Das Hochwasser in Adenau vor 5O Jahren

VON ERNST WOLLMANN

Hochwasser in einer Gebirgsgegend? Das ist wohl eine Seltenheit! Aber mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten. Die Wahrheit des Schillerschen Wortes hatten die Bewohner Adenaus am 12. Juni 1910 zu spüren bekommen. Zur Orientierung und zum besseren Verständnis der Katastrophe wird es notwendig sein, einen kurzen Überblick über die damaligen Straßenverhältnisse des Ortes zu geben. Durch unser Städtchen, angefangen im oberen Adenau bei der Baufirma Peter Geyer bis zur früheren „Alten Post“, lief damals bis zum Jahre 1927 an verschiedenen Stellen der Adenauer=Bach offen durch die Hauptstraße. Kleinere und größere Holz- oder Steinbrücken regelten den Fußgänger= und Fuhrwerksverkehr. Die Ufer des offenen Baches waren durch Geländer gesichert.‘ Als der Bau des Nürburgringes 1927 seinem Ende zuging, mußte man unsere Hauptstraße als bedeutenden Zufahrtsweg, in seiner ganzen Länge überdecken.

Wie kam es nun am Sonntag, dem 12. Juni 1910, zur Hochwasserkatastrophe? Ein starkes Gewitter, begleitet von einem wolkenbruchartigen Regen, entlud sich am Abend um 8.30 Uhr über Adenau. In kurzer Zeit schoß das Wasser von den Bergen in reißenden Gießbächen herab. Der Weyschoßbach, der in halber Höhe der Wimbachgasse hinter den Häusern der Hauptstraße zwischen Görgen und Hoffmann in den Adenauer Bach fließt, konnte die gewaltigen Wassermassen nicht fassen, und so ergoß sich die riesige Flutwelle zum unteren Teil der immer enger werdenden Gasse in die Hauptstraße. Inzwischen hat der Adenauer=Bach in seinem oberen Teil starken Zufluß erhalten. Die Feuerwehr wurde alarmiert und mußte eingreifen, um Unfälle zu vermeiden. Nun versuchte man den Eingang zur Wimbachgasse einzudämmen, um die Hauptstraße vor einer Überflutung zu retten. Dieses Vorhaben brachte nicht den beabsichtigten vollen Erfolg. Die gleichen Wassermassen kamen vom Kreckelbach, die wildströmend die Bahnhofstraße und das Bahnhofsgelände vollständig unter Wasser setzten. Die Passagiere des letzten Zuges konnten den Bahnhof nicht mehr verlassen. Da das Unwetter weiter anhielt und die überschwemmten Straßen nicht passierbar waren, wurden die harrenden Fahrgäste vom Fuhrhalter Kaspers in den Ort gebracht. Gegen Mitternacht ließ das Zuströmen des Wassers aus der Wimbachgasse zur allgemeinen Beruhigung nach. Leider hatten sich die Bewohner in ihrer Hoffnung getäuscht. Schon um 2Uhr morgens wälzte sich nach anhaltendem starkem Regen ein neuer Wasserschwall aus dem oberen Adenau mit rasender Schnelligkeit über den Marktplatz nach dem unteren Adenau. Der Adenauer=Bach war schon im oberen Teil des Ortes, trotz des breiten und tiefen Bachbettes, weit über die Ufer getreten. Höher und immer höher stieg die Flut. Heute geben Markierungstafeln mit der Aufschrift „Hochwasserstand 13. 6. 1910″ davon Kenntnis.

