Flutkatastrophe an der Ahr

Land steht in Solidarität zusammen

Thomas Linnertz

Am 14. Juli 2021 brach eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes über den Landkreis Ahrweiler und weite Teile des nördlichen Rheinland-Pfalz  und Nordrhein-Westfalen herein. In Rheinland-Pfalz verloren 135 Menschen ihr Leben, 134 davon im Ahrtal. Zwei Personen werden immer noch vermisst (Stand 27. Juli 2022). Unzählige Menschen haben in der Nacht Angehörige und Freunde verloren und vermissen diese schmerzlich. Innerhalb von wenigen Stunden wurden durch die Sturzfluten Leben und Existenzen zerstört. Unzählige Menschen und Einsatzkräfte haben in dieser Nacht bis zur Erschöpfung und darüber hinaus gegen die Fluten gekämpft, haben ihr Lebens aufs Spiel gesetzt, um andere Menschen zu retten. Viele in dem Wissen, dass auch sie – ganz persönlich – betroffen waren. Trotzdem gaben sie ihr Bestes, um zu helfen. Eine Feuerwehrfrau an der Ahr hat dabei ihr Leben verloren. Viele leiden bis heute darunter, dass sie nicht noch mehr haben tun können.

Diese Flut stellt eine Zäsur dar. Einen tiefen Einschnitt in das Leben der Menschen, in dem vieles nicht mehr so ist wie vor der Flut. In unserer Sensibilität für Wetter- und Naturereignisse, die wir in dieser Heftigkeit nicht kannten. In der Erkenntnis, wie verletzlich unsere Infrastruktur bei einem solchen Ereignis ist.

Die enormen Verwüstungen in weiten Teilen des Ahrtals wurden erst nach und nach wirklich fassbar. Auf einer Länge von rund 40 Kilometer beidseits der Ahr wurden rund 8.000 Haushalte schwer getroffen, bis hin zur völligen Zerstörung ihrer Häuser. Ebenso war in weiten Teilen die Infrastruktur völlig zusammengebrochen. Kein Strom, keine Kommunikation, kein Trinkwasser, die Abwasserversorgung zerstört, Straßen und Brücken, Bahngleise zerstört, die Gasversorgung unterbrochen. Ortslagen waren von der Außenwelt abgeschnitten. Die medizinische Regelversorgung war nicht mehr gewährleistet, ebenso der Grundschutz für Brandschutz und Allgemeine Hilfe.

Konzentriertes Arbeiten im Lagezentrum der Technischen Einsatzleitung, Katastrophenschutzstab des Landes Hochwasser Ahr

Rheinland-Pfalz erlebte an diesem Tage eine Katastrophe, die alles überstieg, was die Rheinland-Pfälzer jemals erlebt haben. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Ahrtals schauten fassungslos und vom Erlebten traumatisiert auf ihre Heimat. Deutschland und die Welt blickten schockiert auf unfassbares Leid und unendliche Zerstörung. Wir alle, vor allem die Betroffenen, werden diese Nacht nicht mehr vergessen.

Zum ersten Mal seit Bestehen des Landes Rheinland-Pfalz übernahm das Land auf Bitten eines Landrates die Einsatzleitung. Das Ausmaß der Katastrophe sowie oftmals die persönliche Betroffenheit der Kräfte vor Ort, machte diese Entscheidung notwendig. Es sollte ein ziviler Einsatz werden, der von seinem Umfang und seiner Dauer alles übersteigen sollte, was bis dahin vorstellbar war.

Einsatzkräfte und Hilfsorganisationen

Die Menschen brauchten und erwarteten dringend Hilfe. In den ersten Stunden und Tagen bestanden die vordringlichsten Aufgaben in der Rettung von Menschen sowie in der medizinischen Versorgung der Bewohner. Ebenso mussten zeitgleich die Schaffung von Notunterkünften zur Unterbringung von ob- dachlosen Betroffenen, die Notversorgung mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln sowie mit Hygiene-Einrichtungen organisiert werden. Zudem mussten unermessliche Mengen von Schutt und Trümmern aus Straßen und Häusern beseitigt werden. Hinzu kamen die Sicherstellung der psychosozialen Notfallversorgung und die Versorgung der Einsatzkräfte.

Die Aufgaben, die zu erledigen waren, waren enorm und mussten sofort angegangen werden, da die Hilfe unmittelbar und dringend gebraucht wurde. Schnell wurde klar, dass der Einsatz länger dauern würde und nur mit großem dauerhaften Personaleinsatz in seiner Intensität und seinen Herausforderungen bewältigt werden konnte. Dies war allein mit Landeskräften nicht zu leisten. Es mussten Einsatzkräfte aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengezogen werden. Wir waren auf die Hilfe der Bundeswehr und des Technischen Hilfswerks, der Hilfsorganisationen und der Feuerwehren und Katastrophenschutzkräfte, der Polizeien des Bundes und der Länder aus ganz Deutschland angewiesen. Dazu kamen Kolleginnen und Kollegen aus vielen Landesbehörden, die die Arbeit vor Ort unterstützt haben und teilweise für Monate geblieben sind.

