Ein Bauernhof auf der „Grafschaft“

Ein Bauernhof auf der „Grafschaft“

VON JAKOB DIEDERICH

Hinsichtlich der Lage und Bodenverhältnisse nimmt die „Grafschaft“ in unserem Heimatkreise eine bevorzugte Stellung ein. Der schwere, tiefgründige Lehmboden bietet bei intensiver Bewirtschaftung ein vorzügliches Anbaugebiet für landwirtschaftliche Kulturpflanzen und kann mit Recht als die „Weizenkammer und Zuckerdose des Kreises Ahrweiler“ bezeichnet werden. Viehhaltung und Viehzucht spielen dabei eine verhältnismäßig geringere Rolle. Die Betriebe, meist mittlere bis größere Bauernhöfe, werden durchweg als Eigenbetriebe mit den zur Familie gehörenden Arbeitskräften bewirtschaftet. Die oft notwendig werdende Einstellung von fremden Arbeitskräften stößt aus allzu bekannten Gründen häufig auf nicht geringe Schwierigkeiten. Die Zusammenlegung der Grundstücke ist in vielen Gemeinden durchgeführt, in einigen in naher Zukunft vorgesehen.

Vor uns liegt, von fruchtbaren Feldern und blühenden Obstbäumen umgeben, ein Grafschafter Bauerndorf. Wir besuchen an einem sonnigen Frühlingsmorgen einmal einen größeren Hof, um Einblick in bäuerliche Arbeit und Betriebsweise zu nehmen:

Haus- und Hofform entsprechen der fränkischen Bauweise. Der fränkische Hof zeigt in seinem Grundriß eine geschlossene rechteckige Anlage. Wohnhaus, Ställe und Scheune sind um einen freien Platz angeordnet. Das Wohnhaus liegt immer an der Dorfstraße. Nach hinten stehen zu beiden Seiten des Innenraumes die Wirtschaftsgebäude, die eng aneinander anschließen oder durch Mauern verbunden sind. Die Rückseite des Rechtecks bildet die querstehende Scheune. Der Hof kann nur von der Straße aus durch ein großes, zweiflügeliges Tor betreten werden. Durchschreitet man die Scheune, so gelangt man am Geräteschuppen vorbei auf eine kleine, mit einigen Obstbäumen bepflanzte Wiese und in den Hausgarten.

Lenken wir nun unsere Schritte in das Innere des Wohnhauses! Es ist ein fränkisches Traufenhaus, dessen Längsseite der Dorfstraße zugekehrt ist, im Gegensatz zu dem fränkischen Giebelhaus, das mit dem Giebel an die Straße stößt. Auch dieses finden wir häufig im Dorfgebilde, doch ist es kleiner und wird meist von besitzschwächeren Familien bewohnt. Unser fränkisches Traufenhaus, von dem es übrigens zahlreiche Abweichungen gibt, ist ein Fachwerkhaus und hat zwei Stockwerke. Wie oben erwähnt, kann das fränkische Haus grundsätzlich nur durch das große Tor hindurch vom Hofe aus betreten werden. Um die Jahrhundertwende jedoch hat der Großvater des jetzigen Besitzers in der Mitte der Hausfront eine Tür einbauen lassen, um so durch einen bequemeren Einlaß unmittelbar von der Straße aus das Wohnhaus betreten zu können. So entstand, von der Haustür ausgehend, ein schmaler Flur, der bis zum Hofe durchgeht, und zu dessen beiden Seiten die einzelnen Räume liegen. Die Küche im hinteren Teile des Erdgeschosses gibt den Ausblick nach dem Hofe frei. Der Boden ist noch mit Steinplatten belegt, doch hat die alte Feuerstelle mit dem tief herabgezogenen Kamin einer neuzeitlichen Herdfeuerung Platz machen müssen. Auch die übrigen Küchengeräte, die alten Spinde und „Schottelbänk“ (Geschirrschränke) mußten mit ihren schönen bemalten Schüsseln, Tellern und Töpfen einer neueren Einrichtung weichen.

Dorfstraße in Bengen
Foto: Oscar Lorenz

Nach der Straße zu liegt die „Stuft-“ (Stube), der eigentliche Aufenthaltsraum für die Familie. Eine zweite Stube, die „gute Stube“, auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs gelegen, ist heute gleichfalls mit modernen Möbeln ausgestattet und wird bei Dorf- und Familienfesten (Kirmes, Namenstag usw.) benützt. Die „Kammer“ endlich, ein vierter, kleinerer Raum im Erdgeschoß, dient als Abstellraum. Von hier aus führt eine Treppe, in alter Zeit wohl eine Leiter, ins Obergeschoß, wo die Schlafräume der Familie liegen. Der Speicher, Boden genannt, bildet den Abschluß der Räumlichkeiten. Das Dach ist mit „Pannen“, aus Lehm gebrannten Dachziegeln, gedeckt.

