Krechelheim, ein verlassenes Dorf

VON HEINZ SCHMALZ

Mag das Aussiedeln der Landwirte aus der dörflichen Enge mitten in die Gemarkung heute als ein Zeichen intensiver landwirtschaftlicher Nutzung erscheinen, so kann Westum von sich aus behaupten, daß schon im Mittelalter ein kleiner Teil des Dorfes mit einer eigenen Ortsbezeichnung in die Flur ausgelagert war.

Es handelt sich hier um den Ortsteil Krechelheim. Vielfach wird angenommen, daß es sich um ein selbständiges Dorf handelte. Wie wir jedoch nachstehend erfahren, haben die dort stehenden Gebäude immer zur Gemarkung Westum gehört; die Bewohner waren Bürger von Westum und gehörten auch zur Kirche Westum.

Dieses Krechelheim lag in der Nähe des Weges, der von Westum nach Königsfeld führte, etwa 1 km von der Dorfgrenze in südwestlicher Richtung, in der Nähe der Hengstbachquelle, in Flur 11, bei einer Höhe von 156 NN. Heute wird die dortige Flur mit Krechelheimerfeld oder Wüstung Krechelheim bezeichnet (Wüstung = verlassene Siedlung). Erstmals erwähnt wird Krechelheim schon am 3. Mai 880 (Westum ist seit 836 bekannt). Damals gab der Abt Ansbald von Prüm einem Rudolf Güter in den Dörfern „uuizrichesheim“ (Westum) und „crachilenheim“ (Krechelheim), die im Ahrgau lagen, zur lebenslänglichen Nutzung. Die Urkunde hierüber besagt folgendes: „Im Namen Gottes und unseres Erlösers Jesus Christus, Ansbald, durch Gottes Gnade und Barmherzigkeit Abt der Abtei Prüm, unserem geliebten und verehrungswürdigen Diener in Christi, Rudolf.

Es ist nicht wenigen bekannt, wie du deine in Repuarien in dem Dorf „uuizrichesheim“ und in dem Ahrgau gelegenen Güter und in dem Dorf das „crachilenheim“ heißt und aus den Weinbergen 5 Stück mit den Gütern und alles was dazugehört mit freier und gesetzlicher Gewalt zu deiner und deines Bruders Rotgar Geschenk der Abtei in Prüm zu den Reliquien des hl. Erlösers und sehr vieler Heiligen, wo wir mit Gottes Vollmacht regieren mit einer großen Schar Mönche, in einer öffentlichen Versammlung übergeben. Später war es deine Bitte, daß dir diese Güter zusammen mit anderen uns gehörenden Gütern die im Gau Zülpich in den Dörfern „alibiaco“ und „uuitracha“ dir zur Nutznießung überlassen werden sollten. Weiter ein freies Gut mit Häusern und Äckern und Wiesen und Wäldern mit allem Zubehör, auch die Kirche mit all ihren Gütern und mit den Feldern die zu dem obenangegebenen Besitz gehören und von den Weinbergen in „halmhoue“, mit dem Besitz und dem Haus mit dem Mann Namens Egilbert und seiner Frau und seinen Kindern. Das wir so getan haben, geschah mit der Zustimmung unserer Brüder, mit Ausnahme weniger Lehnsgüter, die wir wegen der Dienste unseres älteren Herren, Ludwig des Jüngeren, zurückgehalten haben, die auch in deiner Schenkungsurkunde niedergeschrieben sind. Das alles haben wir sowohl von deiner Schenkung als auch von der Kirche des hl. Erlösers mit gütigem und gnädigem Herzen dir durch Verleihung zugestanden, zur Nutznießung /u besitzen, solange du lebst, unter der Bedingung, daß du keinerlei Vollmacht hast, diese Dinge zu verschenken und zu verkaufen, zu zerstückeln und zu verändern, sondern in allem zu verbessern und zu bewahren. Wir legen dir auf, in jedem Jahr am Feste Maria-Himmelfahrt, Mitte August, 6 Zehner für die Leuchter der Kirche des Erlösers in Wachs oder Silber abzuliefern. Wenn du von dieser Verfügung langsam oder nachlässig abweichst, machst du dich dem Gesetz nach schuldig und verlierst die Sachen. Auch nach deinem Tode werden die erwähnten Güter mit allem übrigen ohne jeden richterlichen Widerspruch oder Einbruch deiner Erben in unserer Gewalt und Verfügung zurückgerufen. Gegeben unter dem 3. Mai im Jahre IV der Regierung unseres glorreichen Herrn und Königs Ludwig, habe ich Ansbald, Abt des Klosters Prüm, die von mir gemachte Verfügung bekräftigt. (Hiernach stehen viele Unterschriften) .

