Vor 75 Jahren in Remagen geboren: Rudolf Caracciola

Josef Hoss

„Nach kurzer schwerer Krankheit verstarb am 28. September 1959 im Alter von 58 Jahren Rudolf Caracciola.

Mit ihm verliert der Automobilsport einen der besten Rennfahrer, der der sportbegeisterten Jugend weit über Deutschlands Grenzen hinaus mehr als drei Jahrzehnte lang Vorbild war.“

So hieß es vor fast zwanzig Jahren im Nachruf der Daimler-Benz AG zum Tode des prominentesten und berühmtesten deutschen Rennfahrers, der eine ganze Epoche an Entwicklungen auf dem Automobilsportgebiet erlebte, hundert erste Siege in internationalen Rennen errang, dreimal „Deutscher Meister“ und fünfmal „Europameister“ wurde.

Ganz besonders in Remagen war die Trauer groß: ein weltberühmter Sohn der Rheinstadt war nicht mehr, der „Caratsch“, wie er am Rhein liebevoll genannt wurde, ein Mann, der von seiner Vaterstadt einmal sagte: „Nicht viele Kinder hatten eine so sorglose und glückliche Jugend, wie ich sie in Remagen am Rhein verlebte!“

„Man schreibt den 30. Januar 1901… Unweit von Bonn liegt die Stadt Remagen am Ufer des breiten Rheins.“ Eisiger Wind weht über den Fluß, hin und wieder Hört man vom Wasser her ein glucksendes, berstendes, schürfendes, fast unheimliches Geräusch. Stromabwärts treibende Eisschollen reiben einander. Es ist kalt, aber des dauert lange, ehe der Strom zufriert. Nur der kleine Hafen von Oberwinter ist gänzlich vereist.

Wenige Fenster am Ufer sind erhellt. Im schönsten Hotel mit seiner breitfenstrigen Veranda sitzen am Stammtisch die Honoratioren des Ortes. An diesem Abend aber ist der Besitzer jenes schönen, großen Hotels, der bekannteste Weingroßhändler, Mundschenk der Herren im Kreise, seltsam nervös. Der Gastgeber — das ist sonst gar nicht seine Art — verläßt heute allzuoft den Tisch. Ist er nicht anwesend, so schüttelt man den Kopf, tuschelt zuweilen.

Da aber kommt er wieder — völlig verändert, freudestrahlend…: „Es ist ein Junge!“ So kann man es nachlesen im Buch von Ernst Rosemann (1935) „Rudolf Caracciola. Das Leben eines Rennfahrers.“ Und weiter heißt es „an diesem 30. Januar 1901 wurde Rudolf Caracciola geboren. Urahnen von ihm — vor 300 Jahren — waren napolitaner Bürger.“

Folgende Namen von Vorfahren Rudolf Caracciolas liegen auf dem Standesamt in Remagen vor Eltern des Rudolf Caracciola: Kaufmann Otto Julius Georg Maximilian Caracciola (1866— 1915) Maurine Lambertine Mathilde geb. Preutz (1867-1937) Großeltern väterlicherseits:

Weinhändler und Gastwirt Johann August Otto Caracciola (1816 -1886)
Adelheid geb. Schulze (1829 in Stolzenberg/Pommern — 1894)

Großeltern mütterlicherseits:
Josef Preutz und Clementine geb. Forst
(keine weiteren Angaben)

Urgroßeltern väterlicherseits: Kaufmann Hubert Michael- Caracciola und Anna Maria Armbruster (kejne weiteren Angaben) und der Königliche ökonomierat Julius Schulze und Louise geb. Karbe, beide zuletzt wohnhaft im Rittergut Schulzendorf bei Arnswalde.

Beim Start zum Großen Preis auf dem Nürburgring (Startnummer 5: Rudolf Caracciola)
Repro:Kreisbildstelle

In die glückliche Jugendzeit des Rudolf Caracciola fällt auch der Bau der berühmten Brücke von Remagen. Darüber lesen wir im Buche von Rosemann u. a.:

„Rudi Caracciola, den Oberrealschüler, der jeden Tag den weiten Weg nach Oberkassel bei Bonn zurücklegen muß, interessiert am meisten der neue Brückenbau über den Rhein, die Ludendorffbrücke. Beim Bau hat man eine Verkehrsregelung eingerichtet. Einmal dürfen die Schiffe nur stromabwärts, ein andermal nur stromaufwärts fahren. In einem Kilometer Abstand sind am Ufer Wärterhäuschen aufgebaut, von denen aus der Schiffsverkehr mit Flaggensignalen einmal in dieser, einmal in jener Richtung freigegeben oder gesperrt wird. Und eines dieser .

Wärterhäuschen steht just an der Stelle, wo Rudi immer mit dem Fährkahn über den Rhein muß, um nach Oberkassel zur Schule zu kommen.

Rudi ist ein Lausbub wie Jeder andere, schwänzt gern einmal die Schule, hält sich während der Schulzeit in jenem Wärterhäuschen auf und bewundert den Mann, der mit zwei einfachen Fahnen den ganzen Schiffsverkehr auf dem Rhein sozusagen in einer Hand hat. Eine süffige Flasche aus dem väterlichen Keller überzeugt den Wärter des Verkehrs schließlich davon, daß dreizehnjährige Jungen gerne Fahnen schwenken… So hat Rudolf Caracciola seine ersten Beziehungen selbständig zu internationalen Verkehrsfragen aufgenommen!“ ‚

Caracciola-Feier in Remagen: v.l. die Rennfahrer Hermann Lang, Jochen Maass und Innenminister Heinz Schwarz
Foto: Döhrn

Er selbst berichtet im Autobuch“ Rennen-Sieg-Rekorde“, das er zusammen mit Oskar Weller 1942 schrieb, weiter darüber „Wie ich zur Rennfahrerei kam? Das ist eine Geschichte für sich, die eigentlich schon mit meinem 12. Lebensjahr anfängt.