Verlassen wir das Wohnhaus und durchqueren den Hof, um der Scheune einen kurzen Besuch abzustatten! Auf der Tenne steht, sorgfältig gereinigt und mit einer Zeltplane umhüllt, die mit elektrischem Kraftstrom betriebene Dreschmaschine. Geräumig und hoch aufstrebend birgt die Scheune bis unter das Dach hinauf in großer Fülle das Druschstroh der vorjährigen Ernte und läßt uns erkennen, daß der Getreideanbau, insbesondere Weizen und Roggen, das Rückgrat eines landwirtschaftlichen Betriebes auf der „Grafschaft“ ist. Daneben werden natürlich auch Futterpflanzen und Hackfrüchte, in den letzten Jahren in steigendem Maße Zuckerrüben angebaut, die in die Zuckerfabriken des nahen Erftlandes geliefert werden. Neuzeitliche Jandwirtschaftliche Maschinen werden im größten Ausmaße benutzt.

Wenn auch, wie eingangs erwähnt, auf der „Grafschaft“ der Anbau landwirtschaftlicher Kulturpflanzen im Vordergrunde steht, so wäre es doch ein Irrtum anzunehmen, daß Viehhaltung und Viehaufzucht nur als Nebenzweig des Betriebes gewertet würden. Ein Blick in die mustergültigen Stallungen des Hofes überzeugt uns leicht vom Gegenteil. Schöne Pferde sind der Stolz ihres Besitzers. Das Pferd behauptet auch heute im Zeitalter der fortschreitenden Motorisierung als Arbeitstier immer noch seine Stellung, wenn auch die Statistik ein stets Absinken im Bestand dieses treuesten Helfers unserer Bauern erkennen läßt. Während man früher mit Vorliebe Pferde mit Warmblut-Einschlag benutzte und auch züchtete, wird heute fast nur noch das Rheinisch-Belgische Kaltblut gebraucht, das sich für die Bearbeitung des schweren Ackerbodens als das geeignetste erwiesen hat. An Rindvieh wird durchweg das schwarzbunte Niederungsvieh gehalten. Der Mangel an Wiesen und Weiden bedingt zwar meistens die Stallhaltung und Stallfütterung, doch wird dieser Nachteil durch sorgfältige Pflege und zweckmäßige Fütterung des Viehs ausgeglichen, so daß die Milcherzeugung eine stete Steigerung aufweist. Die zentral gelegene Molkerei in Vettelhofen nimmt die überschüssige Vollmilch auf, indem sie so die ehedem heikle Absatzfrage regelt und dem Bauern eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle erschließt. In der Schweinezucht wird das veredelte Landschwein bevorzugt. Die schlachtreifen Tiere sind meist für den eigenen Haushalt bestimmt. Oberzählige Ferkel oder Läuferschweine stehen zum Verkauf. Ein starkes Hühnervolk belebt den Hof. Reinzucht ist selten. Eine Vermischung mit anderen, landfremden Rassen hat sich mehr und mehr durchgesetzt. Dcr Ertrag an Eiern ist gut, da die Pflege und Fütterung des Geflügels fast ausschließlich in den Händen der Bäuerin liegt. So hat die Viehzucht seit einigen Jahren einen mächtigen Auftrieb erhalten, und es ist erfreulich festzustellen, daß in den verflossenen beiden Jahrzehnten, nicht zuletzt auch mit Hilfe des „Grünen Planes“, durch zweckmäßige Stallumbauten und Anlage von neuzeitlichen Jauchegruben und Dungstätten beträchtliche wirtschaftliche Fortschritte erzielt worden sind. Auch der Bau von Gärfutterbehältern, die eine bessere Verwertung und verlustlose Aufbewahrung des Futters ermöglichen, hat in hohem Maße zur Hebung der Viehzucht auf der „Grafschaft“ beigetragen. So ist unser Rundgang beendet. Befriedigt nehmen wir Abschied von einem mustergültigen Bauernhof auf der „Grafschaft“ in dem Bewußtsein und der Erkenntnis, daß dem Bauernstand als Nährstand unseres Volkes mit Recht eine überragende Bedeutung und Wertung zukommt.