Streitigkeiten um die kurkölnischen Rechte

in der Herrlichkeit Kreuzberg gegen Ende des 16. Jahrhunderts

VON IGNAZ GÖRTZ

Kreuzberg gehörte mit den Orten Altenahr, Altenburg und Reimerzhoven zum Kirchspiel und Amt Altenahr und unterstand der Landeshoheit Kurkölns. Als Landesherr hatte der Erzbischof von Köln, wie das Kreuzberger Weistum vom Jahre 1518 und auch verschiedene Aussagen des Altenahrer Gerichts feststellen, zu Kreuzberg „alle Hoheit und Obrigkeit, Gebot und Verbot“. Die Kreuzberger waren zu Dienstleistungen auf Burg Altenahr verpflichtet; Kriegseinquartierung, Kontribution und alle Amtsunterlagen wurden auf Kreuzberg mitaufgeteilt.

Aus der Zugehörigkeit zum Kirchspiel Altenahr erwuchsen den Bewohnern Kreuzbergs weitere Verpflichtungen und Rechte. So erklären die Bewohner von Altenahr, Altenburg und Reimerzhoven, die der Amtmann am 28. Juni 1599 zum Altenahrer Gerichtsplatz oberhalb der Pfarrkirche, „an der Leuwen“ genannt, bescheiden ließ: „Kreuzberg bildet mit den übrigen Orten ein ungeteiltes Kirchspiel, sie haben eine Kirche, eine Taufe, ein Begräbnis, einen Weidegang. Sie sind einem Pastoren zu Altenahr zehntbar. In nachbarlichen Sachen — Nachbarn nennen sich die Kirchspielseinwohner — ist für alle der Bürgermeister von Altenahr zuständig, der jedes Jahr um Johannistag vom gesamten Kirchspiel gewählt wird. Die Altenahrer müssen den Kreuzbergern durch Dienstleistungen und Zahlungen bei der Errichtung von Grindeln, Brücken und ändern üblichen Sachen helfen. Die von Kreuzberg müssen beim Flecken Altenahr an Brücken, Türmen, Pforten, Mauern und Schlagbäumen Frondienst leisten. Ferner sind sie zum Unterhalt der Altenahrer Pfarrkirche mitverpflichtet. Beide Gemeinden führen eine gemeinsame Rechnung, sie werden gemeinsam geschätzt, und es wird ein gemeinsames Schatzbuch geführt. Schließlich ist es unibezweifelter Kirchspielsbrauch, daß der Bürgermeister von Altenahr, sollte ihm die Zahlung einer beschlossenen Umlage verweigert werden, im gesamten Kirchspiel mit Hilfe des Bürgermeisterknechts pfänden darf.“

Burg und Herrlichkeit Kreuzberg waren Burglehen von Altenahr und wurden vom Kurfürst vergeben. Die Grundherrschaft im Bereich der Herrlichkeit Kreuzberg lag bei dem jeweiligen Inhaber des Lehens. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts waren mit Kreuzberg belehnt die. Ritter von Königsdorf, die auf Burg Kreuzberg wohnten, und die Quad von Wickrath, die sich durch den Hofschultheiß Bertram Giffels vertreten ließen. Als Grundherren hatten die Herren von Kreuzberg ein Hofgericht, dem der Altenahrer Schultheiß zur Wahrung der kurkölnischen Rechte beisaß. Dieses Geschworenengericht trat zusammen acht Tage nach dem Hoch- und Herrengerichtstag zu Altenahr. Von den anfallenden Brächten erhielt das Amt zwei Drittel und die Herren von Kreuzberg ein Drittel. In Zivilsachen war das Kreuzberger Hofgericht voll zuständig, nur Berufungssachen gingen an das Altenahrer Hauptgericht. Dagegen hatten die Kreuzberger in Strafsachen nur den „Angriff“, d. h. sie mußten den Delinquenten gefangennehmen. Den Gefangenen mußten die Herren von Kreuzberg dann, gemäß dem Hofsweistum, „hausen und herbergen sechs Wochen und drei Tag. Danach sollen die Herren von Kreuzberg ihn liefern an die Vischelbach los und frei, und da sollen dann sein des Herrn zu Altenahr Diener auf der ändern Seite der Bach, und die Herren von Kreuzberg sollen ihn über die Bach stoßen. Wenn der Gefangene dann loskommt, so Ist er frei. Kriegen ihn aber die Diener von Altenahr, so sollen sie ihn nach Altenahr bringen und ihm allda Recht and nit Unrecht tun.“ Strafverfolgung und -Vollzug lagen hier beim Altenahrer Hauptgericht.

