Der Kreis Ahrweiler geopolitisch – Heimatgeschichte an Beispielen einmal anders gesehen

Der Kreis Ahrweiler geopolitisch

Heimatgeschichte an Beispielen einmal anders gesehen

VON DR. HANS NOTTEBROCK +

Diese Arbeit des Historikers Dr. phil Hans Nottebrock aus Remagen stellt uns der Verlag Karl Kollbach jun, in Remagen als der frühere Verleger des Jahrbuches zur Verfügung. Der Beitrag war bestimmt für das Jahrbuch 1940. Dr. Nottebrock fand sein schreckliches Ende während des Krieges im Konzentrationslager.

Die Umwelt, die Landschaft, in der ein Volk aufwächst, beeinflußt wesentlich seinen Geschichtsablauf. Diese Abhängigkeit von der Landschaft nennt man Geopolitik (vom griech. gea — Erde, Landschaft), oder etwas anders ausgedrückt: Geschichte, Politik (das ist auf die Zukunft angewandte Geschichte) und Wirtschaft sind Funktionen der Landschaft. (Meyers Lexikon 1926: „die Lehre von der Abhängigkeit der inneren und äußeren Politik eines Volkes von den Eigenschaften der Erdoberfläche seines Wohngebietes“.)‘

Für ein ganzes Volk, einen Staat, sind auch für den engeren Kreis, die Landschaft im kleinen, geopolitische Kräfte am Werk, Geschichte zu machen, und ich möchte behaupten, daß auch die Vergangenheit unseres Heimatkreises die geopolitische Betrachtungsweise voll und ganz rechtfertigt. Aus Raummangel kann ich im folgenden nur einige wesentliche Züge herausstellen und an ihnen das „Warum“ und „Weshalb“ des geschichtlichen Ablaufs dartun. Etwa eineinhalb Kilometer unterhalb Remagen erheb); sich an der Kölner Landstraße eine mit lateinischen Inschriften bedeckte Spitzsäule, die an Stelle eines um die Mitte des 18. Jh. hier aufgefundenen römischen Meilensteines errichtet worden ist; das Original befindet sich im Museum zu Mannheim. Aus diesem Denkmal sprechen fast 2000 Jahre Heimatgeschichte; die Inschrift auf der Vorderseitet lautet:

VIAM
SUBM.
AURELIO
ET L. VERO
IMPP.
ANNO CHR. CLXII
MUNITAM CAROLUS THEODORUS
ELECTOR PAL. 
DUX BAV. IUL; CL. M.
REFECIT ET AMPLIAVIT
AN. MDCCLXVIII 
CURANTE 
IO. LVD. COMITE 
DE GOLDSTEIN 
PROPRINCIPE

Das heißt: „Diesen unter den Kaisern Mark Aurel und Luzius Verus i. J. 162 n. Chr. angelegten Weg hat Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz, Herzog von Bayern, Jülich, Kleve, Berg im Jahre 1768 neugebaut und erbreitert durch seinen Statthalter Johann Ludwig Grafen von Goldstein.“ Das Denkmal ist also eine Erinnerung an die Anlage der linksrheinischen Landstraße zur Römerzeit und ihre Erneuerung im 18. Jh., als Remagen zuifi Herzogtum Jülich-Berg gehörte. Aber wir können noch weiter in die Vergangenheit der Heimat hinabsteigen, um festzustellen, daß bereits von der Frühzeit der Geschichte her Kräfte arri Werk sind, die unserer geopolitischen Betrachtungsweise recht geben. Bevor der eherne Tritt der römischen Legionen am Rheinufer erscholl, saßen linksrheinisch keltische Bevölkerungsreste; zahlreiche Ortsnamen und andere geographische Bezeichnungen erinnern an diese ehemalige keltische Besiedelung der linken Rheinseite. Der Name Remagen ist zweifelsohne keltisch; wir kennen seine früheste Form allerdings nur in römischer Lautung: Rigomagus, 
d. h. Königsfeld. Die Lage des Ortes am Nordende der fruchtbaren Goldenen Meile, angelehnt an die Schieferhänge der Rheinhöhen, die unmittelbar westlich des Ortes an den Fluß stoßen, reizte geradezu zur Ortsanlage. Dem Römer als geborenem Strategen ist diese wichtige Lage nicht verborgen geblieben, und so zählt Remagen mit zu den 50 Frühkastellen, die Drusus den Rhein entlang anlegen ließ.

