Des Brunnquells flüssige Säule

Bad Neuenahr im Spiegel der Dichtung

VON DR. DR. WALTHER OTTENDORFF-SIMROCK

Die Sage von dem goldenen Pflug, der im Brunnen der ehemaligen Burg Neuenahr verborgen liege, ist bis heute in der Bevölkerung lebendig geblieben. So mancher versuchte erfolglos den Schatz aus dunkler Tiefe zu heben. Jahrhunderte später aber sprudelte, gleichsam von der Zauberkraft des Pfluges geweckt, eine heilsame Quelle am Fuß des Berges empor. Ein Kurort wurde geboren, der seinen Namen von dem Berg und der Burg empfing. Bei der Quellenweihe des Bades, die am 28. Juli 1858 stattfand, schlug der rheinische Dichter Wolfgang Müller von Königswinter in seinem Festprolog die Brücke von der Sagenüberlieferung zum Geschehen der Gegenwart:

„Gewässer, sprudelnd, edel, rein!
Das ist der Brunnen mit dem Hort…
Der Forschergeist hat sie entdeckt,
Der wunderbar die Menschheit schmückt,
Er hat ins Leben sie geweckt,
Damit sie Viele nun beglückt.“

Als die feierlichen Reden gehalten, die Fahnenmasten und Girlanden entfernt waren, kehrte der Alltag in Bad Neuenahr ein und mit ihm die nüchternen Sorgen. Eine verderbliche Konkurrenz bedrohte die junge Schöpfung des Quellenentdeckers Georg Kreuzberg und die von ihm gegründete Aktiengesellschaft. Es kam zu dem „Neuenahrer Quellenstreit“; auf der einen Seite war es der „Große Sprudel“, auf der anderen die Marienquelle – heute längst vergessen -, die einander das Feld streitig machten. Carl Mehlis, ein gutgelaunter Poet, glossierte den so hartnäckig geführten Kampf:

„So ging es manche Weile fort,
Bald sprudelts hier, bald sprudelts dort,
Tief unten rauften sich die Geister
Und oben zankten sich die Meister.“

Beinahe ein halbes Jahrhundert später, in den zwanziger Jahren, wirkte der saarländische Dichter Johannes Kirschweng als Kaplan in Neuenahr. Er schrieb einen auch heute noch fesselnden Essay: „Dörfer und Städte haben ihr Gesicht, wie die Menschen es haben, frauenhaft weich und schön manche, herb und trutzig andere, jung und unternehmend und zukunftsfreudig oder alt und müde und träumerisch, adelig-stolz oder bürgerlich-behäbig, fromm oder weltlich. Und es ist immer wieder schön, allmählich das Gesicht einer Stadt kennen- und deutenzulernen, es verwandt oder fremd zu finden und in jedem Fall es zu lieben. Und es ist manchmal wie ein Kampf zwischen dem Forschenden und der Stadt, wenn diese ihr eigentliches Gesicht nicht offenbaren will und es verschleiert hält lange Zeit, bis dann auf einmal in einer Stunde der Stille der Schleier fällt, plötzlich und lautlos.

Bad Neuenahr im Mai! Es blüht und glänzt vor meinen Fenstern. Zwischen den mächtigen Bäumen des Parks ragt der Turm des Kurhotels in die Höhe, und die Flagge weht darüber und zeigt an, daß jetzt Neuenahrs Zeit und Neuenahrs Leben ist. Aus dem Andante des Saisonbeginns wird allmählich ein Allegro vivace werden, und der Rhythmus des Lebens wird rasch und berauschend sein. Sommertage voll Blau und Gold werden über uns stehen. Zu der Musik des Orchesters werden die alten Bäume die mächtigere und geheimnisvollere ihres Rauschens fügen. Feste werden sein und Tanz und Spiel. Ein wenig mehr vielleicht als nach dem Herzen mancher kranker und müder Menschen ist. Aber viele, die kommen, sind schon nicht mehr stark genug, um die Stille ertragen zu können. Und die vielen, die so sind und so wollen, kommen aus allen Nähen und Fernen, aus München und Berlin, aus Breslau und Hamburg, manche aus fernen Ländern und einige sogar über den Ozean. Sie kommen und erfüllen die Straßen und die Häuser mit dem Klang ihrer fremden Sprache oder ihres fremden Tonfalls. Ist das Wetter gut, so bleiben sie wohl vier Wochen oder fünf, und beim Abschied spüren sie fast etwas von Rührung. Nächstes Jahr werden sie wahrscheinlich wiederkommen. Wenn sie inzwischen einmal an Neuenahr denken, haben sie verschwommene Erinnerungen an die wehende Flagge auf dem Kurhotel, an Spaziergänge auf den schattigen Wegen des Kurparkes, an Konzerte und Theater, etwa noch an die Minuten, in denen sie gespannt und ein wenig ängstlich auf das Urteil des Arztes warteten. Würde ihnen einmal die ungewöhnliche und vielleicht aufregende Frage nach der Seele Neuenahrs gestellt, dann vermöchten gewiß einige unter ihnen aus ihren Erinnerungen eine gute Antwort zu finden.“