Obwohl nun die Herrschaft Kreuzberg kurkölnisches Lehen war, suchten die Lehens=Inhaber, besonders gegen Ende des 16. Jahrhunderts, sich vom Amt Altenahr ab» zusondern und die Unabhängigkeit zu erlangen. Im Jahre 1599 wandelte man das Hofgericht in ein Hochgericht um und stellte einen Gerichtsboten an. Man ließ ein neues Weistum schriftlich festlegen, das die kurfürstlichen Rechte zu Kreuzberg nicht mehr auswies. Das Streben nach Unabhängigkeit vom Amt Altenahr wurde von den Einwohnern Kreuzbergs begrüßt und . unterstützt, da sie sich von den Lasten und Abgaben zu befreien hofften, die ihrem Dorfs nicht unmittelbar zugutekamen. So brachte das Jahr 1599 einen Streit zwischen denen von Altenahr und Kreuzberg, der jedoch durch das entschlossene Auftreten des damaligen Amtmannes, Heinrich v. d. Horst, bald beigelegt wurde. Im Jahre 1599 war die Roßfachpforte zu Altenahr unter Mithilfe aller Nachbarn, auch der von Kreuzberg, erneuert und ein neuer Pförtner, Hecken das, angestellt worden. Der Pförtner sollte neben gewissen Sachleistungen von jedem Haushalt im Kirchspiel pro Jahr 6 Albus erhalten. Im Jahre 1597 zahlten auch die Kreuzberger ihren Anteil, 1598 verweigerten sie jedoch die Zahlung mit der Begründung, sie seien infolge der hohen Kriegslasten dazu nicht in der Lage. Doch schloß man am 31. März einen Vergleich, daß der Pförtner die Geldleistung aus dem gemeinsam aufgebrachten Schatz und dem Zehntweinkauf erhalten sollte. Als die Kreuzberger- 1599 wieder nicht zum Pförtnerunterhalt bei» tragen wollten, zogen am 8. Juni desselben Jahres die übrigen Nachbarn mit dem Altenahrer Bürgermeister Rütger Loer zur Pfändung nach Kreuzberg. Dort verwehrte man ihnen die Pfändung „mit unziemlichen Worten und Handeln“, so daß die von Altenahr, Altenburg und Reimerzhoven „zur Vermeidung größeren Unglücks“ unverrichteter Dinge abzogen. Der Vorfall wurde dem Amtmann zu Altenahr berichtet, der am 28. Juni einen schriftlichen Bericht anfertigen ließ.

Nach dem Bericht der übrigen Nachbarn waren, als sie am 8. Juni nach Kreuzberg kamen, alle pfändbaren Gegenstände versteckt. Man entschloß sich, in den Busch zu ziehen und Kühe zu pfänden. Da trat ihnen jedoch Junker Johann von Königsdorf entgegen und wandte sich an den Landboten mit den Worten: „Wenn Du so kühn bist, allhier zu pfänden, so sollst Du sehen, was es gibt.“ Er hob zwei Steine auf und bedrohte damit den Winanz Lenz: „Sieh, Du Lecker, was tust Du allhier?“ Einer der Nachbarn, Hartmanns Hermann, wollte ihn besänftigen und sagte: „Junker Johann, es geht Euer Liebden nicht an, es handelt sich um nachbarliche Sachen.“ Während des Wortwechsels kam von der Burg Kreuzberg Junker Cuno mit einem Gewehr angelaufen und schrie: „Wer eine Kuh antastet, der soll bei der Kuh bleiben.“ Trotzdem pfändeten die Altenahrer zwei Kühe, Aus dem Busch kamen nun der Hofschultheiß Bertram Giffels mit weiteren acht oder neun Mann, alle mit Äxten bewaffnet. Bertram Giffels rief: „Nachbarn von Kreuzberg, ich gebiete Euch von meinem Herrn wegen, daß Ihr denen von Altenahr die gepfändeten Kühe mit Gewalt abnehmt. Haut drein, ich lasse Euch durch meinen Herrn vor Strafe schützen.“ Der kurkölnische Landbote Thomas Voß entgegnete: „Ich gebiete Euch wegen unsers gnädigen Herrn, diesen von Altenahr keine Gewalt anzutun, sondern Ihnen die Pfände folgen zu lassen.“ Der Hofschultheiß äußerte, solches Gebot gehe sie nichts an, der Kurfürst habe allda nicht zu gebieten, nur ihre Herren und nicht der Amtmann von Altenahr hätten ihnen zu befehlen. Die Altenahrer ließen die Kühe und zogen unter Protest ab.

