Der Weizen — die Krone unserer Feldfrüchte

Von Regierungs- und Landwirtschaßsrat Dr. V. Brandenburger, Landes-Lehr- und Versuchsanstalt Ahrweiler

Der Weizen ist eine uralte Kulturpflanze. Sein Name steht im Zusammenhang mit „weiß“, was wohl auf das Aussehen seines Mehles zurückzuführen ist. Gegenüber anderen Kulturpflanzen hat der Weizen den Vorteil höherer Ertragsleistung bei besonderer Eignung zu lockerem, leichtverdaulichem Gebäck. Außerdem eignet er sich seines Formenreichtums wegen für die verschiedenartigsten Backwaren sowie für die Herstellung von Zwieback, Nudeln, Grünkern, Gries und Stärke. Das Weizenkorn besitzt gegenüber dem von Roggen, Gerste, Mais und Hafer besondere chemisch-physiologische Eigenschaften, die man in ihrer Gesamtheit als „Backfähigkeit“ bezeichnet. Hierunter versteht man die Fähigkeit, ein stark aufgehendes, lockeres, gleichmäßig geportes Gebäck von gutem Geschmack zu bilden. Die gute Backfähigkeit des Weizens beruht zu einem großen Teil auf der Menge und Güte seines Klebergehaltes und wird andererseits noch von mehreren anderen Eigenschaften bestimmt.

Der Kleber besteht überwiegend aus Eiweißstoffen; er nimmt bei dem Backvorgang einen entscheidenden Einfluß auf die Umwandlung der Stärke in Zucker, die Gasbildung, das Gashaltevermögen und die Teigfestigkeit. Klebermenge und Klebergüte werden von Klima und Jahreswitterung beeinflußt, sind aber in sehr starkem Maße erblich bedingt. Im Kontinentalklima ist das Weizenkorn von Natur aus kleberreicher als im maritimen Klima. Bei langsamer Reife in regenreichen Jahren ist der Klebergehalt relativ geringer als bei schneller Reife in heißen und trockenen Sommern. Entscheidend hierbei ist das Wetter in den letzten 8 bis 10 Tagen vor Eintritt der Reife. Wird viel Stärke im Korn ausgebildet, dann ist der relative Klebergehalt geringer als umgekehrt. Die Klebermenge steht also in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu der Stärkeeinlagerung. Sommerweizen hat allgemein mehr Kleber und damit auch einen höheren Backwert als Winterweizen. Auch gibt es zwischen den einzelnen Sorten wiederum mehr oder weniger große Unterschiede. Sehr häufig haben frühreifende Sorten mit langem Stroh, lockerer Ähre und rotbrauner Kornfarbe einen guten Backwert. Viele unserer heutigen ertragsreichsten Sorten erzeugen stärkereiche Körner und sind daher keine guten Kleberweizen.

Der Weizen ist sehr formenreich und weist daher auch in seinen inneren Werteigenschaften weitgehende Unterschiede auf. Die wichtigsten Formengruppen sind die

„bespelzten“

Kulturformen und die

„nackten“

Kulturformen. Bei ersteren ist die Ährenspindel brüchig, die Ähre zerfällt bei der Reife in die einzelnen Ährchen, die Körner bleiben jedoch von den Spelzen fest umschlossen; bei letzteren zerbricht die Ährenspindel nicht, die Körner lassen sich bei der Reife leicht aus den Spelzen lösen. Zu den „bespelzten“ Kulturformell zählen

Einkorn,
Emmer (Zweikorn),
Dinkel (Spelz)

und zu den „nackten“ Kulturformen gehören

Hartweizen,
Rauhweizen,
gemeiner Weizen.

Das Einkorn ist wohl eine der ältesten und primitivsten Weizenformell. Die Ähre ist kurz, sehr dicht, mit glattgedrückten Seiten und sehr langen Grannen. Jedes Ährchen bildet meist nur ein Korn, selten zwei Körner aus, und wird deshalb Einkorn genannt. Das Ursprungsgebiet dürfte der Balkan und Vorderasien sein. Es war den Römern und Griechen schon bekannt. Mit Fortschreiten der Ackerkultur wurde es immer mehr verdrängt und ist heute mit Ausnahme von Spanien, wo es der Graupenherstellung und als Viehfutter dient, als Kulturpflanze nirgendwo mehr anzutreffen.