Festsetzung und Verfügung des Rudolfi von Crachilenheim.“1)

Den nächsten Nachweis des Dorfes haben wir in einem Güterverzeichnis der Abtei Prüm aus dem Jahre 893. Hier war bei den Besitztümern von Ahrweiler auch ein Hof mit allem, was dazu gehört, in „cregellinheym“ aufgeführt. Der Schreiber hatte hierbei noch vermerkt, daß Cregellinheym bei Synzeche liegt und er nicht wüßte, wer die Kirchengüter dort verwalte1).

Die nächste Kunde des Ortes geht in das Jahr 1191 zurück2). Vor dieser Zeit hatte dort ein „Albero von Sinzig“ vor seinem Eintritt in das Kloster Maria-Laach eine Zeit seines Lebens in einer Hütte zugebracht. Im Jahre 1191 gab der Abt Konrad von Laach die Hütte dem Mangold zu Koisdorf zu Lehen gegen einen jährlich auf Martini abzutragenden Zins von 4 Schilling, der zum Jahrgedächtnis des verstorbenen Albero bestimmt war.

Am 23. April 1325 gab der Burggraf Gerhard von Hammerstein seine Güter zu We-stum und „krechgellenheim“ dem Grafen von Jülich zu Lehen3). Am 13. August 1374 meldete der Graf Wilhelm von Wied, daß die Stadt Sinzig und die dazugehörigen Pflege als Wcstum, Löhndorf, Koisdorf und „Krechlin“ pfandweise wieder an ihn gekommen sind4).

Daß Krechelheim kein Dorf für sich war, wird durch die Karte des unteren Ahrtals aus dem Jahre 1571 erhärtet. Alle Dörfer, wie Westum, Löhndorf, Königsfeld usw., sind darin aufgeführt, Krechelheim jedoch nicht5).

In einem Mitgliederverzeichnis der „Bruderschaft der sieben Schmerzen Marias“ (bestehend in Westum seit 1448) sind 1620 550 Mitglieder eingetragen6). Von Krechelheim waren die nachstehenden Mitglieder in der Zeit von 1590 bis 1620 vermerkt:

„Item Johann van kregelem und mettild z. Katharina z. Drütgin (Ehepaar mit zwei Töchtern),
Item Clayb scheffer von kregelem,
Item Henrich van kregelem und frau katharina und katharina,
Item thyl van kregelem und gertyt.“

Da fast alle erwachsenen Einwohner von Westum Mitglieder der Bruderschaft waren, ist anzunehmen, daß gegen 1600 das gleiche für Krechelheim zutraf und somit dort höchstens 6 Familien wohnten.

Im Verzeichnis der Geburten, Todes- und Heiratsfälle von Sinzig ab 1624 sind natürlich die Geschehnisse von Westum eingetragen, jedoch Krechelheim ist nicht erwähnt7). Es ist deshalb anzunehmen, daß der Pfarrer von Sinzig die Bürger von Krechelheim, die als Westumer galten, auch als solche in das Verzeichnis aufgenommen hat.