Im Anschluß an die Darstellung dieses Zwischenfalls führten die Nachbarn eine Reihe von Präzedenzfällen an, die die Pflichten der Kreuzberger Untertanen und das Recht der Altenahrer auf Pfändung zu Kreuzberg bestätigten.

Zum Schluß des Berichtes wird besonders darauf hingewiesen, daß im Jahre 1599 auch die Kreuzberger dem neuen Amtmann im Beisein des Philipp Roest von Wers und des Wilhelm Blankart zu Ahrweiler auf Schloß Altenahr gehuldigt und geschworen hätten.

Am 3. Juli 1599, vormittags zwischen 9 und 10Uhr, war das ganze Kirchspiel auf Anweisung des Amtmannes am Altenahrer Gerichtsplatz versammelt, um über den Streitpunkt des Pförtnerunterhalts zu beraten. Als erstes wird der Vergleich vom März 1598 verlesen, dessen Richtigkeit die Kreuzberger bestätigen. Sie bitten jedoch um Befreiung, da sie durch die Kriegszeiten so schon stark belastet sind. Danach bringt der Amtmann vor, er habe vernommen, die Kreuzberger suchten sich abzusondern und wollten nur die von Königsdorf und die Quad als ihre Herren anerkennen. Es wird der Bericht der Altenahrer über den Vorfall zu Kreuzberg verlesen, dessen Richtigkeit die Kreuzberger bestreiten. Sie hätten sich in der Frage der Pförtnerbelohnung nur „zu ordentlichem Landrecht, zu Verhör durch ihre fürstliche Durchlaucht und derselben hochweisen Räten berufen“. Mit der Behauptung, in Kreuzberg hätten der Kurfürst und sein Altenahrer Amtmann nicht zu befehlen, waren die Kreuzberger damals zu weit gegangen.

Der Amtmann hatte gleich nach dem Zwischenfall im Juni eine Darstellung hierüber an den Hof nach Bonn gesandt und inzwischen Bescheid erhalten. Er solle im Wiederholungsfalle dem strengstens entgegentreten und die Rädelsführer und Hauptanstifter ergreifen und in Haft nehmen. Darauf erschien am 5. Juli, morgens zwischen 5 und 6 Uhr, der Amtmann mit 30 Schützen, dem Notar, dem Altenahrer Pastor Tilmann von Goer und dessen Vertreter Paul Waiden sowie der ganzen übrigen Nachbarschaft zu Kreuzberg an der Linde. Er ließ den Johann von Königsdorf und den Bertram Giffels, als Vertreter der Quad, zu sich bescheiden. Der Kellner Johann Wolff verlas den Bericht über den Vorfall vom 8. Juni und den kurfürstlichen Befehl. Der Amtmann erklärte dann, die Schützen seien diesmal nur mitgekommen, um etwaige Gewalt seitens der Kreuzberger zu wehren. Würden die Altenahrer in der Ausübung ihres Rechtes nicht gestört, so solle die Anwesenheit der Schützen „niemand ein gut oder bös Wort eingeben.“ Jeder soll in seinem Recht belassen werden, niemand solle aber auch von der alten Gewohnheit abweichen. Junker‘ von Königsdorf antwortete, die von Kreuzberg seien nun willig, zu zahlen. Hätten sie die Erklärung des Amtmannes schon früher gekannt, wäre der Vorfall nicht nötig gewesen. Die Altenahrer pfändeten dann beim Schultheiß Giffels ein Pferd, bei Christoph Weber eine Kuh, die nach Altenahr gebracht wurden. So wurden durch das schnelle und energische Eingreifen des Amtmannes Heinrich v. d. Horst die Kreuzberger wieder zum Gehorsam gebracht.