Die Rheinplätze bildeten zur Römerzeit gleichsam Brückenköpfe der von Westen, von Gallien, heranführenden Straßen, die ihrerseits wieder durch die auf unserem Denkmal genannte Rheinuferstraße miteinander verbunden waren (Linie Utrecht—Basel). Fast sämtliche Römerstraßen —wenigstens die wichtigsten — lagen auf keltischem oder vorgeschichtlichem Untergrunde; die Kelten und auch ihre Vorgänger pflegten die Flanken der alten Völkerstraßen — es gab nur wenige im Lande — durch Burgen zu sichern, deren Zweck rein defensiv war; eine solche Burg hat man im Kreis Ahrweiler am Scheidskopf bei Kirchdaun ausgegraben. Der Name Dann ist keltisch (er entspricht dem britischen don; London, kymrisch hlyndyn — Seeburg, neuenglisch steht dazu town, altschwedisch tuna, altnordisch tena, was alles „befestigter Platz“ oder „Burg“ bedeutet; ferner steht zu dieser Reihe deutsch Zaun = Palisade als Zeichen der Befestigung); ebenso sind Daun in der Eifel und Dhaun im Nahetale keltische Siedelungen, beide mit vorgeschichtlichen Burgen. Unser Kirchdaun ist der Lage nach insofern charakteristisch, als es unmittelbar am Fuße der Ringburg am Scheidskopf gelegen ist; diese vorgeschichtliche Burg aber hatte in erster Linie eine alte Straße zu decken, die spätere Aachen-Frankfurter Heerstraße. Ich vermute heute, daß dieser Straßenzug — wenigstens teilweise — auf vorgeschichtlichem Grunde liegt; folgender Gedankengang führt mich dazu. Nach Ausweis der Waldkarte unseres Vaterlandes war das Gebiet der nördlichen Grafschaft Neuenahr, durch das die A. F. H. in unserm Heimatkreis verläuft, bereits im 4. Jh. waldfrei; das äußere Gesicht der Landschaft kann sich aber zur Frankenzeit gegenüber der vorgeschichtlichen, etwa des Neolithikums, nicht oder nur unwesentlich verändert haben, da die Germanen zu Großrodungen damals noch nicht in der Lage waren. Die alten Völkerwege waren samt und sonders Höhenwege, und das aus naheliegenden Gründen (Schutzbedürfnis). Die A. F. H. verläuft auf fast ihrer ganzen Länge durch die waldfreie Flur; in ältester Zeit muß sie sich nach Überschreitung des Gimmiger Tales mehr östlich gehalten haben, um zuletzt nahe Scheidskopf die Kammhöhe zu erreichen, auf der heute die Birresdorfer Straße nach Remagen führt. Wo der Abstieg ins Rheintal erfolgte, ist im Gelände nicht mehr einwandfrei festzustellen; möglicherweise ging er durch das Kalmuthtal. Sicher aber scheinen die heutigen Abstiege, sowohl der über Bodendorf ins Ahrtal als der durch die Blankerts Hohl nach Remagen erst in geschichtlicher Zeit entstanden und begangen worden zu sein. Als Julius Gäsar von Gallien an den Rhein kam (57 v. Chr.), fand er das ganze linke Rheinufer bereits von germanischen Stämmen besetzt, und nach dem Stande der heutigen Vorgeschichtsforschung müssen wir annehmen, daß germanische Stämme bereits zu Endender Bronzezeit den Niederrhein überschritten haben. Seitdem ist der Rückzug der Kelten über den „Rhein unaufhaltbar geblieben, bis sie in Gallien feste Sitze fanden. Wenn auch die linke Rheinseite schon im Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung von Germanen besetzt war, so ist doch das Land weiter westwärts noch stark keltisch durchsiedelt gewesen; die Germanen begegneten diesen übriggebliebenen Keltenresten mit überlegenem Rassestolz, und bei dem Vordringen der Germanen (namentlich seit der endgültigen Durchbrechung des Limes um 250) hat häufig genug das Schwert entscheiden müssen, und zwar mit dem Ergebnis, daß die Niederungsgebiete, d. h. das Rheintal selbst und die größeren Seitentäler, zuerst in den Besitz der Germanen gelangten, während in den aufsteigen den Gebirgsgegenden und den engen Seitentälern des Rheins — ich nenne sie Rückzugsgebiete — keltische Bevölkerungsreste sich noch länger gehalten haben. Wir stoßen damit auf ein rassisches Moment in unserer geopolitischen Betrachtung der Heimatgeschichte; solche Rückzugsgebiete stellen Hunsrück und Eifel dar, im Kreis Ahrweiler das Ahrtal mit seinen südlichen Höhen. Schon der römische Dichter Ausonius (4. Jh.) schildert in seiner „Mosella“, daß ihm bei seiner Wanderung durch den Hunsrück der . so ganz anders geartete Typ der Hunsrückbewohner gegenüber den Bewohnern des Rheintales aufgefallen sei; ähnliche rassische Unterschiede (dunklere Haarfarbe, abweichende Schädelform, kürzerer Körperbau), lassen sich auch verschiedentlich im Ahrtal und der südlichen Hälfte des Kreises Ahrweiler feststellen, und zwar nicht nur vereinzelt, sondern als Typen. Auch das innere Wesen dieses Typs ist sehr wahrscheinlich rassisch nicht ohne wesentliche Unterschiede geblieben.