1632 hatte Sinzig die erste Einquartierung im Dreißigjährigen Krieg8). In den darauffolgenden Jahren ging es in unserer Heimat schrecklich zu. Oft mußten die Bewohner der Dörfer den Schutz der Stadtmauern aufsuchen, um nicht durch herumziehendes lichtscheues Gesindel umzukommen. Selbst die Westumer konnten mit ihrem Pallisadenschutz nur geringen Widerstand leisten. Raubend und plündernd zogen Söldnerscharen durch Dörfer und Städte. Grausame Morde, verbrannte Häuser und verwüstetes Land bildeten ihre Spuren. Dabei wurden einzelne Höfe sowie kleinere Ansiedlungen von ihnen wegen der geringsten Gegenwehr am meisten heimgesucht. In dieser Zeit wurde fast das ganze Land verwüstet, der aufblühende Handel zerstört und der sich bildende Wohlstand vernichtet. Viele Dörfer waren gänzlich verbrannt, geschleift und niedergemacht, die Bevölkerung schmählich zusammengeschmolzen. In diesen wirren Jahren von 1632 bis 16499) hat sich auch in den Dörfern um Sinzig viel Trostloses zugetragen. Da nach dem Westfälischen Frieden keine Zeichen von dem Weiterbestehen des Dorfes Krechelheim zu finden sind, muß angenommen werden, daß auch die dort vorhandenen Häuser den Kriegsereignissen zum Opfer fielen. Ob die Bewohner nach Westum zogen oder umgekommen sind, ist nicht bekannt. Die Pest, die in den Jahren 1666 bis 16688) im unteren Ahrgebiet wütete, fand Krechelheim schon nicht mehr vor.

Über das Vorhandensein des Dorfes sind uns noch einige Nachweise geblieben. So hatten 1670 und später nachweislich Einwohner von Westum Ackerland zu „Krekelen“ oder „Krecheln“‚). Vom 31. 10. 1671 ist uns in einem Grenzstreit das Zeugnis eines 1o3jährigen Johann Brenner erhalten6). Dieser „aust Westumb, jetziger Zeit Pförtner auffm Fürstlichen Hauße Arenbergs, im Man noch guten und unverrückten Verstand!“, sagte über den Besitzerstand der Höchener Hecken aus, daß diese 1632, als er zwei Jahre als Feldschütz zu Westum war, zur Gemarkung Westum gehörten. Da Krechelheim vor dieser Grenze lag, ergibt sich daraus, daß Krechelheim einen Teil von Westum bildete. Am 37. 8. 1682 beschwerte sich die Ahnfrau, Freifrau von Hillesheim, Wittib und Herrin zu Ahrenthal, über die Beweidung mit vier

Gespann Ochsen am Hombüchel durch die Westumer beim Vogt zu Sinzig‘). Die Westumer lehnten am 12. g. 1682 die Beschwerde ab und verwiesen darauf, daß das Land und der Hof Hombüchel, insbesondere die Baucher-Wies, zu Westum gehörten. In diesem Schreiben steht u. a.: „Gleichwie auch die Londorfer so des in der Westumer Mark vor Vordenklicher Zeith gelegenen Dorfes Krechel sich guten bauen mit ihren Schaww un der Pastor hierselbst wegen Beobachtung . . . den Zehneten des selbigen Districtsdorfs krechel genommen . . .“‚). Am 9. -i. 1708 führten die Westumer Klage bei dem Herrending zu Sinzig wegen des „von Freyherrn von Hillesheim zu Ahrendall aufm Beuel new angelegten Baws“ mit dem Bemerken, daß „die ganze landt ahs (als auch) buschstraaß (nach Königsfeld) durch dießen baw versperrt werden solle“6). U. a. heißt es darin: „. . . die Erbauung eines adlig freyen Rittergutes, der Beuler Hof genannt, welcher vor Zeiten von dem allernächst albey und in der nämlichen Westumer Gemarkung gelegenen als genannten Krechelen aufgebaut worden, woselbst kundbarlich einige wenige Häuser gestanden die vergänglich worden.“

Heute zeugen nur noch Scherben und Steine, die mit dem Pflug verschiedentlich an das Tageslicht gebracht werden, davon, wo einstmals sich über viele hundert Jahre freies bäuerliches Leben entfaltete.

  1. Urkundenbuch der mittelrheinischen Territorien, 1860, Band I.
  2. Kreisarchiv, Marienstift Aachen.
  3. Urkunden und Regesten zur Geschichte der Burggrafen und Freiherren von Hammerstein, 1891 (im Staatsarchiv Koblenz, Nr. 308).
  4. Desgl. Nr. 513.
  5. Staatsarchiv Koblenz, Akte 702—1289.
  6. Pfarrarchiv Westum.
  7. Bistumsarchiv Trier.
  8. Bruchhäuser, Heimatbuch der Stadt Sinzig. H) Heimatbuch des Kreises Ahrweiler 1962, Schwedische Soldaten am Mittelrhein.