Die 1848er Revolution im Ahrtal

Die Gustav-Heinemann-Stiftung schrieb 1974 einen Wettbewerb aus, bei dem Darstellungen über den Verlauf der revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 unter Berücksichtigung der Vorgänge des Heimatgebietes einzureichen waren. Mit einer gemeinsamen Arbeit beteiligten sich an diesem Wettbewerb auch Marie-Theres Bier, Beate Kintzen und Monika Tempel aus Bad Neuenahr- Ahrweiler und erreichten einen 4. Platz. Der folgende Beitrag ist aus ihrer Arbeit auszugsweise entnommen.

Das Jahr 1848 in Deutschland

Das Jahr 1848 war ein Jahr der Unruhen für ganz Europa. Im Februar 1848 forderten in Paris die Kleinbürger und Arbeiter gleiches Wahlrecht und rechtliche Sicherung ihrer Arbeitsplätze. Diese „Februarrevolution“ war die erste Arbeiterrevolution und mit ihr schien das politische Bewußtsein der Arbeiter geweckt zu sein. Beendeten doch zur gleichen Zeit Karl Marx und Friedrich Engels ihr „Kommunistisches Manifest“ mit dem Aufruf: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“

Doch als schon im März 1848 der Funke der Revolution auf Deutschland übersprang, standen für die Mehrzahl der Revolutionäre nicht Pressefreiheit, Vereinsrecht und Volksbewaffnung im Mittelpunkt, sondern die Errichtung eines liberal-demokratischen deutschen Nationalstaates mit einem gesamtdeutschen Parlament und einer deutschen Verfassung. Die Ziele waren nicht, wie in Frankreich, Arbeit und Brot, sondern politische Rechte, bürgerliche Freiheiten und nationale Einigung Deutschlands. Ein Zwischenfall auf dem Berliner Schloßplatz führte am 18. März 1848 zum blutigen Berliner Barrikadenkampf zwischen den Truppen des Königs und Bürgern, Studenten, Arbeitern.

Durch Betonung der nationalen Idee in seinem Aufruf an das „Volk und die deutsche Nation“ versuchte der König, die Revolution in den Griff zu bekommen, und er erlaubte die Wahl einer preußischen Nationalversammlung zur Ausarbeitung einer liberal-demokratischen Verfassung. In den letzten Märztagen bildeten 500 führende deutsche Liberale in Frankfurt (Main) ein „Vorparlament“, das die allgemeine gleiche Wahl der verfassungsgebenden Nationalversammlung vorbereitete. Am 18. Mai 1848 trat dieses frei gewählte Parlament in der Frankfurter Paulskirche zum erstenmal zusammen und begann die Ausarbeitung einer Verfassung für ganz Deutschland.

Im Sommer 1848 legte die Nationalversammlung die „Grundrechte des deutschen Volkes“ vor, die das Recht des einzelnen sicherten und den tragenden Bestandteil des liberalen Staatsgrundgesetzes bildeten. Im März 1849 war die Verfassung fertiggestellt und vom Parlament angenommen. Man hatte sich aufgrund des Artikels 2 der Verfassung – „Kein Teil des Deutschen Reiches darf mit nicht-deutschen Ländern zu einem Staat vereinigt sein“ – für einen kleindeutschen Bundesstaat entschieden. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. wurde von der Nationalversammlung zum erblichen Deutschen Kaiser gewählt; doch dieser lehnte, überzeugt vom Gottesgnadentum des Herrschers, die Krone ab. Damit war die Revolution in Deutschland gescheitert.

Das Revolutionsjahr im Ahrtal

Die Revolutionsereignisse der Jahre 1848/49 spiegelten sich auch im politischen und kulturellen Leben dieser Zeit im Ahrtal wieder. Schon einige Tage vor den Berliner Barrikadenkämpfen war der Ahrweiler Bürger Dahmen bei den Mitunterzeichnern der Petition der rheinischen Liberalen vom 11. März 1848.

Etwa zur gleichen Zeit beriet der Gemeinderat von Ahrweiler unter dem Vorsitz von Bürgermeister Clotten über eine Immediat-Eingabe (Sofort-Eingabe) an Seine Majestät, in der die Wünsche der Bürger vorgetragen wurden.