Eine Unmenge Holz, Gerüststangen, Balken und Bäumstämme wurde angeschwemmt, schwere Ackerwagen und eine Kohlenkarre des Kohlenhändlers Josef Hoffmann abwärts getrieben. Das Treibgut setzte sich vor die Brücken und Durchlässe, wodurch der Abfluß der Wassermassen stark behindert und die gefährliche Situation wesentlich erhöht wurde. In kurzer Zeit standen viele Häuser unter Wasser. Die Hauptstraße glich einem rauschenden Strom. Die Anwohner mußten ihre Habe dem ständig steigenden Wasser preisgeben, um ihr eigenes Leben zu retten. Glücklicherweise sind Menschenleben nicht zu beklagen gewesen. Die Flut reichte weit in die Kohlengasse hinein und füllte sämtliche Keller bis oben mit Wasser, obgleich verschiedene Hausbesitzer in ihrer höchsten Not versuchten, die Kellerlöcher mit Mist, Heu oder Stroh zu verstopfen. Die große Marktbrücke drohte einzustürzen und mußte gesperrt werden. Eine andere stabile Brücke in der Nähe der Metzgerei Sesterheim wurde durch das immer stärker drängende Treibgut gehoben und schoß mit voller Wucht in das gegenüber liegende Schaufenster des Tuchgeschäftes Josef Friedrich. Sogar die festen Steinbrücken innerhalb des Ortes vermochten dem verheerenden Element nicht standzuhalten; sie wurde teils zerstört, teils stark beschädigt.

Groß waren die Zerstörungen an den Wohnhäusern. Bei Fachwerkbauten wurden die Wände eingedrückt und drohten gänzlich einzustürzen. Bis zu zwei Metern stand das Wasser an bzw. in den Häusern. Einen traurigen Anblick bot das Haus der Geschwister Frings gegenüber dem „Halben Mond“. Hier hatte das Wasser die ganze vordere Front mit dem Schaufenster herausgerissen. Sämtliche Backwaren und sonstigen Warenvorräte wurden mit der gesamten Ladeneinrichtung weggeschwemmt. Auch im Geschäftshaus J. L. J. Baur am Marktplatz hatte das Wasser große Verwüstungen angerichtet. Das damalige Hotel „Halber Mond“ wurde von beiden Seiten von einer wildzischenden Flut umtost. Montag, den 13. Juni, ließ die Flut nach, so daß gegen Mittag der Marktplatz und die obere Hauptstraße passiert werden konnten. Erst am Nachmittag waren sämtliche Straßen vom Wasser befreit. Das Wasser in den Bächen sank erheblich. Das Wiesental unterhalb Adenau blieb noch eine Zeitlang überschwemmt. Der Eisenbahnverkehr war völlig unterbrochen, da auch an der unteren Ahr einige Bahnbrücken fortgerissen waren und das Geleise starke Schäden erlitten hatte. Ein trauriges Bild bot sich dem Beschauer, der nach der Katastrophe die Hauptstraße durchwanderte. Die größten Verluste und Schäden hatten die Geschäftsleute zu verzeichnen. Besonders verheerend hatte das Hochwasser in der Umgebung der alten Post (heute Reformhaus Rösch) gehaust. Das Haus des Uhrmachers Kundt war vollständig unterspült. Der Strom brauste mit unwiderstehlicher Gewalt durch das morsche Gebäude und schwemmte die Goldwaren und andere Einrichtungsgegenstände mit sich fort. Auch die auf dem Lagerplatz von Anton Hoffmann gestapelten Baumaterialien im Werte von mehreren tausend Mark wurden abwärts getrieben. Der Getreidehändler Johann Romers (jetzt Knaup) erlitt große Verluste an Getreide. Die schützende Mauer um das Anliegen stürzte krachend zusammen. Dem Tuchfabrikanten Franz Friedrich wurden größere Mengen wertvoller Stoffe weggeschwemmt. Der Betrieb der Tuchfabrik mußte wegen der angerichteten Schäden an Maschinen für mehrere Wochen stillgelegt werden. Den Verkehr sicherte man durch Notübergänge. Schreckliche Verwüstungen zeigten sich auch in den Gärten, Wiesen und Feldern. Der Sachschaden des Ortes wurde damals nach oberflächlicher Schätzung mit 500 000 Mark angegeben. Auch in den umliegenden Ortschaften sind gewaltige Schäden verursacht worden. Wie würde sich heute bei einer geschlossenen Straßendecke ein solches Hochwasser auswirken? Gott soll uns davor bewahren!