Höchstes Lob

Höchstes Lob*)

Wein, wer ist so mächtig wie du, birgt Gnade, 
Würze, die beseligt, den Rausch, der Flügel 
schenkt und Glut, die Himmel des Hoffens zündet 
alltrunkener Träume!

Wäre ohne dich auch nur einer jener 
Dome, die Europa seit langem haut, stets 
formend Unbegreifliches nach den Maßen 
wechselnden Innerns ?

Könnten ohne deine Gewalten um uns 
Symphonien Klangwunder schaffen, die das 
Nimmermüde binden an Takt und Rhythmus, 
Sein als ein Werden ?

Gähnten unsre Wände nicht leer, nicht ohne 
Bilder, wie die Meister sie aus dem Ur-Sinn 
schaffen, der das Dunkel der Schöpfung hebt ins 
Licht des Geschauten ?

Stüden nicht, Gespenst des Erstarrens an dem 
Kreuzweg geistigen Ringens der Philosoph, wenn’s 
dich nicht gäbe, Rebe, die birgt des Grundtuns 
heimliche. Feuer?

Keine Zeche ragte den Bergen, und kein 
Bagger an den Gruben, nicht einer hoher 
Schlote, die um Hochöfen wissen und die 
Stahlwalzen-Straßen . . .

Wären Wiegen mit ihren Kindern, Brücken, 
die der Ufer Völker verbinden, Flieger 
zwischen Kontinenten und über Meeren 
unter den Sternen? 

Wein, Europas Gabe: dich muß ich loben 
Riesling, Merlot und den Traminer, Rhein 
und Mosel, Ahr — wer kennt alle Namen, die wie
Oden bezaubern:

Ungarn, Spanen, Portugal und Italien, 
Deutschland — alle Engel an ihren Münstern 
lächeln dir ins Wirken verborgenen Glaubens 
tiefste Choräle!

Theodor Seidenfaden 

*) Aus dem noch unveröffentlichten Zyklus „MÄCHTE“.