Friedrich Jügel, Professor der Kupferstechkunst in Berlin (1772 – 1833)

Foto: Klaus Aehle, Köln 
Friedrich Jügel
nach einem vor 1810 entstandenen Scherenschnitt von unbekannter Hand

Friedrich Jügel,

Professor der Kupferstechkunst in Berlin (1772—1833)

VON DR. HEINRICH APPEL

Vor zweihundert Jahren, am 22. Juli 1772, wurde in Remagen der Kupferstecher Friedrich Jügel geboren. Kein Künstlerlexikon nennt seinen Geburtsort, und auch in Remagen selbst weiß man nichts über diesen rheinischen Graphiker, den der Lebensweg schon früh mit Ehern und Geschwistern über Düren in die Hauptstadt Preußens führte. Nur das Pfarrarchiv der evangelischen Gemeinde in Remagen gibt Jügels Geburtsdatum und die Namen seiner nächsten Angehörigen preis, wenn man, auf ihn aufmerksam geworden, den verwischten Spuren der musisch begabten Familie nachgeht. Die wiedergefundene Jahreszahl der Geburt mag deshalb ein Anlaß sein, nach zweihundert Jahren in seiner engeren Heimat auf Friedrich Jügel, den Professor der Kupferstechkunst an der einst königlich preußischen Akademie der Künste in Berlin, und auf seine Familie hinzuweisen.

Jügel gehört zweifellos nicht zu den Genies unter den deutschen Graphikern, die, von einer übermächtigen Phantasie beflügelt, Grabstichel und Radiernadel in Bewegung setzten. Das zeigt schon ein Vergleich mit seinem Mentor, dem Danziger Daniel Chodowiecki (1726_1801), der in Jügels Elternhaus verkehrte und als der gute Geist der Berliner Akademie angesehen werden darf. Chodowiecki hatte den Berlinern bewiesen, wie man selbst im bescheidenen Rahmen des kleinen Bildformates durch gute Beobachtung der Wirklichkeit und ideenreiche Einfälle der graphischen Kunst in der Hauptstadt neues Leben zuführen konnte. Jügel jedoch war und blieb Reproduktionsstecher. Er widmete sich zeitlebens der selbstgestellten Aufgabe, die bildnerischen Erfindungen seiner künstlerisch tätigen Zeitgenossen, der Maler, Bildhauer und Architekten, mit Hilfe der ihm durch die Akademie vermittelten Kupferstich- und Radiertechnik in angemessener graphischer Übersetzung sachlich wiederzugeben und für die Vervielfältigung herzurichten. Seitdem die Berliner Akademie unter dem neuen König Friedrich Wilhelm II., dem Neffen, und Nachfolger Friedrichs des Großen, der Pflege der Stecherkunst ihre besondere Aufmerksamkeit zugewandt hätte, schien gerade der vervielfältigenden Graphik in der Residenzstadt ein neuer Aufschwung beschieden zu sein. Am 1. Februar 1787, im jugendlichen Alter von vierzehn Jahren, wird der Nichtpreuße Friedrich Jügel in diese Anstalt aufgenommen.

Foto: Hist. Museum, Frankfurt (Main)
F. Jügel undNilson: Panorama-Ansicht von Frankfurt (Main) nach F. J. Ehemant, erschienen im Verlag des Bruders Carl Jügel

