Kurwein an der Ahr

VON LEO STAUSBERG

Im mittelalterlichen Ahrweiler begegnen wir dem Begriff „Kurwein“. Zweierlei konnte damit gemeint sein: einmal ein Weinzehnt an den Landesherrn, zum anderen eine Zollablösung für Klosterweine. Das Wort Kurwein enthält das alte deutsche Verb „küren“ = wählen, prüfen. Ihm entspricht im rheinischen Dialekt „koren“ = probieren. Das Wort Kurwein gesellt sich damit zu Kurfürst, Kurmut, Walküre, Willkür, auch zum neueren Wort Kür beim Turnen und anderem Sport. Demnach war Kurwein solcher, der ausgewählt wurde. Der Kurwein erster Art als Weinzehnt wurde schon um 1200 von einem Lehensgut in arwilre an die Grafen von Sayn geleistet und bestand anfangs in 10 Fudern Weißwein jährlich. Nach dem Aussterben der Sayner Grafen trat im Jahre 1246 Graf Heinrich von Heinsberg, der auch Besitzer der Saffenburg, der Burg Hülchrath und Inhaber der Vogtei Bonn war, als Erbe in die Sayner Rechte ein und bezog damit jährlich auch den Kurwein. Seine Erbtochter Adelheid heiratete den Schwanenritter Grafen Theodor von Kleve. Dieser trat um 1250 das Saynsche Erbe an und erhielt damit auch den Kurwein von den Ahrweiler Weinlehen. — Der Landesherr, der Erzbischof von Köln, Konrad von Hochstaden, bestritt jedoch dem Klever Grafen die Erbberechtigung am Sayner Besitz, den er als „Mannlehen“ betrachtete und demgemäß als „erledigtes“ Lehen einziehen wollte. 1252 wurde eine Einigung dahingehend erzielt, daß der Erzbischof zwar 10 Fuder Kurwein von Ahrweiler erhielt, dafür aber dem Grafen von Kleve „frei Hafen Neuß“ 10 Fuder bei Bonn gewachsenen Weins zu liefern sich verpflichtete. Dabei scheint es vorerst geblieben zu sein, denn im Jahre 1313 ist diese Lieferung noch nachweisbar. Im Jahre 1349 fiel der Kurwein — es waren inzwischen 30 Fuder jährlich — als landesherrliche Steuer ganz an die Erzbischöfe von Köln.

Die „Kur“, also die Wahl nach vorheriger Probe, geschah ohne besonders vorgeschriebenes Zeremoniell bei irgendwelchen in Ahrweiler ansässigen Winzern. Den Preis an die Lieferanten hatte die Stadt Ahrweiler zu zahlen. Es galt als besondere Auszeichnung, wenn ein Winzer zur „Kur“ herangezogen wurde. Man könnte dies mit der heute geübten Verleihung des Weinsiegels als Gütezeichen vergleichen. Die 30 Fuder Kurwein wurden auf geschmückte Karren geladen. Bürgermeister und Ratsherren gaben dem Zug das feierliche Geleite durch das Niedertor bis zur Stadt= und Landesgrenze am „Weißen Stein“, wo heute das Grenzkreuz an der Straße im Garten der Firma Both steht. In Remagen wurden die Weinfässer von der Remagener Schröterzunft auf landesherrliche Schiffe verladen, die die kostbare Ladung an den landesherrlichen Hof anfangs nach Köln und nachher nach Bonn brachten.

Am 21. 8. 1401 verpfändete Erzbischof Friedrich dem Ritter Dietrich von Gymnich, dem er 4000 rheinische Gulden schuldete, die Hälfte der 30 Fuder Kurwein, „davon i Fuder dem Ritter Colv zustehe“. — Im Jahre 1414 bescheinigt Erzbischof Dietrich, von der Stadt Ahrweiler 30 Fuder Kurwein erhalten zu haben. Sein Bedarf muß indes größer gewesen sein; denn am 24. 8. 1417 bestätigt derselbige Bischof, daß er in jenem Jahre auch schon die 30 Fuder für das nächste Jahr erhalten habe. Unterstellen wir, daß es ein besonders guter Jahrgang gewesen ist und jener Kirchenfürst ein Kenner war!