Und dann konnte man bei allem Leid in diesen Tagen im Sommer 2021 eine Solidarität aus dem In- und Ausland erleben, die viele nicht für möglich gehalten hatten. Die Solidarität in der Bevölkerung, aber auch in Land und Bund war überwältigend und in dieser Dimension einzigartig.

Die Technische Einsatzleitung, die aus bis zu 300 Personen in den unterschiedlichsten Stabs- bereichen bestand, wurde durch Einsatzkräfte aus beinahe allen Bundesländern unterstützt. Alle brachten ihre Arbeitskraft und ihr Fachwissen ein, um Hand in Hand gemeinsam daran zu arbeiten, die Lage im Katastrophengebiet zu bewältigen. Alle Organisationen unterstützen mit Verbindungsleuten und ermöglichten es so, dass in den ersten Wochen täglich rund 5.000 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Hilfsorganisationen, Psychosozialer Notfallversorgung, Bundeswehr, Technischem Hilfswerk sowie der Polizei im Tal helfen konnten. Alle Hilfsorganisationen und Kirchen waren vor Ort zur Versorgung und Unterstützung der Bevölkerung.

In kürzester Zeit konnten so zügig vier Trinkwasseraufbereitungsanlagen aufgebaut und betrieben werden, die die Menschen mit bis zu zwei Millionen Liter Trinkwasser täglich versorgen konnten. Daneben wurde die Belieferung mit Brauchwasser organisiert. Eine Notversorgung mit Nahrungsmitteln wurde ebenso aufgebaut, wie in den Städten und Gemeinden Hygiene-Einrichtungen. Notunterkünfte wurden geschaffen und die medizinische Versorgung durch mobile Arztpraxen organisiert. Daneben mussten mit schwerem Gerät durch Bundeswehr und Technischem Hilfswerk die Verklausungen an Brücken und Engstellen im Flussbett beseitigt, Behelfsstraßen und Zuwegungen gebaut, Behelfsbrücken errichtet und zahlreiche Gefahrenquellen beseitigt oder gesichert werden.

Ebenso wurden in diesen Wochen die Voraussetzungen geschaffen, damit die Kinder und Jugendlichen nach den Sommerferien wieder zur Schule gehen konnten. Da zahlreiche Schulgebäude im Ahrtal beschädigt oder völ lig zerstört wurden, mussten in diesen sechs Wochen Alternativen erarbeitet und umgesetzt werden. Es war eine Freude, als zum Schulstart allen Schülerinnen und Schülern ein Schulplatz zur Verfügung stand.

Der Hauptgeschäftsführer Handwerkskammer Koblenz Ralf Hellrich (v.l.), ADD- Präsident Thomas Linnertz und Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Flutgebiet

Eine weitere Herausforderung war die Müllbeseitigung, die zügig durch den Abfallwirtschaftsbetrieb Kreis Ahrweiler mit Unterstützung der Einsatzleitung organisiert und durchgeführt werden musste. Bereits nach wenigen Tagen konnten Tonnen von Müll, Schutt und Unrat aus dem Tal geschafft werden, um so zum einen die Wege und Straßen wieder frei zu bekommen und zum anderen einer möglicherweise drohenden Seuchengefahr entgegen zu wirken. Alle diese Aufgaben, neben vielen anderen, konnten nur durch den Einsatz vieler engagierter Einsatzkräfte und tausenden von Helferinnen und Helfer gestemmt werden. In den ersten sechs Wochen waren über 20.000 Einsatzkräfte aus dem gesamten Bundesgebiet und teilweise darüber hinaus im Einsatz. Die weitaus größte Zahl davon im Ehrenamt, viele davon über Wochen und Monate.

Freiwillige Helferinnen und Helfer, Landwirte und Lohn- und Bauunternehmer

Aufgrund des Ausmaßes der Katastrophe war aber auch die Hilfe aus der Bevölkerung besonders wichtig. Ohne Unterstützung durch hunderttausende Freiwillige, dazu durch Landwirte, Lohn- und Bauunternehmer wären die gesamten Aufräumarbeiten nicht so schnell vorangeschritten.

Die Unterstützung durch viele freiwillig Helfende war schier unglaublich. Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet trafen im Ahrtal ein und halfen, wo Hilfe nötig war. Zunächst wurde die Hilfe über die sozialen Netzwerke von den Menschen selbst organisiert. Diese schnelle Vernetzung ermöglichte eine Selbstmobilisierung hilfsbereiter Personen, die allerdings auch Parallelstrukturen neben den etablierten Hilfskräften entstehen ließen.

