Alt-Ahrweiler Erinnerungenund Anekdoten

VON FERDINAND GIES

Ferdinand Gies

Schreiner- und Drechslermeister Jakob Marner wohnte an der Wehrscheid. Er war ein tüchtiger Meister seines Faches; Bildhauerarbeiten ornamentaler und figürlicher Art, wie sie iri der Zeit der Nachahmung des Renaissancestils (zweite Hälfte vergangenen Jahrhunderts) an Möbeln, Haustüren usw. reichlich Verwendung fanden, fertigte er selbst. Er war auch der erste Rendant der Ortskrankenkasse, als eine solche nach Inkrafttreten der ersten Sozialgesetze Mitte der achtziger Jahre hier gegründet war. Später verzog er nach Köln, wo er eine Stelle in der Buchhaltung einer Bank annahm. Marner besaß einen urwüchsigen, wenn auch zuweilen etwas beißenden Humor; abends ging er gerne aus, und wenn es dann meist später, wie beabsichtigt, wurde, war es verständlich, daß seine Frau ihm Vorhaltungen machte. Dem suchte er zwar zuvorzukommen, indem er beim Nachhausekommen sofort selbst mit einer Gardinenpredigt begann, die häufig folgende Einleitung hatte:

„Jo, dou solls dech äwe“ doch Jet schamme, dat dou esuen vesoffene Mann haß.“ Schließlich hatte Frau Marner jedoch die Geduld verloren und verschloß eines Abends nach seinem Weggehen die Haustüre. Alles Klopfen und Rütteln erweichte sie nicht. Anderen Morgens erschien Jakob wieder, ohne jedoch, wie auch den ganzen Tag über, den Vorfall mit einem Wort zu erwähnen. Am Abend ging er wieder fort, hob jedoch vorsorglich die Haustüre aus, nahm sie auf den Rücken und brachte sie mit in die Wirtschaft Großgart, wo er sie in den Flur stellte. Auf die Frage des Wirtes, ob er noch Arbeit abliefern wolle, antwortete er: „Dat aß meng Hausdür, nou loß es zomache.“

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In der Nähe von Marners Haus an der Wehrscheid wohnte ein Geschwisterpaar in vorgerückten Jahren stehend; beides Schneiderinnen, beide von hohem Wuchs, beide auch rothaarig. Marner hatte in Erfahrung gebracht, daß die wegen ihres etwas frömmelnden Wesens bekannten Damen sich abfällig über seine „unsolide Lebensweise“ geäußert hatten. Kurz darauf stand in der Ahrweiler Zeitung folgende Anzeige: Zwei hochstämmige Fuchsien zu verkaufen. Näheres Wehrscheid Nr. soundso.“

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Marner lieferte eines Tages einen für den damaligen Postmeister Cornelius angefertigten Schrank ab und übergab gleichzeitig die Rechnung dem anwesenden Auftraggeber. Dieser guckte hinein und meinte dann: „Der Schrank gefällt mir ja recht gut, ich finde nur, sie haben ihn aber auch teuer berechnet.“ „So, teuer meinen Sie“, erwiderte Marner, „Ihr mößt äwer och bedenke, ech hollen dat janze Johr de Freimarke on Poßkate bei och.“

Bis etwa Mitte der siebziger Jahre bestand in Ahrweiler eine Gesellschaft, die hauptsächlich die Geselligkeit durch Veranstaltungen heiterer Abende mit Vorträgen und Aufführungen von Lustspielen, Schwanken usw. pflegte. Sie nannte sich „Comite“, ihr Vorsitzender war der damalige Stadtsekretär Apollinar Schorn, später Bürgermeister in Kelberg und dann in Garden an der Mosel. Von ihm stammen noch eine Anzahl Liederdichtungen, von denen einige, darunter das von den Ahrweiler Mädchen, Eingang in das Liederbuch der Schützengesellschaft gefunden haben. Dieser Gesellschaft gehörte auch Anton in seinen jüngeren Jahren als Mitglied an. Lange Zeit hatte er nur Zuschauer gespielt und wiederholte Aufforderungen, einmal auf der Bühne mitzuwirken, stets abgelehnt. Als er jedoch in Erfahrung brachte, daß in einem demnächst aufzuführenden Stück ein Mädchen mitspielen sollte, auf das er ein Auge geworfen hatte, ja, daß man ihm die Rolle des Liebhabers dieses Mädchens zugedacht, willigte er ein. Das Stück war eigens für ihn verfaßt worden, er kam im Bratenrock mit sog. Vatermörder auf die Bühne, wo seine Partnerin, die ein Dienstmädchen spielte, vor einer mächtigen Waschbütte stand. Ein Weilchen unterhielt man sich über das Wetter, dann sprang Anna plötzlich zur Türe, kuschte und rief schreckensbleich ihrem Freier zu: „Schnell, verstecke dich, die Madam kommt“; ein Versteck ist aber nicht zu finden, „dann schnell in die Waschbütte“ ruft sie, ich,, schütte zwei Körbe Wäsche auf dich“. Es erschien die Madam und trat zur Waschbütte. „Ja, Anna, was machen sie denn, die Wäsche ist ja noch trocken, weichen sie sofort ein“. Nun war in der Probe verabredet, das Einweichen solle nur markiert werden. Die Madam entfernte sich und das Stück ginge weiter und bekäme einen schönen Ausklang. Böse Buben hatten aber drei Eimer Wasser bereitgestellt, die ergossen sich alsbald über den Liebhaber zur Abkühlung. Kerzengrad schnellte Anton in die Höhe, riß sich die triefenden Lappen vom Leibe und schrie wütend in den Saal: „Ech hat och gesaat, et soll kein Wasser geschott wäre.“