Die Römerherrschaft am Rhein stützte sich wie allenthalben auf eine sehr große Zahl strategisch wichtiger Punkte, die sogenannten Römerkastelle; hinzu kam ein wohlausgeklügeltes Straßensystem, aus den besten Straßen der Welt bestehend; die es ermöglichten, Streitkräfte in sehr kürzer Zeit anfalle bedrohten Punkte des Landes zu werfen. Das eingangs unserer Abhandlung erwähnte Denkmal spricht von der römischen Uferstraße, die unter Kaiser Mark Aurel und seinem zeitweiligen Mitregenten Luzius Verus angelegt wurde. Das Rheintal stellt allgemein die älteste europäische Völkerstraße in der Nordsüdrichtung dar, wahrscheinlich sind aber die Römer die ersten gewesen, die eine feste Straße durch das Tal legten. Gerade in unserm Heimatkreis, d. h. namentlich in der Flußenge zwischen Rolandswerth und Remagen, wird die Anlage dieser ersten Straße infolge der Landschaftseigenart den Erbauern manche Schwierigkeiten bereitet haben. Noch heute ist der Verlauf der Kölner Chaussee von der Apollinariskirche bei Remagen bis zum Unkelstein vor Oberwinter ein ungelöstes Problem. Diese Straße aber bildete in den römischen Rheinlanden das Rückgrat der Herrschaft, die gut gesichert sein mußte. Unter Mark Aurel begann im Jahre 166 der große Markomannenkrieg an der Donau, der den Beginn der Völkerwanderung bedeutete; die Gefahr bestand, daß damals die Rheingermanen gleichfalls inBewegung gerieten, und in dem Straßenbau Mark Aureis haben wir deshalb eine vorsorgliche strategische Maßnahme der Römer zu erblicken. Unser Heimatkreis bildete die Südostecke des römischen Militärbezirks Germania inferior, die Grenze lag am Vinxtbach, dessen Name bekanntlich vom lateinischen finis = Grenze hergeleitet wird. Remagens Bedeutung in römischer Zeit beruhte restlos auf seiner Lage in der Landschaft, und diese Bedeutung wahrte der Ort, bis die Frankenstürme des 5. Jh. jeden Rest römischer Herrschaft auf dem linken Rheinufer austilgten. Die letzte verbürgte Nachricht über das römische Remagen gibt uns der Geschichtsschreiber Ammianus Marzellinus zum Jahre 356, Kaiser Julians Feldzug an den Rhein: „Per quos tractus nee civitas ulla visetur nee castellum nisi quod apud Confluentes — Ricomagum Oppidum est.“

