Lebendige Selbsthilfe in der Gemeinschaft

Raiffeisenarbeit im Kreise Ahrweiler

VON DIETER SPOO

Dem Einheimischen fällt es aus Gewohnheit schon kaum mehr auf, doch der Besucher von auswärts wird es mit Respekt feststellen: Wohin man im Kreise Ahrweiler auch kommt, in allen seinen Teilen begegnet man „Raiffeisen“. An älteren und neueren, größeren und kleineren Gebäuden entdeckt man einen Schriftzug, der davon berichtet, daß hier eine Raiffeisen-Genossenschaft tätig ist, oder man erblickt das Giebelkreuzzeichen — das Symbol der genossenschaftlichen Selbsthilfe. Überall sind Mitbürger am Werk, um den Gedanken der Selbsthilfe in der Gemeinschaft zu verwirklichen. Das ländliche Genossenschaftswesen kann in unserem Heimatkreis auf eine jahrzehntealte Wirksamkeit zurückblicken. Die genossenschaftlichen Zusammenschlüsse stammen zum großen Teil noch aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, als weit und breit die Gedanken Friedrich Wilhelm Raiffeisens in die Tat umgesetzt wurden, weil die Bevölkerung in ihnen ein vorzügliches Mittel sah, wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Mißständen zu begegnen. Als älteste noch von Friedrich Wilhelm Raiffeisen selbst betreute Kreditgenossenschaft ist die heutige Raiffeisenbank Antweiler-Adenau zu erwähnen, die numehr (1966) auf ein genau 1OOjähriges Bestehen zurückschauen kann. Ihr stehen an Alter nur wenig nach: die Genossenschaften in Vettelhoven (gegründet 1869), Dernau, Löhndorf und Krälingen (alle 1871 gegründet). Die Protokollbücher der Raiffeisen-Genossenschaften und die übrigen Unterlagen aus den Zeiten ihrer Gründungen sprechen eine beredte Sprache davon, von welchen Sorgen und Nöten der Bauer wie auch der Handwerker, der kleine Geschäftsmann und die Arbeiterschaft bedrängt waren und wie man durch tatkräftige Selbsthilfe gegen Wucher, Kapitalmangel und Teuerung, gegen Qualitätsmängel landwirtschaftlicher Bedarfsgüter und unreelles Geschäftsgebaren angegangen ist.

Ungezählte Existenzen sind dadurch vor dem Ruin bewahrt worden. Im Wandel der Zeitläufe hat das Genossenschaftswesen nichts von seiner Bedeutung eingebüßt, vielmehr hat es sich auch in unserer Heimat zu einem beachtlichen Faktor entwickelt und unter den jeweiligen Verhältnissen für seine Mitglieder viel Segensreiches vollbracht. Es ist die zeitgemäße Form dessen, was man seit alters her auf dem Lande als gute Gemeinschaftsarbeit und Nachbarschaftshilfe kennt.

Mit den Problemen haben sich natürlich auch in der Aufgabenstellung der Genossenschaften Wandlungen vollzogen. Unverändert geblieben ist jedoch der Grundgedanke tatkräftiger Selbsthilfe mit dem Ziel, dem Mittelstand in all seinen Schichten helfend und die eigene Wirtschaft sinnvoll ergänzend vielseitige Dienste zu leisten. Im Kreise Ahrweiler bestehen 28 Kreditgenossenschaften, welche als die Banken für Jedermann ihren Mitgliedern, aber auch darüber hinaus allen anderen Mitbürgern in allen Fragen des Geld- und Kreditwesens zur Verfügung stehen. Das bedeutendste unter diesen Instituten ist die Bad Neuenahrer Kreditbank. Sie zählt nicht nur im mittelrheinischen Raum, sondern in der ganzen Bundesrepublik zu den größten Kreditgenossenschaften und hat gerade in den letzten Jahren eine außerordentliche Aufwärtsentwicklung erlebt. Daneben sind die Volksbank Bad Niederbreisig, die Volksbank Remagen und die Brohler Volksbank die größten Kreditgenossenschaften der Raiffeisen-Organisation im Kreisgebiet. Unter dem Namen „Raifl-eisenkasse“ arbeiten 21 Institute in allen Teilen des Kreises, drei weitere unter der Firmierung Spar- und Darlehnskasse.