Minister Freiherr von Heinitz hatte eingesehen, daß die Verbreitung von Reproduktionen sowohl für den Staat wie für die Akademie, wenn diese den Verlag übernehmen würde, einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor darstellte. Wurde in Berlin bis dahin der zeitgenössische französische Kupferstich als vorbildlich anerkannt, so eiferte man unter der Regie von Friedrich des Großen Nachfolger dem englischen Reproduktionsstich nach, konnte man doch feststellen, daß der Export englischer Kupferstiche dem Herstellungsland jährlich 35000 Pfund Sterling einbrachte. In Daniel Berger (1744—1824) glaubte der betagte Vizedirektor Chodowiecki den geeigneten akademischen Lehrmeister dieser Kunst gefunden zu haben, zumal dessen Technik qualitativ dem englischen Verfahren am nächsten kam. Nur so ist es zu erklären, warum eine im Jahre 1793 entstandene Arbeit des neunzehnjährigen Jügel einen englischen Kupferstich zum Vorbild nahm. Thematisch stellte dieser Stich allerdings kein Ereignis aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte dar, worauf man in Berlin an höchster Stelle begreiflicherweise besonderen Nachdruck legte, sondern die Sterbeszene eines englischen Generals. Der siegreicheTruppenführer James Wolfe war 1759 bei der Eroberung der von den Franzosen besetzten Festung Quebec in Kanada gefallen und der amerikanisch-englische Maler Benjamin West (1738-1820) hatte die Sterbeszene für die Nachwelt in einem großen galeriewürdigen Gemälde im Jahre 1770 festgehalten. Für die entsprechende Verbreitung dieses figürlich sorgsam aufgebauten Historienbildes hatte der englische Graphiker William Woollett (1735—1785) gesorgt, dessen Arbeit« nun wiederum Jügel als Unterlage für seine eigene Reproduktion benutzte. Jügels jüngerer, 1783 in Düren geborener Bruder Karl, der spätere Frankfurter Verlagsbuchhändler und Kupferstichsammler, erzählt in seinen 1856 im Druck erschienenen und 1921 neuaufgelegten Lebenserinnerungen, wie eines Tages der Kronprinz von Preußen, noch bevor er sich König Friedrich Wilhelm III. nennen durfte, bei der akademischen Preisverteilung Jügels Bruder Friedrich in einem zierlichen Körbchen eine silberne Medaille als Auszeichnung überreicht habe. Es ist denkbar, daß diese Anerkennung den oben erwähnten Stich vom Heldentod des englischen Generals betraf, blieb doch dieses Blatt in der Familie auch später ein beliebter, offenbar mit Stolz vorgezeigter Wandschmuck. Aus dem folgenden Jahr 1794 kennen wir dagegen ein feinsinniges kleinformatiges Profilbildnis Jügels in Punktiermanier, das H. W. Singer in seinem Handbuch für Kupferstichsammler (3. Aufl. Leipzig 1923) vorzüglich abbildet. Es stellt die durch ihre Cagliostro-Erinnerungen bekannt gewordene baltische Dichterin Elisa von der Recke (1756—1833) dar und ist anscheinend von Jügel unmittelbar nach dem Leben geschaffen worden. Aus dem Jahre 1788 wissen wir sogar von einem Bildnis, das den 16jährigen Jügel selbst wiedergab und in Berlin von dem Hamburger Porträtisten Friedrich Carl Gröger (1766—1838) gezeichnet wurde. Vier Jahre später hat es der aus Vorderindien stammende Harry John Penningh, der sich damals ebenfalls in Berlin aufhielt, lithographiert, so daß uns das erhaltene Blatt eine anschauliche Vorstellung vom Aussehen unseres rheinischen Landsmannes in seinen Ausbildungsjahren vermittelt.

Es gehörte zur musischen Atmosphäre „des Jügelschen Hauses, daß auch die Geschwister Jügels eifrig zeichneten, malten, Stickmuster entwarfen und Handarbeiten ausführten. So beteiligte sich beispielsweise die gleichfalls in Remagen geborene Schwester Henriette (1778—1850) mit gemalten Porträtminiaturen an den jährlichen Akademie-Ausstellungen in Berlin und auch der bereits erwähnte jüngere Bruder Karl (1783 bis 1869) unterließ es nicht sich in zeichnerischen Kompositionen aktueller Geschehnisse zu versuchen, wenn ihm auch für eine genaue Ausarbeitung der Figuren die Ausdauer fehlte. Als sich noch vor dem Tode König Friedrich Wilhelms II. um den Kronprinzen und seine wegen ihrer Anmut viel bewunderten Gemahlin, die spätere Königin Luise, ein neuer Hofstaat zu bilden begann, finden wir die in Remagen geborenen Schwestern Christiane (1770-1836) und Louisa Jügel (1776-4341) als Gesellschafterinnen bei Hofdamen der Königin wieder. Die Harfen, mit deren Spiel sie sicherlich auch bei Hofe zur musikalischen Unterhaltung beitrugen, bewahrten beide noch im oberbergischen Gummersbach auf, wohin die Mutter,“ bald nach dem Tode ilires in Berlin verstorbenen Gatten mit den Töchtern übergesiedelt war.