Ich hatte eine wunderschöne Jugendzeit. Mein Vater war Hotelier am Rhein, sein Sohn ein Lausbub mit einem wilden Interesse für alles, was mit Technik zu tun hatte. Das begann damit, daß ich auf Papas schon lithographierten Briefbogen Kataloge bei sämtlichen Automobilfabriken bestellte. Nun war ja die Adresse „Hotel Caracciola in Remagen“ nicht ganz unbekannt, und so kam es, daß die Fabriken nicht nur pfundweise das bedruckte Papier schickten: sie sandten gleich ihre Vertreter ins Haus. Das gab längliche Gesichter und jedesmal einen guten Trunk auf den Schreck, wenn sie dem zwölfjährigen „Interessenten“ vorgeführt wurden.

Dann kam der Krieg… Um die gleiche Zeit begannen die ersten streng verbotenen Fahrversuche auf einem betagten, „leihweise“ entwendteten 16/45er Mercedes, die dieser ohne wesentliche Beschädigung überstand. Nun darf man sich ja nicht vorstellen, daß ich mich etwa ans Lenkrad setzte und vom göttlichen Blitz des Genius getroffen wie ein Irrer mit 100 „Sachen“ durch Remagen brauste.. Im Gegenteil: wenn ich auch aus allerlei schönen Büchern recht gut über den Umgang mit Kraftwagen Bescheid wußte, war die Praxis nur um so aufregender. Ich raufte mich mit dem Automobil herum, das sich ruckweise in drolligen Sprüngen vorwärts bewegte, geriet mit der Lenkung in schreckliche Konflikte, schaltete, daß die Zahnräder im Getriebe krachten und sämtliche Fensterscheiben in den Häusern bis hinauf zum dritten Stock klirrten. Die volle Breite der Straße reichte für meine Fahrkünste eben aus, bis ich mit einem rätselhaften, beinahe unergründlichen Defekt liegen blieb: der Benzintank war leer! Das war meine erste Berührung mit einem lebendigen Automobil, und ich habe dabei genau so gepatzt wie jeder Autosäugling, der zum ersten Mal am Lenkrad Platz genommen hat.“

Das alles war nicht nach dem Sinn des Vaters. „Mein Vater hätte es gern gesehen, daß ich studiert hätte“, schreibt Caracciola in seinem Buch „Meine Welt“. „Dieser Plan aber scheiterte daran, daß er Inhalt der Bücher mit dem Inhalt meines Kopfes nicht in Übereinstimmung zu bringen war. So verließ ich mit dem Einjährigen die Schule. Kurz darauf starb mein Vater. Der Familienrat entschied, daß ich irgendwo in einem ersten Hause den Hotelier-Beruf von Grund auf erlernen sollte. Wenn ich ausgelernt hätte, sollte ich im väterlichen Hotel mitarbeiten.

Ich aber wollte Rennfahrer werden! Schließlich schloß man einen Kompromiß: ich wurde als Volontär in eine Autofabrik nach Aachen gesteckt.“ Zu dem Wunsch, Rennfahrer zu

werden, äußert sich Caracciola weiter „Ich glaube, daß jeder Mensch alles erreichen kann, was er will! Ich glaube auch daran, daß jeder Mann, der den Drang zu einem Beruf stark genug in sich fühlt, einmal zu diesem Beruf kommt, gleichgültig, wie viele Umwege er machen muß.

Ich wollte Rennfahrer werden von meinem 14. Lebensjahr an. Mein Wunsch schien aussichtslos, denn in den bürgerlichen Kreisen, in denen ich aufwuchs, galt Rennfahrer als eine Passion spleeniger reicher Leute oder als eine besondere Art von Artistik, etwa wie Seiltanzen…

In meinem Leben hatte ich keine andere Passion als Rennen zu fahren, den Bruchteil einer Sekunde schneller zu sein als der andere… Wenn ich durch meinen halsbrecherischen Beruf und den in Rennen gesammelten Erfahrungen dazu beigetragen habe, das Automobil zuverlässiger und sicherer zu machen, dann war mein Leben am Lenkrad mehr als nur ein Kampf um den Sieg!“

Dort nun, wo Caracciolas „erste Berührung mit einem lebendigen Automobil“ stattfand, auf der Remagener Rheinpromenade, hatte die Stadt Remagen durch Bürgermeister Hans Peter Kürten Ende 1976 zu einer Caracciola-Gedenkveranstaltung eingeladen, die unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Dr. Helmut Kohl, stand: Rudolf Caracciola, der auf den Höhen von Lugano/Schweiz seine letzte Ruhestätte gefunden hat, wäre 75 Jahre alt geworden.

Der Rennsport von gestern, heute und morgen gab sich zusammen mit zahlreichen Ehrengästen, darunter Innenminister Heinz Schwarz als Vertreter von Dr. Kohl, Regierungspräsident Heinz Korbach und Landrat Dr. Christoph Stollenwerk, ein Stelldichein.

„Ein wohlgelungener Festtag“, so war im Dankschreiben der noch lebenden Geschwister Caracciolas (Rudolf Caracciola hatte vier Geschwister), Frau Ilse Bausch-Caracciola (79) und Otto Caracciola (82) an die Stadt Remagen und Bürgermeister Kürten zu lesen.

Möge man den Vorschlag nicht aus den Augen verlieren, an Remagens Rheinpromenade ein Denkmal zu Ehren des berühmten Sohnes zu errichten!