Sie werden von mehr als 8000 Mitgliedern als gemeinsamen Unternehmern getragen. Daß sie aber auch weit über deren Kreis hinaus rege in Anspruch genommen werden, erweist die Zahl von rund 24000 bei ihnen unterhaltenen Sparkonten und weiteren 15000 Konten in laufender Rechnung.

Foto: Jakob u. Helena Steinborn 
Bad Neuenahrer Kreditbank, Hauptstelle

Alle Raiffeisen-Kreditgenossenschaften im Kreisegebiet zusammen hatten zu Ende 1965 eine Bilanzsumme von mehr als 70 Millionen DM erreicht. Dieses Ergebnis spricht dafür, daß sie aus dem heimischen Wirtschaftsleben nicht mehr hinwegzudenken sind. Rund 61 Millionen DM sind ihnen an Einlagen — vor allem an Spargeldern — anvertraut, und an Krediten jeder Art haben sie mehr als 46 Millionen DM gewährt.

Welche außerordentliche Bedeutung ihnen im heimischen Wirtschaftsleben zukommt, zeigt sich sehr eindrucksvoll in folgendem: Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl sind ihnen zweieinhalbmal soviel Spareinlagen anvertraut wie ihren Schwestern im Bundesgebiet insgesamt. Berücksichtigt man die allgemeinen Wirtschaftsund Einkommensverhältnisse im Kreisgebiet, so beläuft sich der Betrag dieser Ersparnisse sogar auf mehr als das dreifache dessen, was zu erwarten wäre, wenn die Einlagen der Kreditgenossenschaften über das gesamte Bundesgebiet gleichmäßig verteilt wären. So aber nimmt der Kreis Ahrweiler eine Spitzenstellung ein, welche sowohl für den Spareifer seiner Bevölkerung wie auch für die besondere Verwurzelung der heimischen Kreditgenossenschaften in ihrem Bereich spricht.

Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hat an die heimischen Kreditinstitute besonders hohe Anforderungen gestellt. So haben auch die Raiffeisen-Kreditinstitute in hohem Maße zum Wiederaufbau der heimischen Betriebe beigetragen. Das war keineswegs immer leicht, doch die anstehenden Aufgaben wurden von den Mitgliedern ihrer Vorstände und Aufsichtsräte, den Genossenschaftsgeschäftsführern und -mitarbeiten! in zäher und unermüdlicher Arbeit bewältigt.

Der Aufbau und die Anpassung an die heutigen Anforderungen haben auch vor den Genossenschaften selbst nicht haltgemacht. Die überwiegende Mehrzahl der örtlichen Genossenschaften verfügt heute über eigene Gebäude für die Abwicklung ihrer Tätigkeit. Es handelt sich dabei nicht nur um Bank- und Kassengebäude, sondern auch um ausreichende und zweckmäßige Lagerhäuser; denn eine Sonderaufgabe der Raiffeisenkassen bestellt darin, daß sie neben dem Geldgeschäft auch den Bezug landwirtschaftlicher Bedarfsgüter und den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse betreiben. Während die Kredit- und Volksbanken ausschließlich das Geldgeschäft pflegen, widmet sich eine An- und Verkaufsgenossenschaft ganz den warenwirtschaftlichen Aufgaben. Jährlich sind es Güter für jetzt fast zehn Millionen DM, die speziell von der Landwirtschaft über die Genossenschaften mit Lagermöglichkeiten für rund 7600 t Ware bezogen und abgesetzt werden. Allein die Raiffeisenkassen „Untere Grafschaft“ (Oeverich) und Vettelhoven haben einen jährlichen Warenumsatz von jeweils mehr als 1,5 Millionen DM, und auch die Raiffeisenkassen Ahrbrück, Pfarrei Königsfeld und Anweiler-Adenau stehen unter den Genossenschaften des mittelrheinischen Raumes hinsichtlich der umgeschlagenen Mengen mit an der Spitze.