Foto: Morgenweck
Weizenformen: Von links nach rechts: Einkorn, Emmer, Bartspelz, Kolbenspelz, Hartweizen, Rauweizen

Der Emmer hat eine dichte, von der Seite zusammengedrückte Ähre und ist ausnahmslos begrannt. Die einzelnen Ährchen entwickeln 2 bis 3 Körner. Seine Heimat dürfte ebenfalls in Vorderasien zu suchen sein. Von hier aus gelangte er zunächst nach Ägypten, wo er neben der Gerste in großem Umfange angebaut wurde. In der römischen Kaiserzeit wurde der Emmer schon durch echte Weizenarten immer mehr verdrängt, blieb aber trotzdem gebietsweise noch lange in Kultur. Er ist eine weniger gute Mehlfrucht, eignet sich aber vorzüglich wegen seiner guten Schleimbildung für die Herstellung von Suppen. Während in Deutschland diese Getreideart unbekannt ist, soll sie heute noch in Teilen von Spanien, Italien, Serbien und Südrußland angebaut werden.

Der Dinkel oder Spelz besitzt eine lange, dünne und lockere Ähre. Die Ährenspindel ist zerbrechlich, die Körner bleiben bei der Reife von den Spelzen umschlossen, daher Spelz genannt. Dinkel ist anspruchslos an Boden und Klima, er besitzt vor allem eine große Winterhärte. Die Körner sind sehr kleberreich und ergeben, unreif gedarrt, Grünkern. Im Altertum war der Dinkel den Griechen und Römern unbekannt. Sein Vorkommen beschränkt sich allgemein auf das Wohngebiet des schwäbischen Stammes der Alemannen. Dinkel findet sich daher nur in Süddeutschland und in den angrenzenden Randgebieten, wo auf ärmlichen Standorten in Gebirgslagen sein Anbau unter Umständen lohnender ist als der des eigentlichen Weizens. Der Hartweizen oder auch Glasweizen genannt, besitzt sehr starke, derbe und abstehende Grannen. Das Korn ist glashart und sehr kleberreich; es liefert den Rohstoff für Teigwaren, vor allem Makkaroni. Hartweizen geht ebenfalls bis in die ältesten Zeiten zurück. Seine Urform dürfte wohl der Emmer gewesen sein. Er ist eine typische Pflanze des heißen Steppenklimas. Seine Hauptverbreitungsgebiete finden sich in Nordafrika, Südrußland sowie in Teilen Nord- und Südamerikas. In Deutschland hat der Hartweizen keine Bedeutung. Der Rauhweizen hat eine lange, dicke und dichte Ähre mit starken Grannen. Er besitzt nur eine geringe Winterhärte. Das Korn ist dickbauchig, mehlreich, aber kleberarm. Die Backfähigkeit ist daher schlecht. Rauhweizen liefert den Rohstoff für Gries. Sein Anbau beschränkt sich vornehmlich auf die maritime Klimazone.

Der gemeine Weizen, ist die heute wichtigste und weitverbreitetste Weizenart. Sie ist wie alle Weizenarten sehr formenreich. Nach der Vegetation unterscheidet man zunächst Winterweizen, Sommerweizen und Wechselweizen. Letzterer, der sowohl als Winterung wie als Sommerung angebaut werden kann, spielt jedoch bei uns keine Rolle. Die Ähre kann begrannt, unbegrannt, locker-zylindrisch bis keulig oder auch einförmig sein. Das Korn zeigt Übergänge von weißgelb bis rotbraun und besitzt einen unterschiedlichen Backwert. Auch hinsichtlich der Winterhärte, Standfestigkeit, Bestockungs- und Düngerverwertungsvermögen bestehen bei den einzelnen Sorten erhebliche Unterschiede. Die Kultur des gemeinen Weizens ist ebenfalls schon außerordentlich alt. Seine Heimat ist wahrscheinlich in Südwestasien vornehmlich in Vorderindien, Afghanistan, Buchara und Persien zu suchen. Von hier aus hat er sich über ganz Asien und Europa verbreitet. In Ägypten baute man schon in den ältesten Zeiten neben Gerste auch Weizen. Zahlreiche Gräberfunde und Abbildungen auf Denkmälern sind Zeugen eines ausgedehnten Weizenanbaues in Ägypten bis 3000 v. Chr. Ob es sich hierbei zuerst um den Emmer, dann um den Hartweizen und schließlich später um den gemeinen Weizen gehandelt hat oder ob alle drei Formen schon in den ältesten Zeiten nebeneinander angebaut wurden, ist nicht mit Sicherheit nachgewiesen. Das Alte Testament besagt, daß auch die Hebräer als Getreide hauptsächlich Weizen und Gerste anbauten. Viele Funde bei Ausgrabungen in der Gegend zwischen Jaffa und Jerusalem deuten daraufhin, daß die Weizenkultur auch bei den Israeliten schon sehr alt sein muß. Ein weiterer Beweis hierfür ist der hebräische Opferkultus, der aus dem Pflanzenreich nur Weizen, Gerste, Öl und Wein kannte. Auch im alten Babylon war schon sehr frühzeitig die Kultur des Nacktweizens bekannt. Hier wie in Ägypten wurde der Emmer allmählich durch den echten Weizen verdrängt.

