Die Wallfahrt nach St. Jost

Nach einer wahren Begebenheit erzählt von Leo Stausberg

Frömmigkeit und Frohsinn haben im rheinischen Gemüt nebeneinander Raum. Jene Kapelle zu Ehrental am Rhein, bei der, unter einem Dach mit ihr, die Schenke steht, ist durchaus ein Symbol für diese Tatsache. So ist es auch erklärlich und miteinander vereinbar, daß einst drei Brüder in einem Ahrstädtchen in seliger Laune, die ihnen eine ausgiebige Probe mit jungem Wein an einem lauen Herbstsonnabend bescherte, den löblichen Entschluß faßten, am anderen Morgen eine Wallfahrt nach St. Jost im lieblichen Tale der Nitz zu unternehmen. Jeder von ihnen hatte dabei ein heimliches Anliegen, das er dem hl. Jodokus vorzubringen gedachte: Hein, der Älteste der drei, ging auf Freiersfüßen, mochte aber seiner Auserwählten, des blonden Threschens, noch nicht so ganz sicher sein. Köbes sollte ins Schulmeisterexamen steigen und hoffte, durch himmlischen Beistand die Tücken einer solchen Prozedur besser meistern zu können. Und in Hannes, dem Jüngsten, war gar der Entschluß fast zur Reife gediehen, der Welt Valet zu sagen und in einen Büßerorden einzutreten. Dabei war gerade er keineswegs ein Kopfhänger.

Der kühle Wind, der m der Frühe des folgenden Tages durch das Ahrtal hin zur Goldenen Meile strich, löste bald den leichten Druck, den noch jeder der drei Zecher im Schädel empfand, und herzhaft betend stieg das Trio durch das Maibachtal gen Ramersbach hinan. Der herkömmliche Vers: „Heiliger Jodokus, zu dir kommen wir, deiner Hilfe begehren wir“, der, in die Aves des Psalters geflochten, kräftig in den schon lichten Sonntagmorgen drang, scheuchte einen verspäteten Rehbock aus der taunassen Wiese, durch die sich der muntere Maibach ahrwärts schlängelte.

Noch rechtzeitig gesellten sich die drei Pilger zu den Betern, die in der dämmerigen Dorfkirche zu R. der Frühmesse beiwohnten. Wohllautend und frisch mischten sich ihre Stimmen in den Gesang der Gemeinde: „O Gott! Wir armen Sünder erscheinen reuig hier“, so daß sie unverhohlene Blicke von Angehörigen der „Weihwasserkesselkompanie“ auf sich zogen, welche die fremden Eindringlinge mit bäuerlichem Mißtrauen betrachteten. Nach dem Gottesdienst durchschritten sie, diesmal von den neugierigen Augen der Dorfschönen nicht ohne Wohlwollen begleitet, die holperige Straße und ließen die sonntäglich stille Dorfmark bald hinter sich. Außer einigen Blasweiler Hütejungen, die rehbraune Kühe auf die Morgenweide trieben, begegnete ihnen im friedlichen Heckenbacher Ländchen keine Menschenseele.

Gegen Mittag hatten die Wallfahrer ein Dorf erreicht, in welchem sie Rast zu machen gedachten. Das Dorfwirtshaus, über dessen Schornstein sich der Rauch des mittäglichen Herdfeuers kräuselte, schien ihnen ein Mahl zu versprechen. Nun war es in den achtziger Jahren des 19. Säkulums selten, daß Fremde am Tag des Herrn eine Eifeler Dorfschenke aufsuchten und ein Mittagessen begehrten. Die Wirtin schaute daher auch einigermaßen erstaunt auf, als die drei Gesellen die mit weißem Sand bestreute Gaststube betraten und ihr Begehren vorbrachten. Just war sie dabei, ihrem jüngsten Sproß, einem drallen Bübchen von zwei Jahren, mit einem mächtigen Schwamm das Hinterteil zu reinigen, wobei der kleine Schreihals bäuchlings und nackend auf ihrem Schöße lag, über den sie, sehr praktisch, eine Schürze aus dauerhaftem Kalbsleder gebreitet hielt.

Ohne sich zunächst in ihrer mütterlichen Verrichtung stören zu lassen, meinte sie zögernd, heute sei sie nicht auf Gäste gerichtet und habe nur gekochte „Grom-biere“ anzubieten. „Hatt Ihr Eier do?“ fragte Hein. „Jo, dat wähl!“ — „Jood! Dann mäht oos jett mit Eier!“ — „Och Schloot?“ meinte Köbes. „Dat och!“ — „Na, das wäre ja ein gutes Mittagessen: Eier, Salat und Kartoffeln“, rechnete Hannes zufrieden zusammen. „Bie wollt Uehr die Eier, jedöppt off jedirbelt?“ — „No“, begehrte belustigt der Freier, „jedirbelt!“, denn diese Bezeichnung klang kraftvoll und drollig. „Ich krieen se jedöppt!“ bestimmte der angehende Schulmeister.