Auch der beste Wein konnte indessen die Geldsorgen des Erzbischofs nicht vergessen machen. Im Jahre 1421 leistete die Stadt Ahrweiler für ihn eine Zahlung an Dietrich von Gymnich in Höhe von 3600 Gulden. Die ganze Schuld betrug 5258 Gulden. Dafür wurde die Stadt auf 6 Jahre von der Lieferung des Kurweins entbunden. Demnach stellten die 180 Fuder einen Wert von 3600 Gulden dar, und ein Fuder wurde mit 20 Gulden bewertet. 1426 Verpfändete Erzbischof Friedrich an Werner von Vlatten Burg und Tal Altenahr und die Kurweine zu Ahrweiler. In einem besonderen Schreiben befahl er der Stadt Ahrweiler, diese Verpfändung zu beachten.

1458 schlossen die Besitzer der Landskron, die Erben von Eynenberg und von Vlatten, einen Erbvergleich. Dabei erhielten die von Eynenberg u. a. 500 Gulden von den Kurweinen zu Ahrweiler. — Erzbischof Rupprecht erließ im Jahre 1464 der Stadt Ahrweiler für immer die Lieferung von 10 Fuder Kurwein und bestimmte das Ablieferungssoll auf 20 Fuder jährlich. Erst 1529 hören wir wieder etwas vom Kurwein. Erzbischof Hermann bestätigt der Stadt Ahrweiler, sie habe an Radbod von Plettenberg als dem Erben „des Johann von Eynenberg 7 ooo Gulden Pfandschaftsgeld für das Erzstift abgetragen. Dafür erließ er der Stadt bis zur Wiedereinlösung der Pfandsumme jegliche Lieferung von Kurwein. Diese Einlösung geschah nie, und die Kurweingerechtsame war damit praktisch erloschen. Über 200 Jahre später hören wir doch noch einmal etwas davon: Im Jahre 1744 suchte Kurfürst Clemens August von Köln wieder in den Genuß der Kur. weine zu gelangen, indem er die 7 ooo Gulden Pfandsumme an Ahrweiler zurückzahlen wollte. Die pfiffigen Stadtväter von Ahrweiler wußten jedoch, daß 7 ooo Gulden von 1529 bei weitem die 7 ooo Gulden von 1744 an Wert übertrafen. Sie riefen die Entscheidung des Reichskammergerichts in Wetzlar an. Dieses holte ein Gutachten der juristischen Fakultät der Universität Göttingen ein. Die gelehrten Herren setzten den derzeitigen Wert der Pfandsumme auf sage und schreibe 24 942 Gulden 47 Kreuzer fest. Das aber war seiner Durchlaucht dem Kurfürsten doch zu viel. Er löste das Pfand nicht ein, und die Ahrweiler behielten ihren Wein:

Mit dem eingangs erwähnten Kurwein als Zollablösung verhielt es sich anders: mengenmäßig war es bedeutend weniger, und die „Kur“ war bis in alle Einzelheiten in ihrem Hergang streng geregelt. Vier Klosterhöfe in Ahrweiler waren an dieser Kur beteiligt, von Prüm, von Klosterrath, von Steinfeld und von Maastricht. Für Klöster und Kirchen war die Belieferung mit Weißwein für den gottesdienstlichen Gebrauch unentbehrlich. So sie nördlich der Weinanbaugrenze lagen, waren sie bestrebt, in den Weinbaugebieten des Rheines und seiner Nebenflüsse Weingüter zu erlangen. Eine weitere Sorge dieser Institutionen war die Gewährleistung sicherer und zollfreier Durchfuhr der Klosterweine durch fremde Territorien bis zum oft weit entlegenen Bestimmungsort. — Zu den Ahrweiler Klosterhöfen ist im einzelnen zu sagen:

Die Benediktiner=Abtei Prüm (Eifel) erhielt in der Karolingerzeit aus Königsbesitz Güter in Ahrweiler. Der Prümsche Herren» hof, von dem aus sie verwaltet wurden, ist als die Urzelle der späteren Stadt Ahrweiler anzusehen. Der Prümer Hof ist erstmalig nachgewiesen im Prümer Urbar von 893. Damals gehörten zu ihm 50 Morgen Ackerland und 76 Morgen Weinberge, die ebenso viele Fuder Wein pro Jahr erzielten. Hinzu kamen noch 24 Winzer, die klostereigene Wingerte zu Lehen hatten und dem Kloster zinspflichtig waren. Die Prümer Kellnerei, wegen des schwarzen Habits der Benediktiner auch „schwarze Kellnerei“ genannt, ist zusamt der Zehntscheune noch vorhanden: das Polizeiamt „Zur alten Post“ am Markt. Das Augustinerstift Klosterrath (Rolduc) bei Aachen, dem auch das Frauenkloster Marienthal an der Ahr unterstellt war, wurde im Jahre 1126 vom Kölner Erzbischof Friedrich von Schwarzenberg mit Zehntland in der Ahrweiler Gemarkung ausgestattet. Der ehemalige Klosterhof, heute Rodderhof genannt, ist auch noch in der Oberhutstraße 4 zu sehen. Seit 1136 hatte das Prämonstratenserkloster Steinfeld (Eifel) Lehensgut und nachweislich seit 1226 einen Hof in Ahrweiler, der im Jahre 1689 von französischen Söldnern eingeäschert wurde. Seit 1700 war der „Weiße Turm“, ein ehemaliger Rittersitz, steinfeldische Kellnerei. Wegen des weißen Ordenskleides der Prämonstratenser hieß er „weiße Kellnerei“. Heute ist darin das Ahrgaumuseum untergebracht. Kaiser Friedrich III. schenkte im Jahre 1.050 dem Servatiusstift zu Maastricht an der Maas aus Königsbesitz ein Gut zu Wilre (Ahrweiler). Es hieß Giesenhofen und ging unter. Der Flurname „Giesem“ erinnert noch an den Hof. Die Nachbarn des erzstiftlich kölnischen Gebietes, in dem Ahrweiler lag, waren seit dem. 13. Jahr= hundert die Grafen von .Neuenahr und die von Saffenberg, später deren Rechtsnachfolger Jülich und zuletzt Kurpfalz. Die alljährlichen Weinfuhren vorgenannter Kloster mußten dieses Gebiet durchqueren. Für die gewährte Zollfreiheit hatten die Grafen von Neuenahr=Saffenberg und ihre Rechtsnachfolger das Recht der alljährlichen Entnahme des Kurweins zweiter Art erwirkt. Mit der zollfreien Durchfahrt war auch ein zu stellender Geleitschutz verbunden. Die abzuliefernde Weinmenge betrug für die Höfe von Prüm, Maastricht und Klosterrath je eine „Richtkanne“ = 14 Quart a 9,5 Liter = 133 Liter, für den mehr begüterten Steinfelder Hof deren zwei. Nach den Weistümern, die uns den Vorgang der Kurweinprobe schildern, spielte sich diese stets wie folgt ab: Wenn im Herbst der weiße Wein gar war, sandten die Kellner und Herbstherren der genannten Klosterhöfe zu dem Neuenahrer Rentmeister in Beul (heute Ortsteil von Bad Neuenahr), und ließen diese wissen, daß; es Zeit sei, den Kurwein zu „ziehen“. Der Rentmeister brachte zu der „Kur“ noch mit den Richter des Hauptgerichts der Grafschaft Neuenahr in Wadenheim (heute ebenfalls Ortsteil von Bad Neuenahr), die Geschworenen und Schöffen dieses Gerichts, Gerichts= und Kellnereiboten, Kelterknechte, Herbstknechte, den Beuler Bürgermeister und weitere vom Richter bestimmte Gemeindeleute. Der Richter und der Rentmeister erschienen hoch zu Roß, der erstere mit zwei, der Rentmeister mit einem silbernen Sporn. Mitgebrachte Fässer sollten den Kurwein aufnehmen. Eine geeichte Richtkanne war zur Hand. Der Rentmeister und sein Gefolge stiegen zu nächst in den Weinkeller der „schwarzen Kellnerei“. Den Beginn der „Kur“ machten sie beim ersten, der Kellertür zunächst liegenden Faß, „Wenn diese erste Probe nicht gefallet, wird ihnen nicht geweigert, in das nächste, daran folgende Faß zu stechen.