Um 1930 besuchte Alfons Paquet das Heilbad im Ahrtal. Der Dichter und Weltreisende, der in den Steppen Kußlands und Wüsten Chinas ebenso Heimat fand wie auf den Tempelburgen Thessaliens und in den Totentälern Ägyptens, der Moskau, Peking, Bagdad, Jerusalem und New York ebenso schätzenlernte wie London, Paris, Berlin und Rom, notierte in sein Reisetagebuch: „Dort, wo jetzt zwischen den sanften Hängen des Ahrtales die Bäderstadt wie das Teilchen einer Großstadt sich erhebt, waren vor siebzig Jahren noch Äcker und Weinberge. Der Schlag eines Spatens eröffnete eine der starken Quellen, die jetzt in steinernen Becken brodeln und deren Wassermassen für das tägliche Trinken und Baden von Tausenden genügen. Auf kiesbestreuten Wegen wandeln die Kurbesucher und trinken das Heilwasser, das in silbernen Strahlen den Leitungen des Großen Sprudels und der Willibrordusquelle entfließt.“

Der Arbeiterdichter Heinrich Lersch, Paquet in vielem konträr, verbrachte seine letzten Lebensjahre im benachbarten Bad Bodendorf und schrieb hier so manche Dichtung nieder, in der er den Arbeitsrhythmus der Werkschaffenden sprachgewaltig formte. Seine vielschichtige Natur wurde von den „Mächten der Tiefe“, wie sie in der vulkanischen Gewalt des Neuenahrer Geisirs zum Licht drängten, angerührt: „Die Wasser der Kurbrunnen von Bad Neuenahr erfassen den erkrankten Menschen in seinem innersten Wesen. Die gewaltige Naturkraft beginnt die Reinigung und Heilung, den Neuaufbau des gesamten Menschen; aus der Tiefe des Bodens durchströmt den Genesenden die Wirksamkeit der Elemente, die jenem göttlichen Laboratorium entstammen, welches in dreihundert Vulkanen vor Zeiten auf den Höhen der Eifel in Gluten und Flammen gen Himmel schlug.“

Im herbstlichen Kurpark von Bad Neuenahr wird dem rheinischen Dichter Theodor Seidenfaden eine nächtliche Vision zuteil: Der Brunnenheilige, St. Willibrord, steigt von seiner Säule herab und segnet Park und Quelle:

Die Kronen steh’n in gelbrotbraunen Träumen.
Der Mond muß auch das letzte Zweiglein hegen.
Dann regt sich’s! Zwischen den Legendenbäumen,
schwebt von der Säule Willibrord, zu wegen!
Weit blitzt sein Stab. Gold glüht den Mantelsäumen.
Er geht und schenkt der Stille seinen Segen …
0 Herbstpark du, Abglanz von Gottheit-Träumen:
ahnst du den Frühling schon auf fernen Stegen ?

Fantasie und Wirklichkeit lösen sich ab. Mit wachen Augen erlebt der Dichter das Spiel des Gcisirs: „Jeder Stoß ließ den Strahl in die Höhe und Breite wachsen, und es dauerte nicht lange, da sprang er zwanzig Meter. Ich glaubte, im Innern der Erde murmelnde Geräusche zu hören, staunte den rechten Winkel an, in dem der Sprudel aus dem Becken zischte, auch die Gewalt, welche die Wasser hoch- und wieder zurückwarf. Die Sonne strahlte durch das trunkene Gespringe, Regenbogenfarben blitzten, und abertausend Gestalten hetzten, verfolgten und umarmten sich und zerplatzten zu neuen Gebilden. Wir spürten die Wärme des Wassers, sahen den Dampf, der aufstieg und waren im Jubel des geschlossenen Ringes, jenes allmächtigen Lebens, dessen Sinnbild der Große Sprudel bleibt.“