Hannes war derweil über den Hof zu dem stillen Ort gegangen, der hierzulande seine Bestimmung sinnig durch ein Herz in der Tür andeutet. Daher wurde er nicht Zeuge der folgenden Szene. Ohne Umschweife hob die Wirtin ihren Sprößling, dessen Kehrseite mittlerweile rosig glänzte, in die Wiege, schlenkerte mit energischem Schwung der derben Hände die Reste von Nässe aus der Schürze, griff in einen Eierkorb, schlug etliche Eier an der Tischkante auf, ließ den Inhalt in den Schurz fließen, der eben noch einer weniger appetitlichen Bestimmung gedient hatte, und wirbelte und dirbelte mit der flachen Hand das Weiß und Gelb zu einem zünftigen Rührei durcheinander. Das goß sie ebenso behende in eine schwärzliche Pfanne über glasig brutzelnde und zischende Speckwürfel. Danach ließ sie ein halbes Dutzend ganze Eier in einen Topf kochenden Wassers gleiten. „Dat sinn die jedöppte“, dachte augenzwinkernd der Köbes und weidete sich schadenfroh an dem Gesicht seines älteren Bruders, der entsetzt und enttäuscht auf den duftenden Eierschmeer in der Pfanne starrte.

Als Hannes vom Hofe zurückkam, verlief er sich in der Diele, wo die Bäuerin inzwischen den Salat zurechtmachte. Was er da sah, ließ ihn nicht minder große Augen machen als den Hein: Aus entkorkter Essigflasche entnahm die Küchenfee soeben einen kräftigen Schluck und sprühte ihn wie ein Triton mit gespitztem Mund und aufgeblähten Backen, den Kopf .kreisend über der Schüssel bewegend, auf das zarte Grün. Dann geschah das gleiche mit dem öl. Mit gespreizten Fingern mischte die Frau den Salat und trug ihn zusamt den übrigen Speisen auf. „Jooden Appditt!“ wünschte sie. Der war allerdings sowohl dem Hein als auch dem Hannes gründlich vergangen. Njur der Köbes sprach seinen Setzeiern sowie den Kartoffeln und dem Salat eifrig zu. Großmütig überließ er dem Hein zwei der rundlichen Gebilde, mit denen einst Kolumbus seine Zeitgenossen verblüffte, und setzte dabei eine triumphierende Miene auf, als sei ihm jenes Experiment zum anderen Male geglückt. Hein entschuldigte sich dem Hannes gegenüber mit Leibschmerzen und schob ihm den Eierschmeer zu. Daß dieser, der kräftig zulangte, jedoch den Salat verschmähte, verwunderte sowohl den Hein als auch den Köbes, die ihn sich umso besser munden ließen.

Bald verließen die Wallfahrer das Wirtshaus, von dessen Tisch sie, bis auf den Köbes, nur teilweise gesättigt aufgestanden, und setzten die Reise nach Sankt Jost betend fort. Als Hannes beim Weiterwandern in einer Gebetspause seine Beobachtung bei der Salatzubereitung in der Diele schmunzelnd zum besten gab, ward es den Brüdern eine Weile recht wunderlich im Magen. Als Gegendienst beeilten sich dann beide, der Hein und der Köbes, dem Hannes den Vorgang bei der Herstellung des gedirbelten Eierschmeers drastisch zu schildern, so daß nun die Reihe an ihm war, ein „erhebendes“ Gefühl in der Bauchgegend mühsam niederzuringen.

Wäre noch zu berichten, daß die Pilger schließlich zum hl. Jodokus gelangten und ihre Bitten vortrugen, und daß jedes Anliegen auch Erhörung fand: Hein führte bald sein Thres’chen heim, Köbes bestand sein Examen, und Hannes trat um die Jahreswende in einen Orden strenger Observanz ein. Von diesem erfuhr ich, der Neffe, diese Geschichte, als er nach langen Jahren aus der Neuen Welt einmal wieder ins Ahrtal kam. dankbar mit mir eine Flasche Ahrburgunder leerte und dabei in alten Erinnerungen kramte. Sein Rat zum Schluß: „Eier? Nur jedöppt! Un Schloot? Ohne Essig un Öl!“