Von Remagen verlief die römische Uferstraße rheinauf wärts im Zuge der jetzigen Alten Straße und überschritt den Ahrfluß in der Mitte zwischen der Eisenbannbrücke und dem Dorf Kripp (letzteres ist eine Gründung des 18. Jh., veranlaßt durch das Treidelgeschäft der Rhein-schiffer). Die Römerstraße läßt Sinzig gänzlich zur Seite liegen, ein Umstand, der zu der Annahme berechtigt, daß der Ort frühfränkischer Gründung ist (trotz der beliebten Gleichung Sinzig = Sentiacum); ein castellum oder oppi-dum Sentiacum an dieser Stelle verzeichnen weder die Tabula Peutingeriana (3. Jh.), noch das Itinerarium Antonini (4. Jh.), noch die Notitia dignitatum (5. Jh.), noch lassen Bodenfunde einen unmittelbaren Schluß auf die römische Ortsgründung zu; auch bot die Ahr-mündung der römischen Strategie keinerlei Anhaltspunkte. Wir gehen nicht fehl in der Annahme, daß das heutige Sinzig in frühfränkischer Zeit, und zwar im Zusammenhang mit der A. F. H. auf der vorspringenden Gebirgsterrasse im Rhein- und Ahrwinkel entstanden ist. Das schließt nicht aus, daß bereits Kelten diese, rein siedelungsmäßig betrachtet, sehr günstige Stelle gekannt haben. Aber für die Franken lagen die Dinge anders; die fränkische Burg deckte zwar auch wichtige Straßenpunkte — hier mündete bekanntlich die A. F. H. in das Rheintal — in der Hauptsache jedoch war sie angriffsbestimmt, und das im Gegensatz zur vorgeschichtlichen Burganlage. Wir wissen, daß die Frankenherrscher seit den Frühtagen der Karolinger und die deutschen Könige oft in der Sinziger Pfalz weilten und Amtshandlungen vornahmen. Das untere Ahrtal kam in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung unter den Kultureinfluß Roms; das beweist u. a. die bei Ahrweiler ausgegrabene Römervilla mit ihrer Hypokaustenanlage. Das liebliche Rund des Ahrweiler Tals hat dem Römer gefallen und ihn zu Einzelsiedelungen veranlaßt. Sogar auf dem Gipfel der Landskrone sind bei Grabungen römische Überreste zu Tage gefördert worden, so daß sich möglicherweise hier eine Signalstation der Römer befunden hat. Aufwärts Ahrweiler ist jedoch der römische Einfluß, durch die Talenge abgehalten, nicht wesentlich vorgedrungen. Noch in den späteren Jahrhunderten wagte er sich die Straße ahraufwärts nur bis Dernau, und die gänzliche Erschließung des Tales durch eine moderne Landstraße ist erst dem 19. Jh. vorbehalten geblieben. Möglicherweise aber hat die römische Zeit dem Ahrtale bereits die Kultur der Weinrebe gebracht; es könnte unter Kaiser Probus (276 bis 283) gewesen sein, von dem bekannt ist, daß er von den Legionssoldaten neben ändern Kulturarbeiten auch Rebpflanzungen anlegen ließ und deshalb von der empörten Soldateska im heutigen Jugoslawien erschlagen wurde. Mag auch die Kultur der Weinreben wieder abgerissen sein, unter der Frankenherrschaft ist sie wieder aufgenommen worden. Schon der Umstand, daß damals das Christentum in den Seitentälern des Rheins Eingang fand, setzt den Anbau der Rebe sozusagen voraus.

Die Franken hatten andere Ziele als die Römer: Sie traten als Landnehmer und Siedler in unserer Gegend auf; sie sind durchweg die Gründer unserer ländlichen Siedelungen im Kreis. Ahrweiler ist als Ort rein fränkischer Gründung. Es bildet landschaftlich einen Mittelpunkt und hat so schon früh erhöhte Bedeutung erlangt und sie gewahrt bis in die Neuzeit, wo es seinen Rang als preußische Kreisstadt erhielt. Diesbezüglich konnte ihm kein anderer Ort im Kreis, auch wenn er sonst verkehrstechnisch vielleicht günstiger gelegen war, erfolgreich Konkurrenz machen: Ahrweiler siegte durch seine Lage. Mit steigender Größe und Bedeutung bekam Ahrweiler seine Stadtbefestigung, die noch heutigentags das Herz eines jeden verständnisvollen Beschauers höher schlagen läßt und ihm die Kreisstadt so vertraut macht. Die Bedeutung der Stadt als mittelalterliche Festung liegt in der durch die Lage geschaffenen Verknüpfung mit den politischen Geschehnissen der Zeit.

