Lohn für heilige Besessenheit

VON NORBERT WAGNER

Der große lodernde Mensch und Künstler war allein. Nicht nur, daß er für diesen Tag, da draußen erglühend leuchtendes Sonnengold und warmer beglückender Glanz schimmernd auf Wegen und Fluren lag, daß er sich eingeschlossen hatte in dem ärmlichen Zimmer, in dem Halbdunkel gleich einem Lauernden stand. Der große feierliche Mensch Beethoven war für immer allein, vereinsamt, denn sein Ohr vernahm nicht mehr die Laute, die um ihn waren. Dafür um so wilder, verzehrender und gewalttätiger brandeten in ihm leidenschaftlich starke Töne, die seine Seele ihm gab im immerwährenden Kampf, die seine Tage erfüllten und noch seine Nächte durchglühten als alles überbrausende Flammen.

Beethoven war allein. Seit dem frühen Morgen hatte er nichts genossen. Die Hände auf dem Rücken verkrampft, durchmaß er ungestüm immer wieder den kleinen Raum, in den kein Sonnenstrahl eine leise Helle nur entsenden wollte. Der Meister rang mit seinen unaufhörlichen Schritten den gigantischen Ansturm auf ihn eindrängender Melodienströme, schrille Dissonanzen und flutende Harmonien nieder. Sein Geist suchte die klare Ordnung in diesem anstürmenden Meer, suchte aus den inneren Gewalten, die ihn zerquälten, innige Tonperlen zu finden, zusammenzubinden, auf daß ein herrliches Adagio daraus erklinge. Immer wieder brach wilde Flut darüber herzu. Er unterbrach sein Stürmen, blieb am Fenster stehen, sah die vorüberhastenden Menschen, die zu ihren Geschäften eilten und denen Kälte die Gesichter rötete. Nur für Sekunden blitzte es in seinen Gedanken auf, daß sein Zimmer den ganzen Tag ungeheizt blieb, denn er hatte die Wirtin, als sie Feuer in den kleinen Ofen tun wollte, ziemlich barsch hinausgewiesen. Er wollte allein bleiben. Sie war solches gewöhnt und ließ ihn zufrieden. Er hätte doch nicht nachgelegt. Wie tat ihr der Große leid. Wie traurig war es anzusehen, wenn er von seinen Schöpfungen überwältigt fast zusammenbrach und dabei ein stetes Elendsdasein führte.

Wie gering lohnte man ihm seine großen Werke. Daß es unerhört feierliche und große Tonschöpfungen waren, die er am seinem aufstürmenden und zerrissenen Innenleben hergab, das fühlte selbst diese alte Frau, die von Musik blutwenig verstand. Aber sie zitterte, wenn sie, wie sie es oft tat, heimlich hinter der Türe lauschend stand und den tauben Meister auf dem Flügel wühlen und wüten hörte, zwischendurch seine seltsam aufbrausende schrille Stimme schreien, aufschreien hörte, als käme es von einem verwundeten Tier. Und für solche Musik warf man diesem künstlerischen Menschen stets nur so viel als klingenden Lohn hin, daß er dafür eben ihr das kleine unfreundliche Zimmer und gewißlich spärliches Essen bezahlen konnte. Darüber hatte er nichts. Ganz selten, daß er hin und wieder nebenan im Gasthaus „Zur Krone“ eine Flasche billigen Weines erstand. Wenn sie selbst — es war gar selten genug — einmal ein Stück Braten übrig behielt, so brachte sie es ihm hinein, und der rasch aufflackernde Dankesblick des großen Künstlers war ihr dann schönster Lohn. Aber die Menschen, die seine Schöpfungen kauften, die hätten ihn doch besser behandeln können. So mußte sie oftmals denken, und das tat ihr sehr weh.