Pressefreiheit

Eines der dringensten Wünsche der Zeit war die Pressefreiheit. Dabei schlössen sich auch Bürger den Freiheitskämpfern nur der Rebellion willen an, ohne recht zu wissen, um was sie eigentlich kämpften. Die Pressefreiheit wurde gewährt und führte im Ahrtal zur Gründung der ersten Zeitung für die Kreise Ahrweiler und Adenau. Dieses „Kreisblatt für die Kreise Ahrweiler und Adenau“ erschien zweimal wöchentlich, sonntags und donnerstags, im W. Strüder-Verlag, Ahrweiler. Der Abonnementpreis betrug 10 Silbergroschen vierteljährlich, „durch die Post bezogen etwas mehr“. Die Insertionspreise je Zeile oder deren Raum beliefen sich auf einen Silbergroschen. Eine Ausgabe des „Kreisblattes“ umfaßte vier Seiten und erschien 1848 noch im Kleinstformat 21 x 27 cm, während sie 1849/50 bereits im Format 21 x 33 cm erhältlich war. Die Redaktion forderte ihre Leserschaft zunächst zu reger Teilnahme und Mitarbeit auf. Die Bedeutung des neuerworbenen Rechtes wurde nicht von allen Bürgern richtig verstanden. So führten Vereine und Privatpersonen unerbittliche Pressefehden miteinander. Der eklatanteste Fall dieser Zeit ist die Auseinandersetzung zwischen dem Adenauer Bürgermeister Ignaz von Meurers und dem Landtagsabgeordneten des Kreises Adenau Baur. In ihren Artikeln und Stellungnahmen versuchten sie sich gegenseitig den Rang des besseren Demokraten abzulaufen.

Um solchem mißverstandenem „Freiheitsbewußtsein“ in Zukunft vorzubeugen, sah sich die Kreisblatt-Redaktion zu einer öffentlichen Bekanntmachung betreffs Pressefreiheit veranlaßt.:

„Da bei der eingetretenen Preßfreiheit viele Leser dieses Blattes in dem Glauben sind, daß man jetzt alles, was man auf dem Herzen hat, frei und offen durch dieses öffentliche Organ aussprechen kann, so sieht sich die Redaktion veranlaßt, hiermit zu erklären, daß gerade durch die Preßfreiheit auch eine größere Verantwortlichkeit für sie eingetreten ist, und daher jeden bitten muß, die erlangte Freiheit nicht durch schmutzige Persönlichkeiten zu entwürdigen, die jedes rechtlich denkende Herz beleidigt, sowie daß alle Artikel mit dem Namen des Verfassers oder Einsenders versehen und auf Verlangen von der Ortsbehörde legalisiert sein müssen, im Falle sie zur gerichtlichen Untersuchung gezogen werden können; dagegen wird auf Wunsch der Namen des Einsenders geheim gehalten. Interessante Aufsätze, welche sich für dieses Blatt eignen, werden gratis aufgenommen, alle anderen Insertionen aber, können nur gegen Bezahlung der Einrückungsgebühren aufgenommen werden.“

Vereinsleben

Gab es auch in punkto Pressefreiheit peinliche Mißverständnisse, so nutzten doch die meisten politisch interessierten Bürger die erlangten Freiheiten zu einem erfreulichen Engagement.

Die zahlreichen Vereins- und Gardengründungen dieser Zeit geben darüber Aufschluß. So kam es bei der Präsidentenernennung des „Volksvereins für den Kreis Ahrweiler“ zu einer heftigen Kontroverse zwischen Gustav Theißen aus Ahrweiler, der sich ohne ordentliche Wahl zum Präsidenten erhoben hatte, und dessen Kontrahenten Gustav Lauffs aus Oberwinter. Auch die Junggesellen- und Jungfrauenvereine begnügten sich nicht mehr mit ihren traditionellen Bräuchen, sondern wagten erste politische Aktivitäten. Die größte politische Effektivität scheinen jedoch der „Bürgerverein im Kreise Ahrweiler und Umgebung“ und der „Handwerkerverein Ahrweiler“ gehabt zu haben. Unter der Leitung des Sinziger Bürgermeisters Giersberg, des späteren Berliner Nationalversammlungs-Abgeordneten, entwickelte der Bürgerverein eine rege Tätigkeit.

Nach der Tagesordnung beschäftigte sich der Bürgerverein u. a. mit folgenden Fragen:

„1. Unbedingtes Verbot, mit Dampf kraft den Rhein zu befahren, sobald derselbe aus den Ufern getreten ist;

2. daß die Dampfboote nur in der Mitte des Stromes fahren dürfen, und daß die Gesellschaft den bis jetzt verursachten und allen weiteren Schaden ersetzen muß;

3. Not der Winzer und Abschaffung der Moststeuer;

4. Abschaffung der Todesstrafe.“

In der Chronik der Schützengesellschaft Ahrweiler, die allgemein als stark demokratisches Element galt, werden für die Revolutionsjahre 1848/49 „keine besonderen Vorkommnisse“ vermerkt. Lediglich eine Statutenänderung nach dem Grundgesetz der Gleichheit aller wurde vorgenommen. So konnte bis 1848 in die Kompanie der Königsbegleitung nur der eintreten, der entweder König oder 8 Jahre lang Offizier gewesen war oder aber ein öffentliches Amt bekleidete. Dieses Privileg der Beamten wurde am 6. August 1848 „als nicht mehr zeitgemäß“ abgeschafft.