Foto: Jakob u. Helena Steinborn 
Volksbank Bad Niederbreisig

Auch bei dieser Tätigkeit geht es darum, die Interessen der Genossenschaftsmitglieder auf den Markten zu vertreten und den Einfluß zugunsten einwandfreier Qualitäten und möglichst günstiger Preise geltend zu machen. Es ist hier nicht der Platz, die Aktivität der Genossenschaften im einzelnen zu schildern, doch wenn man in Betracht zieht, daß sie außer ihrer Wirksamkeit im Geld- und Warengeschäft sich im Auftrag: der Mitglieder auch anderer Gemeinschaftaufgaben, z. B. durch die Bereitstellung von mancherlei Gemeinschaftsmaschinen, angenommen haben, so ist es nicht übertrieben, wenn man sie als wirtschaftliche Kraftzentren der Dörfer betrachtet. Genossenschaftsarbeit ist nie Selbstzweck. Im Laufe der Jahre sind es gewaltige Beträge geworden, die als erwirtschaftete Überschüsse den Mitgliedern wieder in Form von Warenrückvergütungen, von Dividenden auf die Geschäftsanteile oder auch durch Neuinvestitionen im gemeinsamen Betrieb zur Rationalisierung und Leistungssteigerung zugute gekommen sind. Allein in dem Jahrzehnt von 1953 bis 1962 machten die Nebenleistungen in Form von Dividenden und Warenrückvergütungen rund 700000 DM aus — und das trotz schärfster Zins- und Preiskalkulationen, großer Aufwendungen für die Erweiterung und Verbesserung der Betriebsanlagen und der Ausführung von so manchen Dienstleistungen, welche ausgesprochenermaßen unter dem Gesichtspunkt des Kundendienstes vorgenommen werden. Bei alledem ist bemerkenswert, daß auch in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs der Genossenschaftsgedanke nach wie vor hoch geschätzt und praktiziert wird — ein Zeichen für den Wirklichkeitssinn und die wirtschaftliche Vernunft der vielen Tausende, die sich zur Raiffeisen-Familie bekennen.

Zu den Höhepunkten im Gemeinschaftsleben der Orte zählen die Generalversammlungen der Genossenschaften. In der Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten, in Anerkennung und Kritik, in Verbesserungsvorschlägen und Vorträgen spiegeln sich das heimische Wirtschaftsleben und die Probleme der Bevölkerung wider. Man vergißt bei der Behandlung sachlicher Fragen auch nicht das gemütliche Beisammensein. So sind die Genossenschaften, ähnlich wie die Sport- und Gesangvereine, die freiwilligen Feuerwehren und die übrigen lokalen Zusammenschlüsse lebendiger Ausdruck des Zusammenhalts und eines guten Auskommens miteinander.

Was für die genannten Wirtschaftsgebiete die Kredit- und Warengenossenschaften sind, bedeuten für die Milchwirtschaft die Molkereigenossenschaften. Im Kreis Ahrweiler bestand bis vor wenigen Jahren eine solche in Vettelhoven. Diese Einrichtung hat sich im Zuge der Rationalisierung und des Strebens nach größeren Betriebseinheiten mit der Molkereigenossenschaft Milchverwertung Bonn zusammengeschlossen. Der westliche Teil des Kreisgebietes gehört zum Einzugsbereich der Molkerei Blankenheim.

Wer von der Ahr und ihrem Wein spricht, denkt unwillkürlich auch an unsere heimischen Winzervereine. Diese, zwölf an der Zahl, stellen das Rückgrat der Weltwirtschaft des Ahrtales dar. Sie verwerten die überwiegenden Mengen der anfallenden Moste. Im wahrsten Sinne des Wortes haben sie Pionierarbeit geleistet, denn an der Ahr steht die Wiege des Winzergenossenschaftswesens schlechthin: Der Winzerverein Mayschoß ist die älteste Winzergenossenschaft der Welt, wenn man von den kleineren „Weingärtner-Genossenschaften“ am Neckar, die schon 1854 gegründet wurden, absieht. In wenigen Jahren (1968) kann er auf sein 1OOjähriges Bestehen zurückblicken, und heute kann man feststellen, daß das Beispiel der Ahrwinzer in allen Weinbaugebieten Deutschlands Schule gemacht hat. Wie immer in diesen 100 Jahren steht über der Arbeit der Winzervereine das Ziel, durch zweckmäßigen Ausbau der Weine den Qualitätsgedanken zu pflegen, durch Beachtung guter Absatzbeziehungen dem Winzer Arbeit und Aufwendungen zu ersparen, seine Erlöse zu verbessern und den Kreszenzen des Ahrtales alte Freunde zu erhalten und neue zu gewinnen. Eine Bereicherung der heimatlichen Gastlichkeit und Förderung des Fremdenverkehrs stellen die winzergenossenschaftlichen Ausschankstellen dar.