Alles dies läßt vermuten, daß sich der Vater Johann Friedrich Jügel d. Ä., der hier bisher noch nicht genannt wurde, von seinem Umzug in die preußische Hauptstadt für seine Pläne eine günstige Verbindung mit einflußreichen höfischen Kreisen in der Residenz versprochen haben muß. Er war eine abenteuerliche Natur, die es nicht lange an einem Ort aushielt. In Ben-dorf bei Neuwied hatte der angeblich aus Hamburg stammende Zitzfabrikant, Kaulhändler und Chemiker, „der Färbereien einrichtete“, im Jahre 1767 die Schöffentochter Anna Wilhelmine Kirberger (1738—1808) geheiratet, deren Vorfahren von der unteren Mosel stammten. Es ist möglich, daß der ruhelos nach dem Stein der Weisen Suchende, nachdem er in Vak lendar, Remagen und Düren in Verbindung mit der regionalen Tuchindustrie vergebens experimentiert hatte, in Berlin endlich sein Glück fand, doch kennen wir bis heute weder sein Geburts- noch sein Todesdatum. Immerhin gehörte Vater Jügel dem gehobenen Kaufmannsstand an, in dessen Luft Musisches und Bildung des Geistes ungestört gedeihen konnten, wenn es die wirtschaftliche Lage erlaubte. Kehren wir zu seinen beiden Söhnen zurück, so ist festzustellen, daß wir über den Frankfurter Verleger Karl weitaus besser informiert sind, als über seinen um elf Jahre älteren Bruder Friedrich, unseren Kupferstecher aus Remagen. Hatten uns die noch heute lesenswerten Lebenserinnerungen Karl Jügels erst auf die Spur Friedrichs d. J. gebracht, so ergaben sich bei weiteren Nachforschungen erhebliche Schwierigkeiten. Der Leser weiß, daß die Berliner Sammlungen geteilt sind. Es kommt hinzu, daß Friedrichs graphische Blätter, da es sich meist um Reproduktionen handelt, in diesen Sammlungen durchweg nicht unter seinem eigenen Namen, sondern unter dem, jener Autoren registriert sind, deren Werke er für die graphische Wiedergabe verwendet hatte. Auch hat man der hier geschilderten Epoche der deutschen Reproduktionsgraphik, soweit es sich nicht um die 1796 bis 1797 erfundene Lithographie handelt, bisher nur ein geringes Interesse entgegengebracht. So müssen wir uns notgedrungen darauf beschränken, die weitere Wirksamkeit Friedrich Jügels summarisch zu behandeln, Die historischen Themen im Werk Jügels sind inhaltlich weitgehend von den aufwühlenden politischen Ereignissen bestimmt, an denen Berlin in der napoleonischen Zeit vom Niedergang Preußens bis zu den Freiheitskriegen und in der darauffolgenden Restauration nicht gerade arm war. Gottfried Schadow, Hans Adolf Dähling, Ludwig Wolf und Friedrich Lieder sind die Künstler, mit denen Jügel in diesen Jahren häufiger zusammenarbeitete. An die Stelle von bemerkenswerten Hoffesten, und Theaterereignissen, die seine Nadel festhielt, treten nun Szenen militärischen Charakters. Selbst reine Uniformblätter hat Jügel vervielfältigt. Man darf darüber jedoch nicht vergessen, daß er auch Bildnisse und topographische Ansichten wie ein Panorama Frankfurts am Main und das große Aquatintablatt des Berliner Schauspielhauses nach einer Zeichnung seines genialen Erbauers, des großen Carl Friedrich Schinkel (1781—1841), geschaffen hat.

Foto: Museum Dahlem (W. Steiß
Friedrich Jügel Aquatinta-Radierung mit der Ansicht des von C. F. Schinkel entworfenen und gezeichneten „Neuen Schauspielhauses“ in Berlin (1819 bis 1821)

Vornehmlich in der soeben erwähnten, um 1767 durch den Franzosen Leprince eingeführten Aquatintatechnik scheint sich Jügel hervorgetan zu haben. Es war dies ein Radierverfahren, das durch seine flächenhaften, an Tuschpinselzeichnungen erinnernde Wirkungen eine besondere Kenntnis im Umgang mit der Ätzsäure voraussetzte. Offenbar erwies er sich gerade in diesem Bereich als der gelehrige Sohn seines experimentierenden Vaters, des Chemikers Jügel, wenn ihn seine Berliner Künstlerkollegen bewundernd und vielleicht auch ironisch den „Aquatinta-Zauberer-Jügel“ nannten.

Als Professor gehörte Friedrich Jügel d. J. der geselligen „Berlinischen Künstlervereinigung“ an. Gottfried Schadow (1764—1850), der Bildhauer und Akademiedirektor, hat uns eine um 1825 bis 1826 entstandene Porträtzeichnung aus der reifen Zeit Jügels hinterlassen, die als Erinnerung an die traditionelle Herrenpartie dieser Vereinigung zur Pfaueninsel bei Potsdam gedacht war. Sie ist zugleich das letzte datierbare Zeugnis, das wir bis jetzt von Friedrich Jügels Existenz haben. Seine letzten Lebensjahre sind wie die seines Vaters bis zu seinem Tode im Jahre 1833 zunächst noch in Dunkel gehüllt. Man weiß nicht einmal, ob er eine Familie hinterlassen hat.

Das lebendige, später lithographierte Bildnis vermittelt uns den sachlichen Ernst eines selbstbewußten, sein Gegenüber kritisch prüfenden Mannes, dem ein gewisses Maß an Überheblichkeit zuzutrauen ist. Man vermutet in ihm eher einen kalkulierenden Geschäftsmann als einen Romantiker, der er wohl, nach seinen Arbeiten zu urteilen, auch nicht gewesen ist. Wissen wir auch vorläufig nichts über seinen weiteren Lebensweg und seine eventuellen Nachkommen, so bieten uns die Nachfahren seiner Schwester Louisa, die im Jähre 1804 in die oberbergische Kaufmanns- und Künstlerfamilie Heus er hineinheiratete und des Bruders Karl, der sich 1816 mit der reichen Frankfurterin Mimi Schönemann, der Nichte von Goethes Braut Lili verband, eine Vielfalt von Beziehungen zur rheinischen Literatur-, Kunst- und Kulturgeschichte, die eine Gesamtwürdigung der Jügelsippe lohnenswert erscheinen lassen. Doch würde auch eine nur andeutende Schilderung den Rahmen dieses ersten kurzen Hinweises, wie er hier versucht wurde, in unzulässiger Weise sprengen.