Schnell zeigte sich, dass es hier geordneter Strukturen und Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bedurfte, die die Koordinierung ehrenamtlicher und freiwilliger Helfer übernehmen und entsprechend den Erfordernissen einsetzen können. Zu diesem Zweck wurden Vereinbarungen mit privaten Initiativen getroffen, die in diesem Bereich bereits tätig waren und die Koordinierung der Freiwilligen übernehmen konnten. Insgesamt haben sich nach der Flutkatastrophe viele kleine und große private Initiativen entwickelt, die freiwillige Hilfen geleistet haben. Diese waren für die von der Flut betroffenen Bürgerinnen und Bürger von unschätzbarem Wert.

Die Einsatzleitung unterstützte die Helferinnen und Helfer durch die Versorgung mit Verpflegung, Kraftstoffen, Schutzausrüstung und Unterkünften. So stellte das Land den Helfenden, die einen mehrtägigen Arbeitseinsatz planten, eine vormalige Notunterkunft als Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung.

Der Verwaltungsstab, als Teil des Einsatzstabes, unterstützte die verschiedenen Initiativen finanziell, administrativ und logistisch. Auch die zunächst unentgeltlich helfenden Landwirte sowie Lohn- und Bauunternehmer wurden nach und nach beauftragt und ihre Leistung entsprechend vergütet.

Diese Solidarität, Unterstützung und Hilfe, die in diesen Wochen im Ahrtal von Einsatzkräften und Freiwilligen gezeigt wurde, hat maßgeblich dazu beigetragen, den Schock den diese Katastrophe verursacht hat, zu mildern.

Wiederaufbau

Auch mehr als ein Jahr nach der verheerenden Flutkatastrophe sind die Narben, die die Ahr in die Orte und Landstriche geschlagen hat, noch deutlich zu erkennen. Genauso deutlich sieht man jedoch in allen Orten auch den Willen und den Mut der Menschen zum Wiederaufbau. Bereits kurz nach der Flut war das vorherrschende Ziel der Bürgerinnen und Bürger, ihr Heim und ihre Heimat wiederaufzubauen. Wie groß das Interesse daran ist, haben auch die zahlreichen Bürgerinformationen gezeigt, in denen die Behörden erläuterten wie und wo an der Ahr (wiederauf-)gebaut werden kann. In diesen Veranstaltungen wurde diskutiert, unterschiedliche Meinungen und Wünsche trafen auf neue Bestimmungen, aber gerade dieser kontroverse Meinungsaustausch trug dazu bei, dass sich viele in den Planungen wiederfinden können. Es ist aber auch immer noch schwer für viele, die einen Berg von Arbeit vor sich sehen, diese Aufgabe zu stemmen. Was in Jahrzehnten aufgebaut wurde und entstanden ist, wurde in einem grausamen Augenblick zerstört und es braucht viel Kraft, Mut, Zeit und auch Geld, das alles wiederaufzubauen und neu zu errichten.

Kommunaler Wiederaufbau

Neben dem privaten Wiederaufbau sind auch der kommunale Wiederaufbau und auch der Wiederaufbau der grundlegenden Infrastruktur von immenser Bedeutung für die Region. Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Sporthallen und -plätze, Bürger- und Feuerwehrhäuser müssen ebenso wiederaufgebaut werden wie Kanäle und Kläranlagen. Straßen, Schienen und Brücken sind neu zu planen und zu errichten. All diese Dinge, die in Deutschland zu der normalen Daseinsfürsorge und gewohnten Infrastruktur gehören und als selbstverständlich angesehen werden, müssen in weiten Teilen wieder neu gebaut werden.

Zudem ist diese Infrastruktur die notwendige Voraussetzung, um den Tourismus, der an der Ahr eine große Rolle spielt, wieder zu beleben, die Ahrregion wieder zu einem Tourismusmagneten zu machen.

Dabei soll der vom Land eingerichtete Kommunale Wiederaufbaustab maßgeblich helfen. Hier werden die Förderverfahren der kommunalen Projekte geprüft und bewilligt. Die Kommunen stehen im engen Austausch mit dem Kommunalen Wiederaufbaustab, um die Projekte auf den Weg zu bringen. Insgesamt wurden die Vergabe- und Förderverfahren verschlankt und beschleunigt, um die kommunalen Bauprojekte zügig realisieren zu können.

Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass man gemeinsam enormes erreichen kann. Deshalb bündeln wir alle unsere Kräfte, um zusammen am Aufbau des Ahrtals zu arbeiten. Auch hier zeigen sich der Bund und alle Länder solidarisch mit den von der Flut getroffenen Regionen. Die finanziellen Lasten werden auf viele Schultern verteilt. Alleine wäre die Bewältigung der Folgen nicht zu stemmen.

Seit dieser Nacht des 14. Juli 2021 lässt diese Katastrophe niemanden los, der in den Flutregionen war. Seien es die Menschen, die geholfen haben, seien es die Einsatzkräfte der unterschiedlichen Organisationen, seien es Handwerksbetriebe und Unternehmen oder die Kolleginnen und Kollegen aus den Verwaltungen. Wir alle werden weiter nach Kräften unterstützen.

Thomas Linnertz ist Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) und war Leiter des Katastrophenschutzstabes des Landes Hochwasser Ahr.