Schmeckt (dem Rentmeister) diese Probe nicht, stehet ihm frei, wiederum an das erste Faß zu treten. Gehet er aber sofort an das dritte Faß, so muß er dabei bleiben, der Wein sei darin süß oder sauer.“ (Prümer Weisrum). „Sie zapfen oder haben die Wahl, bis zum dritten Faß zu proben“ (Reg. 979 von 1465). Den Teilnehmern an der Probe mußte dann der Klosterkellner „aus dem gekürten Faß“ (außer der Richtkanne) soviel Wein zu trinken geben, wie sie wollten.“ (Reg. Nr. 955). Die gräflichen Weingärtner und Knechte, welche nachher die Richtkanne hinauftrugen, mußten allerdings Sorge tragen, daß sie noch einigermaßen auf den Beinen standen, denn „wenn er (der Träger) den Wein beim .Hinausgehen auf der Treppe . .

stürzet, so ist man nicht schuldig, den (verschütteten) Wein gutzumachen (zu erstatten), es sei denn, er habe nicht zuvor seinen Lohn erhalten.“ (Pr, W.) Dieser Lohn bestand in einem Paar Handschuhen oder in 2 Albus 8 Heller „kölnisch“. — Dasselbe genau vorgeschriebene Zeremoniell wiederholte sich in der „weißen Kellnerei“, nur daß hier zwei Richtkannen entnommen wurden und man als besonderes Präsent an den Herrn Grafen zwei Zeunen (Körbe) „ungedrückte“ Trauben dazu gab. Auch der Klosterrather Hof gab zu der Richtkanne Wein noch eine Zeune Trauben, während der Maastrichter Hof lediglich die Richtkanne Wein zu liefern hatte. Ein Paar Handschuhe hatten auch der Klosterrather und der Maastrichter Hof dem Weingärtner zu geben, der Steinfelder Hof deren zwei. — „Nach vollzogener Kür muß an allen vier Stellen ein Mittagsmahl für die Kürherren und die mitgebrachten Personen gegeben werden. Es wird gewöhnlich vorher vereinbart, in welchem Hof die verschiedenen Beamten, Schöffen und Boten in den einzelnen Jahren ihr Gastmahl halten.“ Die „weiße Kellnerei“ hatte dabei stets die besondere Ehre, die Kürherren, also Rentmeister und Richter mit engerem Gefolge, zu bewirten, — Nach alter Gewohnheit riefen zum Schlüsse die anderen Teilnehmer, Knechte usw., welche sich in den drei an« deren Höfen gütlich getan, noch einmal beim Steinfelder Hof an, um die Prominenz zum Heimweg abzuholen. Dabei geschah es meist, „daß sie sich alle …. wieder zu Tisch setzten, neues Essen und soviel zu trinken verlangen, wie sie können. Fast immer geraten sie schließlich — toll und voll — in Durcheinander und Streit.“ (Reg. 1742). Nach dem Gesagten ist es nicht schwer, sich den Heimweg der Corona auszumalen. — Mit der Aufhebung der Klöster in der Franzosenzeit erst erlosch die Gerechtsame des „Kurweins“, nachdem sie wohl 700 Jahre in Übung gewesen war. Eine Erinnerung an den bacchantischen Kurwein=Aufzug mag in dem alljährlichen „Trinkzug“ der aus dem Jahre 1372 stammenden St.=Sebastianus=Schützenbruderschaft in Ahrweiler nachklingen. Auch er stellt an die Teilnehmer hohe Anforderungen.

Bei den in Rede stehenden „Kurweinen“ handelt es sich ausschließlich um Weißwein. Seinen Rotwein, den „Rotspon“, bezog das Erzstift Köln damals zur Hauptsache aus dem kurkölnischen Städtchen Unkel am Rhein. Heute erzeugt das Weinbaugebiet an der Ahr zur Hauptsache Rotwein und erlangte durch seinen „Ahrburgunder“ Weltruf.

BENUTZTE LITERATUR:

Dr. Hans Frick: Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr usw. 1933, im Selbstverlag der Gemeinde Bad Neuenahr. (Reg. Nr. 517, 955, 962, 979, 1446, 1450, 1742 u. 1768).

Jakob Rausch, Kreisarchivar und Rektor i. R., Ahrweiler: Das Kloster Prüm als Grund=, Gerichts=, Markt= und Kirchenherr im mittelalterlichen Ahrweiler, in: Mitteilungen zur Landesgeschichte und Volkskunde in den Reg.=Bez. Trier u. Koblenz. Jahrg. 4 Heft 3 Sept. 1959. (Daraus: Das Prümer Weistum von 1700 (S. 145 ff.).

Derselbe: Handschriftliche Auszüge aus dem Stadtarchiv Ahrweiler.