DIE MAURITIUSGLOCKE ZU BROHL

Ein Beitrag zur Heimatgeschichte VON LEO STAUSBERG

Seit einiger Zeit ertönt in der Brohler Pfarrkirche bei der Wandlung in der hl. Messe der verhaltene Klang eines Gongs. Vielerorts hat in den letzten Jahren ein Gong die etwas schrillen Schellen bei dem Höhepunkt des Meßopfers verdrängt, um die geheimnisvolle Stille, die dabei obwalten sollte, nicht zu zerreißen. Mit dem Gong in der Brohler Kirche hat es indes seine eigene Bewandtnis; dieser Gong ist nämlich eine Glocke, oder besser gesagt: ein Glöckchen. Verstaubt und voller Grünspan stand es vergessen im Heizungskeller der Kirche, bis Pfarrer Poetz es ans Licht zog und wieder in den Dienst stellte, wenn auch zu einer bescheideneren Funktion als einst.

über hundert Jahre lang hatte das Glöckchen im zierlichen Dachreiter der alten Brohler Kapelle gehangen und weithin hallend und schallend zu den Tageszeiten und den vielen Anlässen froher und ernster Art im Leben des Dorfes geläutet. Im Jahre 1912 hatte man die Kapelle, die sich seit 1680 am Hang des Eiberges erhob, unbegreiflicherweise niedergelegt. Das Glöckchen war vorher schon, zusamt einer Schwesterglocke, seines heiligen Dienstes enthoben worden. Nachdem Brohl im Jahre 1870 selbständige Pfarrei geworden war — bis 1840 war Brohl eine Filiale der Pfarrei Gönnersdorf und dann kurze Zeit der Pfarre Niederbreisig zugeteilt —, hatten die Brohler 1890 eine geräumige Kirche zu bauen unternommen.

Foto : P. Buschbaum

Ein neues Geläute kam hinzu, zu welchem die beiden Bronzeglöckchen von einst nicht recht harmonieren mochten. Das zweimalige große Glockensterben des ersten und zweiten Weltkrieges beraubte beidemal die Brohler Kirche ihrer Glocken. Auch eines der beiden alten Glöckchen wanderte dabei in den Schmelztigel einer Munitionsfabrik. Nur unser Glöckchen entging, vielleicht durch die List der Pfarrherren, der allgemeinen Vernichtung.

Nachdem der Dorfschmied Schrem es nun in ein kunstvolles schmiedeeisernes Gehäuse gehängt hat, wozu unser Maler Krahforst eine gefällige Zeichnung entwarf, können wir Figurenwerk, Gießermarke und Umschrift in Ruhe studieren. Da sehen wir einen feingüedrigen Kru-zifixus, von Engelsköpfen umschwebt und von zwei Obelisken im Stile des Empire flankiert. Am Sockel des Kreuzes lesen wir die Inschrift: „ECCE AG(NUS) DEI“. Das sind die Worte, mit denen Sankt Johannes der Täufer, der Pfarrpatron von Brohl, einst am Jordan auf den Erlöser wies: „Seht, das Lamm Gottes!“ Aber nicht dem Kirchenpatron ist unsere Glocke gewidmet, sondern dem hl. Mauritius ; denn die Umschrift des unteren Zierbandes am Glockenkörper lautet:

„slt deo gLorla, beato MaVrltlo LaVs, ClVIbVsqVe pletas atqVe saLVIs.“

Zu deutsch heißt das: „Gott sei die Ehre, dem heiligen Mauritius Lob und den Bürgern Erbarmen und Heil!“ Die Inschrift stellt, wie die Mischung von großen und kleinen Lettern zeigt, ein sog. Chronogramm dar: Die Großbuchstaben bedeuten römische Ziffern und ergeben, addiert, das Jahr des Glockengusses, also:

MDCLLLVVVVVVIIIIIII = 1787.

In welcher Beziehung steht St. Mauritius zu Brohl? In dem Sepulcrum der Mensa des Hochaltars der neuen Pfarrkirche sind Reliquien des Heiligen enthalten. Nachweislich waren sie früher auch schon im Altar jener alten Kapelle eingemauert, und Mauritius ist zweiter Patron der Kirchengemeinde Brohl.

Das Jahr 1787 ist im Hinblick auf das Leben des hl. Mauritius von Bedeutung. Am 22. September 287 n. Chr. wurde dieser Oberst der berühmten Thebäischen Legion mit vielen seiner Gefährten um des christlichen Glaubens willen auf Befehl des Kaiser Diokletian in der Schweiz, im heutigen St. Moritz im Kanton Wallis, hingerichtet. Dort ruht sein Leib, und die Stadt trägt seinen Namen. Demnach ist das Jahr des Glockengusses das der 1500-Jahrfeier seines Martyriums. Der damalige Seelsorger von Brohl, einer der Kar-rnelitermönche von Tönisstein im Brohltal, hat dies gewußt.

Auf der Gußmarke Ist der Name des Glockengießers zu lesen:

„Willibrordus Stocky goß mich.“

Nach den „Kunstdenkmälern des Kreises Ahrweiler“ von 1941, worin die hier beschriebene Glocke nicht erwähnt ist, hat der genannte Meister aus Saarburg im Jahre 1794, also im Jahre der Besetzung unserer Heimat durch die französischen Revolutionsheere, für Brohl eine weitere Glocke gegossen. Zusamt einer „anderen“ Glocke sei diese Glocke jedoch eingeschmolzen worden (a.a. O. S. 213). Daß dies nicht der Fall ist und daß jene „andere“ Glocke noch da ist, haben wir gesehen. Eine weitere Angabe In den „Kunstdenkmälern“, daß die Brohler Gemeindeakten von 1786 eine „neue Glocke“ erwähnen, welche die Bürger von Brohl in Auftrag gaben, ist im Hinblick auf die zitierte Glockeninschrift von Interesse. Dort heißt es ja: „. . . civibus-que …“ = „und den Bürgern“. Es waren also die damaligen Bürger, welche unsere Glocke stifteten. Daß es sich um die Mauritiusglocke handelt, dürfte wohl zweifellos sein. Schon im Jahre 1780 hatte die Kapelle aus Anlaß ihres hundertjährigen Bestehens eine Renovierung erfahren. Beide Male bewiesen die Brohler Bürger, deren Zahl noch gering war, ihren Opfersinn.

Die heutigen Brohler werden sich mit ihrem Pfarrer darüber freuen, daß ein ehrwürdiger Zeuge der Ortsgeschichte neu zu Ehren kam. Wenn beim hl. Opfer die reine, an Obertönen reiche Stimme der Mauritiusglocke erklingt, mögen sie in das Glockengebet mit einstimmen:

„Gott sei die Ehre,
dem heiligen Mauritius Lob
und den Bürgern Erbarmen und Heil!“