Foto: Jakob u. Helena Steinborn 
Raiffeisenkasse Wershofen

 So verbinden sich im heimischen Winzergenossenschaftswesen Tradition und fortschrittlicher Geist, Fachkunde und der Sinn für die wirtschaftlichen Erfordernisse unserer Zeit. Wie der Kreis Ahrweiler heute mehr denn je in das Geschehen weit über die engere Heimat hinaus einbezogen ist und vielfältigen Austausch mit nah und fern gelegenen Gebieten hat, so stehen auch die in ihm arbeitenden Genossenschaften nicht allein für sich da: Sie sind vielmehr Glieder der größten Selbsthilfeorganisation der freien Welt, nämlich des Deutschen Raiffeisenverbandes als der Vereinigung aller Raiffeisen-Genossenschaften im Bundesgebiet. Mag die eine oder andere örtliche Genossenschaft im Vergleich mit mächtigen wirtschaftlichen Gebilden auch als kleines Institut erscheinen, so ist sie doch über ihre Organisation an die Schwerpunkte des wirtschaftlichen Lebens angeschlossen und vermag dort die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Sichtbar wird dies in unserem Kreis Ahrweiler vor allem daran, daß die Landwirtschaftliche Hauptgenossenschaft Koblenz als Warenzentrale der mittelrheinischen Genossenschaften in Bad Neuenahr ein Lagerhaus unterhält, um in bestmöglicher Weise die Arbeit der Ortsgenossenschaften zu unterstützen und zu ergänzen.

Die Genossenschaftsarbeit vollzieht sich im nüchternen Alltag, ohne großen Aufwand und abseits der lauten Sensationen. Wer aber weiß, wie sie für ungezählte Familien und Betriebe zum Segen und zu einer unentbehrlichen Ergänzung geworden ist, der wird an ihren Früchten auch erkennen, daß an Rhein und Ahr und auf den angrenzenden Höhen bis hinauf zum Nürburgring ein zielstrebiger Menschenschlag erkannt hat, daß die beste Hilfe die Selbsthilfe ist!

Kreditgenossenschaften im Kreise Ahrweiler

Genossenschaft   Haftart    Sitz 
Raiffeisenkasse   b. H.   Adenau 
Raiffeisenkasseb. H.Ahrbrück/Ahr 
Raiffeisenkasse   b. H.   Antweiler-Adenau 
Raiffeisenkasse   u. H.   Aremberg Eifel 
Bad Neueiiahrer Kreditbank   b. H.   Bad Neuenahr 
Brohler Volksbank   b. H.   Brohl/Rh., 
Raiffeisenkasse   u. H.   Dernau/Ahr 
Raiffeisenkasse Dümpelfeld   b. H.   Dümpelfeld 
Raiffeisenkasse Gelsdorf   b. H.   Gelsdorf 
Raiffeisenkasse   u. H.   Hönningen/Ahr 
Raiffeisenkasse derPfarrei Königsfeld   b. H.   Königsfeld 
Raiffeisenkasse der Gemeinde Berg   u. H.   Krälingen 
Spar- und Darlehnskasse   u. H.   Lantershofen/Ahr 
Raiffeisenkasse   u. H.   Löhndorf b. Sinzig 
Volksbank   b. H.   Bad Niederbreisig 
Raiffeisenkasse Niederzissen   b. H.   Niederzissen/Brohlt. 
Raiffeisenkasse   u. H.   Nohn 
Raiffeisenkasse   b. H.   Oberzissen/Brohltal 
Raiffeisenkasse „Unt. Grafsch.“   u. H.   Överich 
Raiffeisenkasseb. H.eifferscheid 
Volksbank   b. H.   Remagen/Rhein 
Raiffeisenkasse Schuld   u. H.   Schuld 
Raiffeisenkasse   b. H.   Vettelhoven 
Walporzheimer Spar- u. Darlehnskassenverein   u. H.   Walporzheim 
Raiffeisenkasse Wershofen   b. H.   Wershofen/Eifel 
Raiffeisenkasse  u. H.  Westum