MAI – ein Kalenderblatt

von Peter Kremer

Nun ist es soweit! Alles sprießt und treibt, alles muß blühen, und es ist für jedes Geschöpf eine Lust zu leben. Die Wiesen gleichen dem Sternenhimmel, und wo Sumpfstellen sind, liegen die klatschgelben Eierkuchen der Dotterblumen darüber. Die Kornhalme schießen in die Höhe wie Armeen von Spießen, die das blaue Licht durchbohren wollen, der Klee wird fett und üppig, und in den Ställen schnaufen und schmatzen die Kühe vor Wonne am ersten saftigen Grünfutter. Die Buchenwälder schlagen ihre junggrünen Wogen über uns zusammen, die riesigen Saumfichten haben rote Blütenkerzen aufgesteckt, die Kiefern färben mit Schwefelgold die Maare und Weiher. Alle borstigen Hecken sind plötzlich in liebliche Schönheit gehüllt, und auch die spätesten Gewächse, Walnuß und Rebe, öffnen langsam ihre Augen. In den Gärten verschwendet sich der Frühling; der Flieder, der weiße und der blaue, verströmt seinen Duft; Maiglöckchen, Schneeballen, Kaiserkronen, Türkenbund, Feuerdorn und Flammende Herzen blühen zwischen den Kuppeln der weißen Obstbäume. Auch alles Getier feiert den Wonnemonat: Aus den Amsel- und Schwalbennestern gieren junge Schnäbel, der Kuckuck ruft von Morgen zu Morgen früher, Schmetterlinge flimmern durch die Sonnenstrahlen, Hummeln summen über den Blüten wie der Brummbaß der Dorfmusik, und in der Abendstunde schlägt die Nachtigall traumsüß ihre trunkenen Töne; Die Fische springen, die Wildenten sind toll vor Liebeslust. Maßlos ist das Blühen, maßlos die Lebensgier. Die ganze Erde ist in Wohlgeruch gehüllt und schwebt auf Lerchenflügeln, alle Herzen sind blühende Gärten, aus denen Träume wie bunte Vögel emporsteigen, Schlösser im Blauen bauen wir, und Liebende ersinnen Gedichte. Alles ist Schönheit, alles ist Jubel und Lust, alles ist Liebe. Mit Spuk und Hexenzauber beginnt der Monat. Die Walpurgisnacht geht ihm voran; da wird alles auf den Kopf gestellt, viel Schabernack hält das junge Volk auf den Beinen. Der Liebsten wird der Maibaum gestellt, die Unholden und Treulosen werden mit Häcksel und Kalk vor der Haustür gekennzeichnet. Heidnischer Zauber rumort im Blute, der will in dieser Nacht hinaus. Ehemals läuteten die Glocken während der ganzen Nacht, die Spukgestalten des Winters endgültig zu vertreiben, die Wachstumsgeister zu wecken, die Saaten zu segnen. Hexennacht ist, uralter Dämonengraus wehrt sich zum letztenmal gegen die hellen Geister des Frühlings; der Frühling siegt, und am ersten Maitag feiert die ganze Welt ihr Maifest, das Blütenfest der Menschheit. Da ruht die Arbeit, jung und alt zieht hinaus in den Lenz, die Wälder erklingen. Maiumzug und Mairitt sind Überreste alter Frühlings- und Feldkulte. In den Dörfern werden auf dem Mailehen die Mädchen für ein Jahr versteigert. Der Maibaum mit seiner bunten Krone steht auf dem Dorfplatz, und der Maitanz läßt Mädchen und Burschen springen und singen in der überschäumenden Maienlust. Bis zum Tag der Himmelfahrt Christi und da und dort bis zum Pfingstfest dehnen sich die Maiumzüge aus, Prozessionen und Wallfahrten wurden es in christlicher Zeit, und in den Städten entwickelten sich aus dem alten Maireigen oft die Schützenfeste auf der Wiese vor dem Stadttor.

Als Gegengewicht des heidnischen Spuks der Walpurgisnacht und zum Übermut des ersten Maitags stellte die Kirche auf diesen ersten Tag des Monats gleich zwei Apostel als Schutzheilige: Philippus und Jakobus. Sie kamen vom Wasser, waren Fischer am See Ge-nezareth, bevor sie Menschenfischer wurden. Und so, wie sie als Männer vom Wagser am Tor des Monats stehen, haben die Bauersleute den Mai gerne naß. „Mai kühl und naß, füllt dem Bauer Scheun‘ und Faß“, heißt der Wunsch. „Auf Philippi und Jakobi Regen folgt reicher Erntesegen.“ Die beiden Apostel dürfen getrost noch etwas zögern mit Sonnenschein und Hitze. Sie dürfen noch mit Regen und Sturm fackeln: „Philippi und Jakobi san ach noch zwa Grobi“, lachen dann die alten Dorfmänner, und die Heiligen verstehen diesen herzhaftGn Spott. Am 4. Mai folgt Sankt Florian, der vor Feuersnot beschützen soll. Maigewitter sind Dukaten wert, die Zeit der Donnerwetter fängt an. Wie war man ehemals, bevor es Brandversicherungen und Blitzableiter gab, hilflos dem Feuerstrahl der Wetterwolken preisgegeben! Christi Himmelfahrt soll unter Donner und Blitz geschehen. Aber auch mit dem Feuerpatron wird ehrbar gescherzt; die Mailuft läßt die Menschen ein wenig über die Stränge gchlagen, und der Übermut macht auch vor dem Heiligen nicht halt. „Heiliger Florian, verschon‘ unser Haus, zünd‘ andere dafür an!“, hieß es, wenn ein Gewitter drohte, und noch schelmischer zwinkert uns eine Hausinschrift an:

Foto: Kreisbildstelle
Maibaum

„Mein Haus, das stand in Gottes Hand,
Und dennoch ist es abgebrannt.
Ich hab‘ es wieder aufgebaut
Und nun Sankt Florian vertraut.
Gerät es abermals in Brand,
Gereicht’s dem Heiligen selbst zur
Schand.“

Hinter dem Feuerheiligen kommen die Eisheiligen anmarschiert. Mit ihnen ist nicht zu spaßen, sie sind zu fürchten, die gestrengen Herren Pankratius, Servatius, Bonifatius. Sie kommen mit Knüppel, Schwert und anderen Marterwerkzeugen. Der Winzer bangt am meisten vor ihnen und den Nachtfrösten in ihrem Gefolge. Er nennt sie die „Essigsau-ern“, die Weindiebe. Sie haben schon manchen Weinjahrgang den Fässern vorenthalten. „Pankraz, Servaz und Bonifaz, die stehlen wie ein Spatz.“ „Die drei auf azi, das sind die größten Lumpazi.“ Darum gehen ihnen die drei Bittage vorauf. Da wallen die ernsten Bittprozessionen durch die Fluren/ da werden alle Heiligen angerufen, daß sie Korn und Wein beschützen mögen vor Frost und Fäulnis, Dürre und Wurm. Das ist trotz des Ernstes allemal ein wunderschönes Wallen in der Morgenfrühe durch die Frühlingspracht, wenn der frische Maienschein um uns lacht und der allererste Mohn rot am Ackerrande brennt. Ja, brennen soll nun auch das Menschenherz, bis in den innersten Winkel lodernd durch all das hindurchgehen, was des Schöpfers Liebe und Güte uns jetzt entgegenblühen und duften läßt.

Aber gleich nach den Eisheiligen droht noch einmal die kalte Sophie (15.). „Ehe die kalte Sophie vorbei, ist nicht sicher vor Kälte der Mai.“ Erst dann ist es geschafft, erst dann kommt der Vorsommer. Hinter dem Wasser-und Brückenheiligen Nepomuk (16.) muß es endlich trocken und warm werden. Die Winzer warten auf die Blütengescheine der Reben, darum soll im letzten Drittel des Monats eitel Sonnenschein herniederstrahlen. Da steht Sankt Urban (25.), der große Weinheilige, alle Reben im Moseltal sind gekrümmt wie sein Hirtenstab. Er muß Sonnenwärme bringen. „Sankt Urban hell und rein, segnet die Fässer ein.“ „Ist auf Urban das Wetter schön, wird man volle Weinstöck‘ sehn.“ Und auch der Ackersmann braucht seine Hilfe; denn „Sankt Urban, dem Herrn, verdanken die Ähren den Kern.“ An seinem Festtag hielten ehemals die Winzer ihre Weinbergsprozessionen, wobei sie das geschmückte Bildnis des Heiligen im Wingert von der Sonne bescheinen ließen. Regnete es jedoch auf Ur-banitag, dann wurde er für seine Unachtsamkeit und schlechte Fürbitte bestraft. Sie tauchten seine Figur in den Fluß und zogen sie durchs Wasser, um den Heiligen am eigenen Leibe fühlen zu lassen, wie übel das Wasser sein kann. Die gesunde fromme Zeit des Gleichklangs zwischen Erde und Himmel erlaubte es, auch mit den Heiligen bäuerlich und derb-spöttisch umzugehen. Wie fein und klug zugleich hat der fromme Winzerspruch die Macht Sankt Urbans gedeutet: „Wenn Sankt Urban lacht, dann tun die Trauben weinen“ — wobei die Zweideutigkeit des letzten Wortes uns schmunzeln läßt — „wenn Sankt Urban weint, dann gibt’s der Trauben kleinen.“

Der Monat Mai ist heute im katholischen Volk ganz der lieblichsten Blüte der Menschheit geweiht, der Maienkönigin Maria. Ansätze zu diesem besonderen Lobe Mariens im Blütenmonat finden sich schon bei den Mystikern des Mittelalters, deren Herzen die Marienminne entsprang. In der Zeit der Romantik eroberte sich der Marienmonat die ganze katholische Welt, und noch heute schmücken in allen katholischen Häusern die schönsten Blumen aus Garten und Feld ihren Maialtar, Jetzt erklingt sogar in der Kirche das Lob der froh erwachten Natur mit ihrer bunten Farbenpracht, und die Vöglein werden aufgefordert, miteinzustimmen in den Preisgesang auf die makellose Blüte des Himmels. Und wie nahe lag es, auch den weltlichen Muttertag, den unsere Zeit erfunden hat, in diesen Monat zu legen. Er ist Sitte geworden, er hat Hausrecht erworben in allen Familien. Besonders die Väter lassen sich den Muttersonntag nicht mehr rauben, damit sie ihr schlechtes Gewissen einmal im Jahre in Wohlgefälligkeit einhüllen können, indem sie dem Hausmütterchen einen Blumenstock auf den Morgentisch stellen. Wenn der Mai zu Ende geht, wartet die Welt auf den Pfingsthauch des Heiligen Geistes. Pfingsten ist ein Fest des Monats Juni, wenn die rote Farbe in der Natur vorherrscht, wenn die roten Rosen blühen, der Klatschmohn brennt, die Päonien gluten und auf den Fensterbänken die Geranien leuchten. Pfingsten ist das Fest der Liebe, deren Farbe das blutende Rot ist. Dann nähert sich schon das Jahr seinem Gipfel, und unsere Hänge und Hügel strahlen im Goldgewand des Ginsters wie im Saum vom Königsmantel Gottes.