Und nun war es gar Weihnachtszeit. Ein trauriges Fest würde es geben. Beethoven hatte einige Wochen hindurch krank gelegen. In dieser Zeit hatte sich niemand um den Großen gekümmert, und er hatte nichts verdienen können. Der Gigant dachte nicht an das bevorstehende Fest. Als Dämmerung sein Zimmer wie mit dunklem Traum anfüllte, gedieh ein neues Werk. Es floß ihm in befreienden Strömen zu. Er hatte es sich selbst vorgespielt, und er fühlte tiefinnen, daß es gelungen war. Glanz der Schaffensfreude und ihr Schmerz zugleich verschönten sein verbittertes Gesicht. Einen Tag hatte er gerungen, aufstöhnend sich selbst zerquält, bis diese wundervolle Melodienkette vor ihm aufblühte und ihn mit schmerzhafter Gewalt ergriff. Einen Blick lang hatten heiße, wild daherstürzende Tränen sich befreit, es stieß ihn umher und es war gleichsam wie lindernd über sein zitterndes Innen geflossen, den drängenden innersten Kampf beendend.

Beethoven packte die eilig beendete Niederschrift zusammen, nahm seinen Hut und stürzte hinaus. Die kalte Luft draußen traf ihn wie ein Schlag. Von seiner Stirn perlte Schweiß. Achdos eilte er an den mit Gcschenkeinkäuf en beladenen, frohglücklich dreinschauenden und laut schwatzenden Menschen vorüber. Manche blickten dem vom Schöpferischen noch sichtlich wirren Meister nach. Niemand kannte ihn. Vor des Verlegers stattlichem, lichterfülltem Haus hielt Beethoven einen Augenblick lang inne, sah auf das Paket in seinen Händen nieder, während ein schmerzlicher Zug vertiefend auf sein Antlitz trat. Dann ging er hinein in den glanzvoll eingerichteten Salon, der ganze Behaglichkeit ausstrahlte. Hier saß der ärmlich gekleidete Meister dem Verleger gegenüber. Der suchte ihm auseinanderzusetzen, daß er mit Musikschöpfungen gerade jetzt so sehr überlaufen sei, viele junge Köpfe ihn mit ihren Erzeugnissen überhäuften, aber er nehme selbstverständlich diese neue Arbeit des Meisters. Er klingelte einem Diener, der dann auf sein Geheiß dem Wartenden zwei Gulden überbrachte. Beethoven hatte sich erhoben, blickte auf die Münzen nieder, um die sich seine Hand dann krampfte, nickte kurz Dank und stürmte hinaus. Zerrissenheit überdeckte sein Gesicht. Grenzenlose Enttäuschung sprach darin und ward von Weh überflutet. Draußen stürzte er durch die Straßen. Wieder sahen die Menschen diesem ungestümen Sonderling nach, wie er gestikulierend sich einen Weg bahnte. In seinem Zimmer angelangt, warf der Meister der Wirtin die Geldstücke hin, riß von einem Notenblatt, worauf verschnörkelte Zeichen zu sehen waren, ein Stück ab und schrieb rasch ein paar Worte nieder. Sie hob es vor die Augen, las und blickte ihn verstehend an. Dann eilte sie, seine Wünsche zu erfüllen. Eine Stunde später, als längst lieblich Bratenduft ihre kleine Wohnung durchzog, breitete sie ein blütenweißes Tuch über Beethovens Tisch, den sie unters Licht rückte, deckte, brachte dann lächelnd eine Flasche guten roten Weines herbei und erschien mit einem mächtigen Stück des Gebratenen. Beethoven spielte nun ein kurzes, nur leises Lächeln auf seine Züge. Er setzte sich nieder, nickte der guten Frau noch kurz zu, dann ließ sie ihn allein. Den Hunger stillen zu können, machte den Großen vergessen, daß er sich mit dem Lohn für seine herrliche Schöpfung einmal satt essen konnte. Es mochte auch für zwei Tage länger reichen. Er dachte nicht darüber nach. Daß das Werk nicht mehr eingetragen, für das er ein Stück seines Lebens dahingegeben, es mochte in ihm zehren und ihn quälen. Beethoven aß und vergaß die vielen Dunkel des Lebens.