Im alten Rom und im griechischen Kulturkreis scheint man schon von Anfang an den Weizen gekannt und besessen zu haben. Auf Grund der zahlreichen Funde aus grauer Vorzeit läßt sich mit Sicherheit annehmen, daß schon zur Eiszeit in Nordafrika und in den nördlichen Mittelmeerländern Weizen angebaut wurde, der den Menschen als Hauptnahrung diente. Der Weizen ist die mit an erster Stelle stehende Getreideart der Welt, das wichtigste Brotkorn der weißen Völker. Der heutige Weizenanbau überwiegt gegenüber den anderen Getreidearten im Süden und Westen Europas. Weitausgedehnte Anbaugebiete finden sich in der Steppe Südrußlands, in den Donauländern, in Südungarn, im westlichen Teil Rumäniens, im nördlichen Serbien, in Italien, Frankreich und England sowie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Im deutschen Raum nimmt der Weizenbau nur in den Bördelandschaften mit steppenähnlichen Böden und in großen Teilen Süddeutschlands (Dinkel) eine Vorrangstellung ein.

Der Weizen ist eine anspruchsvolle Kulturpflanze. Er verlangt, wenn er hohe und sichere Erträge bringen soll, fruchtbare, in alter Kultur stehende, kolloidreiche Böden gesunder Reaktion neben einer reichlichen Handelsdüngergabe. Die Weizenerträge konnten in den vergangenen 80 bis 100 Jahren in Deutschland durch entsprechende Kulturmaßnahmen, Züchtung ertragreicher Sorten, ausreichende und harmonische Düngung, durch Maßnahmen der Bekämpfung von Krankheiten, Schädlingen und Unkräutern nahezu um das Doppelte bis Dreifache gesteigert werden. Hektarerträge von 50 dz sind heute durchaus keine Seltenheit mehr. Durch die späte Verabfolgung zusätzlicher Gaben leichtlöslichen und schnell wirkenden Stickstoffdüngers zur Zeit des Schoßens bzw. des Ährenschiebens oder durch die Blattdüngung mit Harnstoff in Verbindung mit einem Hormonmittel zur gleichzeitigen Unkrautbekämpfung lassen sich die Weizenerträge noch beachtlich steigern ohne die Ertragssicherheit zu gefährden.

Foto: Dr. V. Brandenburger
Gemeiner Weizen. Von links nach rechts; Carsten V, Heine VII, Ackermanns Herold, Breustedts Weria

Die späte zusätzliche Stickstoffdüngung ist nicht nur eine Handhabe einer weiteren Ertragserhöhung, sondern gleichzeitig auch der einfachste und wirkungsvollste Weg, hohe Klebermengen zu erzeugen und damit die Qualität zu verbessern.

Der Weizenanbau hat in den vergangenen Jahren im Bundesgebiet zunehmend an Boden gewonnen. Der Geschmack breiter Schichten der Bevölkerung wendet sich immer mehr dem leichter verdaulichen Mischbrot und dem reinen Weizengebäck zu. Die mit weniger Ruhe verbundene Lebens- und Arbeitsweise des heutigen Menschen sowie die neuzeitliche Schnellbackweise tragen ebenfalls zu dieser Tendenz bei. Der Ausdehnung des Weizenanbaues auf Kosten des Roggens sind jedoch durch Boden- und Klimaverhältnisse Grenzen gesetzt.

Im Hinblick auf den Gemeinsamen Markt der EWG-Länder wird in Zukunft nur der Absatz von Qualitätsweizen gesichert sein. Die wesentlichsten Merkmale eines Qualitätsweizens sind neben Vollkörnigkeit, Reinheit und Gesundheit, die Klebergüte, d. h. die gute Quell- und Dehnungsfähigkeit des Klebers und ein hoher Klebergehalt. Da nun die Güte des Klebers fast ausschließlich und die Menge desselben auch in etwa erblich bedingt und somit eine Sorteneigentümlichkeit sind, kommt in unserem einheimischen Weizenbau der Sortenfrage für die Erzeugung von Qualitätsweizen in Zukunft eine besondere Bedeutung zu.