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Wie der leibhaftige Hans Sachs, im wehenden, weißen Bart, so saß Schuhtnachermeister Fritz Palm in der Werkstatt zu ebener Erde und meist bei offenem Fenster auf seinem Schusterstuhl und hämmerte, stach und nähte von früh bis spät. Passanten blieben vielfach stehen und sahen ihm zu, Scherzworte flogen dann hin und her. Dagegen konnte er nicht leiden, wenn Ahrtouristen, durch das Firmenschild aufmerksam gemacht, ihm das schöne Liedchen darbrachten: „Bei Palms, do aß die Pief verstopp.“ Dann kam der starke Fritz unversehens zur Tür heraus, lief mit staunenswerter Beweglichkeit den Sängern nach und ließ den Spannriemen auf ihrem Rücken tanzen mit den Worten: „Du sings net mich, gelt“. Nur mit den hier zur Kur weilenden Gästen konnte er sich besser vertragen, weil sie ihm ab und zu Arbeit brachten. So kamen eines Tages zwei junge Damen in die Werkstatt, um reparierte Schuhe abzuholen. Der Meister war damit beschäftigt, einen Pechdraht einzufädeln, was ihm aber anscheinend nicht gelingen wollte, denn er sagte zu der einen Dame: „Ich sehe nicht mehr gut, wollen sie nicht mal versuchen, einzufädeln, Fräulein?“ Nun ist an der Pechdrahtspitze bekanntlich eine Schweinsborste befestigt zwecks leichter Einführung in die Öse. Diesmal war die Borste aber stark gekrümmt und trotz mehrfachen Durchziehens durch den Mund gelang der jungen Dame das Einfädeln nicht. Auch die Freundin, die hierauf das Gleiche versuchte, hatte mit wiederholtem Anfeuchten keinen Erfolg. „Net wahr, es gerät nicht“, sagte hierauf Meister Palm, „et hat aber doch sicher gut geschmeckt, denn dat Hoar is aus mingem Bart.“

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Wohl das originellste der Originale der ganzen Ahrgegend war vor einem Menschenalter der „Beule Hendrech“. Er charakterisierte sich einmal selbst, als Neuenahrer Kurgäste einen Ulk mit ihm angestellt hatten. Man hatte ihn neu „eingekleidet“ mit einem verschlissenen, fettglänzenden Kellnerfrack mit viel zu kurzen Ärmeln, mit einer Hose, die so lang war, daß er darauf lief, nur die Stiefelspitzen mit einigen Zehen guckten heraus; auf dem Kopfe, in dem ein schielendes Auge stand und eine etwas schiefe Adlernase, saß ein zerbeulter Zylinder, der hinten eingeschnitten war, damit er richtig im Nacken hing, kurz, vorzüglich geeignet, als Vogelscheuche in die Gerste gestellt zu werden. In diesem Aufzug mußte Hendrich einen Topf mit Senf durch die Straßen Bad Neuenahrs tragen zu der Zeit, wenn der Verkehr am stärksten war. Bekannten, die ihm begegneten (und hier lag das Motiv seines Gebarens), rief er zu: ,,Me kann sech riet jeckeg genog stelle, für de Grosche zu kreie“. Am ändern Tage gab Henrech im gleichen Kostüm ein Gastspiel in Ahrweiler mit verändertem Programm, wobei ich, zu meiner Schulzeit war’s, zufällig unter den Zuschauern und -hörern war. Er stand vor einer Wirtschaft dicht am Ahrtor und sang die „Eifeler Litanei“ (eine nicht gerade geschmackvolle Bezeichnung von ihm). Hier leierte er die Spitznamen fast aller Orte der Ahr, Grafschaft und Eifel herunter, wobei er in Ermangelung eines Instruments seinen Singsang mit „Klitschen“ der Finger begleitete, worin er Virtuose war. Die Spitznamen begannen mit „Ahrweiler Böckenskräme“ (eine in Verbindung mit den Stadtmauern häufig gehörte Bezeichnung gebrauchte Henrich für Sinzig), dann kam „Jeulsche Schinnebröde“, „Lantesche Maubeg“ (eine Bezeichnung für ein tortenähnliches Kirmesgebäck, mit Birnenbrei belegt) usw. Nach je ein paar Wörtern wurde der Sänger heiser, dann reichte ihm ein Gast aus der Wirtschaft ein Glas Tröppelbier aus dem Büttchen unter dem Bierfaß. Das trank er in einem Zuge aus, und dann wartete er einen Augenblick mit dem Weitersingen, denn er wußte, daß das Bier alsbald auf umgekehrtem Wege in hohem Bogen wieder zum Vorschein kam, weshalb sich der Zuschauerkreis wohlweislich in respektvoller Entfernung hielt. Die Szene wiederholte sich etwa ein halbes Dutzendmal in steter Steigerung, bis Henrich plötzlich ein paar Schritte vorwärts torkelte, in die Straßenrinne geriet, darin strauchelte und der Länge nach in der Gosse landete, die damals keineswegs so sauber wie heute war. Zwei Männer zogen ihn hoch, er konnte leidlich gehen, man führte ihn durch das Ahrtor auf die heutige Friedrichstraße (damit er nicht in die Ahr geraten sollte), gab ihm einen Schubs, nachdem man ihm zuvor einen Zettel hinten auf die Frackschöße geheftet hatte, auf dem zu lesen stand: „Vorsicht, geladen!“ Dann torkelte er weiter, sein diesmaliges Gastspiel war beendet.