Die Auswanderungen nach Amerika

Interessant ist auch ein Blick nach Amerika. Die furchtbare Notzeit der 40er Jahre und die politischen Unruhen und religiösen Konflikte 1848/49 bewogen viele Ahrtalbewohner zur Auswanderung in die „Neue Welt“. Bekanntmachungen über Auswanderungen finden sich in großer Zahl im „Kreisblatt“.

Dabei hatte der Briefkontakt mit den Ahrtal-Auswanderern einen Einfluß auf die politische Stimmung im Ahrtal. Die Briefschreiber vermittelten ihre Erfahrungen mit der neugewonnenen Freiheit und unterstützten so ideel die Freiheitskämpfer in unserer Heimat.

Durch derartige Bestärkungen aus Übersee und den übrigen deutschen Staaten animiert, nahmen die politischen Aktionen der Bürger tagtäglich ein größeres Ausmaß an.

Flugblatt des Jahres 1848

Als sich erste anarchistische Tendenzen zeigten, schritt man zur Bildung einer Bürgergarde oder Bürgerwehr, die die Sicherheit des Eigentums und der Person gewährleisten sollte.

Politische Aktivitäten

Über politische Aktivitäten berichten Meldungen und die zweimonatigen Berichte der Bürgermeister an den Landrat wie auch des Landrats an die Regierung. So meldet am 30. März 1848 Bürgermeister Surges von Hönningen, daß „in der Nacht vom 29. auf den 30. März das Schild, welches der hiesigen Bürgermeisterei gehört und mit dem königlichen Adler versehen ist, oben den Fenstern hiesiger Bürgermeisterei gestohlen worden ist“. In einem Schreiben des Landratsarntes Adenau vom 7. Mai 1848 an den „Führer der Bürgerwehr und Vorsteher der Volksversammlungen“, den Adenauer Beigeordneten Joh. Nie. Baur heißt es:

„Es ist höheren Orts Anzeige geschehen, daß in einer am verflossenen Sonntag zu Adenau gehaltenen Volksversammlung die Entfernung des Bürgermeisters, Kreisförsters und Kreistierarztes beredet worden und die weiteren Entschlüsse in einer heutigen Versammlung beabsichtigt werden. Hierdurch bin ich veranlaßt zu bemerken, meine Herren, das etwaige ungesetzliche Demonstrationen nur unheilbringend wären und besonders den Urhebern schwere Verantwortlichkeit aufladen würden. Ich muß vor Ungesetzlichkeit warnen und sie dringend ersuchen, zur Erhaltung der Ruhe und Ordnung sowie zur Sicherheit der Person und des Eigentums nach Kräften mitzuwirken.

Das Recht kann nur auf dem Wege des Rechts gesucht werden; durch eine Abweichung von diesem Wege würde das Begehren mit sich selbst in Widerspruch geraten.“ Der Bürgermeister von Adenau berichtet am 26. Mai 1848 an den Landrat:

„Obgleich mehr Ruhe eingetreten ist, bleibt die Stimmung noch immer aufgeregt. Nachdem die dem Herrn Landrat Gattermann zugefügten persönlichen Insulten seine Abreise von hier zunächst veranlaßt haben mögen, haben die hier in Gang gebrachten Volksversammlungen keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, die durch Zeitverhältnisse herbeigeführte Abneigung und, man darf wohl sagen, den Haß gegen das Beamtentum aufzuregen, was für einzelne aus diesem Stande unangenehme Folgen gehabt hat.

Seit Errichtung der Bürgergarde hat mit Ausnahme einer Demonstration gegen den Kreisförster eine Ruhestörung nicht mehr stattgefunden und ist eine solche wohl nicht mehr zu befürchten. Dagegen wird jetzt der Weg der Denunziation um so lebhafter betreten und werden die hierbei zu Grunde liegenden leidenschaftlichen Tendenzen unbezweifelt im ordnungsmäßigen Wege allmählich ihr Ende erreichen.“

Ende Juli 1848 meldet der Landrat von Ade-nau an die Regierung unter der Rubrik „Öffentliche Stimmung“:

„Die Gemüter fangen an sich zu beruhigen, wozu die vielen Berufsarbeiten des Landmannes das ihrige beitragen. Vertrauen gegen Staat oder Beamte ist bei der angesesseneren Classe im zunehmen – und diese sehnt sich nach Ruhe. Volksversammlungen wurden hier nur hin und wieder gehalten, und fanden ihre Veranlassung meist in Zuschriften des hiesigen Abgeordneten für Berlin und seine Wahlen, welche kurze Berichte über den Gang der Debatten in der Nat.-Versammlung enthalten, sie natürlich etwas einseitig im Sinne der Partei, welcher der Baur angehört, beleuchten.“

Im Bericht des Landrats vom 29. November heißt es: „Die öffentliche Stimmung hatte sich in der letzten Zeit wieder etwas günstiger gestellt; jedoch als der hiesige Abgeordnete zur Nationalversammlung in Berlin, Nicola Baur, – der ohne Urlaub sich aus Berlin in den ersten Tagen dieses Monats entfernt haben soll – wieder hier eintraf, versuchte derselbe gleich mit seinen Gesinnungsgenossen mittels Ankleben von Plakaten und Abhalten von Volksversammlungen das Volk wieder aufzureizen. Wenn das auch nach außen hin, ungeachtet des für den armen Einwohner des Kreises gewiß lockenden Köders der Steuerverweigerung keinen großen Anklang fand, so hatten jene Bestrebungen doch hier in Adenau den bedauerlichen Vorfall am hiesigen Schulhause zur Folge, da man durch Opposition gegen die Anordnung der Behörden und durch massenhaftes Auftreten diese einzuschüchtern und beim Volk in ihrem Ansehen zu schwächen beabsichtigte. Der Zweck dürfte jedoch durch das entschiedene Auftreten der Behörde vereitelt worden sein. Ich trat diesem Treiben mit allen gesetzlichen Mitteln entgegen, und habe die Erbrechung des Schulsaales seitens des Baur und Consorten und das Aufheften der aufrührerischen Plakate den competenten Behörden angezeigt. Die öffentliche Stimmung ist daher wieder etwas ungünstiger geworden, besonders bei denjenigen, welche auf Umsturz hinarbeiten helfen, ohne zu wissen, was sie wollen. Der bessere Teil aber ist mit einer strengen Handhabung der Ordnung einverstanden und wünscht dieses sogar.“

Am 24. März 1849 stellt der Bürgermeister von Antweiler fest:

„Die öffentliche Stimmung ist eine höchst flaue, gleichgültige für den Augenblick zu nennen; es haben sich vor allem die materiellen Nachteile, welche die politischen Wühlereien gebracht, zu fühlbar gezeigt, als daß man nicht derselben aufs höchste satt wäre, ja für den Augenblick sich ganz zufrieden gäbe, wenn die alten Zustände wieder zurückkehrten; die Demagogen, welche noch keine ihrer Versprechungen wahr zu machen vermochten, sinken dabei immer mehr in der öffentlichen Meinung.“

Johann Nicola Baur

In den Berichten der Behörden und in Zeitungsartikeln wird als politisch besonders Aktiver Johann Nicola Baur aus Adenau erwähnt.

Dem allseits geachteten Nicola Baur gelang es, die unzufriedenen Bevölkerungskreise zu beschwichtigen. Die zum Schütze der Bewohner gegründete Bürgerwehr wurde unter das Kommando seines Bruders, des Hauptmann Josef Baur, gestellt. Baur bemühte sich als ehrenamtlicher Beigeordneter der Bürgermeisterei Adenau um die Verbesserung der Existenzgrundlagen der gesamten Bevölkerung, besonders der armen Familien.

In der Preußischen Nationalversammlung in Berlin, in die er 1848 als Abgeordneter gesandt wurde, war er ein Vertreter der Demokraten. Er vertrat entschieden die Interessen der „Volksfreunde“: Opposition gegen die konservativen Regierungsmaßnahmen, Kampf um die Volksrechte im neuen Verfassungsentwurf, Anerkennung der Märzgefallenen, Abschaffung der Privilege des Adels und der Orden. Er war ebenfalls Mitunterzeichner der „Aufruhrproklamation“.

Die Auflösung der Nationalversammlung im Dezember 1848 beendete die Laufbahn des Nicola Baur nicht. Die Neuwahlen brachten ihn schon 1849, nach einem harten Wahlkampf, in das Preußische Abgeordnetenhaus als Vertreter der Kreise Adenau, Cochem, Zell. Die Ereignisse im Ahrtal sind ein Spiegel der Entwicklung im gesamtdeutschen Raum. Neuerungen wurden entweder unterdrückt oder ganz rückgängig gemacht. Der König oktroyierte eine Verfassung, die ohne die Volksvertretung ausgearbeitet war. Allerdings blieben Pressefreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz, zwei Forderungen der Revolution, bestehen.

Repro: Esch
Joh. Nicola Baur