochwasser kommt, die Ahr steigt sehr stark“. Der Bürgermeister-Sekretär warnte die Bewohner von Altenburg. Die Orte Kreuzberg und Reimerzhoven konnte er schon wegen des schnell steigenden Wassers nicht mehr erreichen. Diese waren aber durch das starke Rauschen der Ahr bereits gewarnt. Der Ortsvorsteher von Mayschoß erhielt 3:40 Uhr die Nachricht vom Hochwasser. Er ließ die Nachricht ausschellen, aber viele Bewohner nahmen die Warnungen nicht ernst. Während in Rech keine Meldung ankam, wurde der Ortsvorsteher von Dernau um 4:30 Uhr informiert.

Pioniere nach Altenahr in Marsch gesetzt

Landrat Heising erhielt die erste Nachricht vom Hochwasser um 7 Uhr in Remagen. Nach der Alarmierung der Feuerwehr leitete er die Sicherung der Brücken an der Bunten Kuh. Zwischenzeitlich wurden vom Landratsamt Meldungen entgegengenommen und weitergereicht. Nach Hilfeersuchen von Altenahr wurden bereits am 13. Juni um 3 Uhr Pioniere aus Meckenheim nach Altenahr in Marsch gesetzt, die dort um 6 Uhr abends eintrafen.

Am 15. Juni 1910 forderte der Regierungspräsident einen Bericht darüber, ob an dem Hochwassermeldedienst etwas zu ändern sei, da er „anscheinend … nicht zufriedenstellend funktioniert” habe (vgl. Bestand 1, Nr. 297, S. 39). Trotz der Meldestrecke hatte es immerhin 53 Todesopfer gegeben. Viele italienische und deutsche Bahnarbeiter wurden in ihren Unterkünften in der Nacht schon in den Orten des damaligene Kreises Adenau, vor allem in Fuchshofen, Schuld und Wershofen überrascht.

Obwohl die Orte Ahrweiler, Bodendorf und Kripp keine Telegramme erhalten hatten und Peter Josef Dahr aus Neuenahr sich wegen fehlender Warnungen und entsprechenden Vermögensverlusten bis an höchster Stelle beschwert hatte, konstatiert Landrat Heising in seinem Bericht über den Hochwassermeldedienst an den Regierungspräsidenten am 23. Juni 1910, dass dieser überwiegend funktioniert hätte und Änderungswünsche von ihm nicht erhoben werden (vgl. Bestand 01, Nr. 297, S. 34ff, S. 47 und 94 – 96).

Der Pegel in Müsch überstieg am 14. Juli 2021 um 14:30 Uhr die 2-Meter-Marke (214 cm) Die weiteren Zahlen beziehen sich ebenso auf den Pegel Müsch am 14. Juli 2021. Wenn auch die Pegelstände nicht so vergleichbar sind, da sich Flussläufe ändern (vgl. Roggenkamp/Herget, vgl. Heidrich Sebastian), hätten um 14:45 Uhr (232 cm) über hundert Jahre zuvor die Boten die Ortsteile warnen müssen. Die weiteren Meldungen per Boten wären um 15:45 Uhr (268 cm), 17 Uhr (309 cm), 18 Uhr (347 cm) und 18:45 Uhr (384 cm) erfolgt.

Quellen:

  • Kreisarchiv Ahrweiler, Bestand 01, Nr. 295 und 297 und Nr. 10025
  • Henrichs Yvonne, Landesamt für Umwelt RLP, Email vom 13. Mai 2022 Es handelt sich bei den Pegeldaten von Müsch von 13:15 Uhr MESZ bis zum Abbruch der Aufzeichnungen um die gemessenen Daten der redundanten Messsysteme.
  • Heidrich Sebastian, Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord, Email vom 4. Juli 2022: Der Pegel Müsch ist über NN 292,712 m angebracht und entspricht trotz zeitweiliger Zerstörung 1944 und 1945 den Höhen, des 1887 angebrachten Pegels Lattenpegels.
  • Leonhard Janta/Helmut Poppelreuter, „. . . Das Elend übersteigt jeden Begriff . . .“ im Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler (HJB) 2010, S. 188ff
  • Thomas Roggenkamp/Jürgen Herget, Historische Hochwasser der Ahr, in HJB 2015, S. 150ff
  • Dr. Karl August Seel, Die Ahr und ihre Hochwässer . . ., in HJB 1983, S. 91ff
  • Christian Ulrich, Hochwasserkatastrophe . . ., in HJB 1938, S. 92-106