Foto: Wolfgang Kropp 
Meilenstein bei Remagen

Die germanische Landnahme im Kreis ist nicht von Osten, vom Rhein her, sondern in der Hauptsache von Norden her erfolgt, wobei bereits die alte Straße durch die waldfreien Höhen Nördlich der Ahr eine Rolle gespielt hat. Die germanische Besitznahme unseres Heimatkreises erfolgte durch die fränkische Gruppe der Ripuarier (Name ungeklärt), deren Kern die ehemals rechtsrheinisch sitzenden Brukterer, Chamäven und Amiswarier bildeten. Sie saßen nach ihrem ersten Vorstoß um Köln herum, zogen dann weiter und stießen bis zur Maas und in die Eifel vor. Kaiser Julian (+ 363) konnte sie noch einmal über den Rhein zurückdrängen; später mußten der Franke Arbogast (+ 394), der sich Gallien von Rom unabhängig gemacht hatte, und der bekannte römische Feldherr Aetius (+ 454) mit ihnen erneut kämpfen; von diesem wurden sie schließlich ins römische Reich aufgenommen. Seit der Mitte des 5. Jh. ist das Vordringen der, Ripuarier unaufhaltsam. Sie siedelten von Neuss bis Breisig, wo die Südgrenze ihres Gebietes wiederum am Vinxtbach lag. Noch heute bildet der Bach infolgedessen eine deutliche Dialektscheide (Mundart- und Dipntongierungsgrenze); der Kreis Ahrweiler spricht mittelfränkisch (ripuarisch), Andernach dagegen oberfränkisch; den ripuarischen Dental-labialen entsprechen oberfränkische reine Labiale in der Lautbildung: mittelfränkisch wat (was) = oberfränkisch bat; mittelfränkisch jet = oberfränkisch ebbes; hochdeutsch Häuser diphton-gieit der Oberfranke zu heiser, der Mittelfranke zu höuser und hüser. Wir sehen auch hier wieder, welchen Einfluß die Landschaft hat. Hauptort des Ripuariergebiets war Köln mit dem Königssitz. Chlodowech, ursprünglich nur König der Salier oder Meerfranken (weil sie an der Nordsee saßen; das Königsgeschlecht der Merovinger leitete seine Herkunft von einem Meerdrachen ab1)), einte alle drei fränkischen Gruppen zur fränkischen Gesamtmonarchie. Chlodowech residierte gegen Ende seiner Regierung in der Umgebung von Paris; Unterbeamter war der Dux (Herzog), dessen Funktionen in erster Linie militärischer Art waren (daher der Name), und dessen Sprengel mehrere Gaue umfaßte. Unser Heimabkreis gehörte zum Ducatus ripurariorum mit der Hauptstadt Köln, und innerhalb dieses zum Bonngau als dessen Untergau später der Ahrgau erscheint. Westlich an den Bonngau lehnte sich der Eifelgau, ungefähr das Gebiet Daun-Blankenheim-Hellenthal. Die fränkische Gauverfassung blieb jahrhundertelang in Geltung. Von territorialer Bedeutung für unsere Gegend wurde der Umstand, daß Kaiser Otto I. die lothringische Pfalzgrafenwürde erneuerte, hauptsächlich in der Absicht, der Herzogsgewalt in Lothringen — so hieß damals das gesamte linksrheinische Gebiet von der Nordsee bis nach Basel — eine Art Kontrolle zur Seite zu .setzen. Kurz vorher hatte sein Bruder Bruno, Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen, das Herzogtum in zwei Verwaltungsbezirke eingeteilt, Ober- und Niederlothringen, deren Grenze auch am Vinxtbach lag; der Kreis Ahrweiler gehörte zum Herzogtum Niederlothringen. Der erste lothringische Pfalzgraf hatte seinen Sitz auf der Tomburg, jener weitblickenden Ruine zwischen Meckenheim und Rheinbach auf der Wasserscheide zwischen Ahr und Erft. Ihre Lage ist, geopolitisch betrachtet, für die Gegend charakteristisch: sie beherrschte das gesamte pfalzgräfliche Machtgebiet, den Bonn-, Eifel-, Awel-:) und Zülpichgau; durch die in unmittelbarer Nähe vorbeiführende A. F. H. war dem Pfalzgrafen das beste verkehrstechnische Mittel an die Hand gegeben, seine Macht schnell im gesamten Bereich seines Amtsgebietes fühlbar werden zu lassen. Der erste tomber-gische Pfalzgraf — also der oberste königliche Beamte in unserem Gebiet — war Hermann L, dessen Geschlecht mit dem Kaiserhause verschwägert war und der zu den angesehensten Großen im Reiche zählte; in den Reichsurkunden erscheint sein Name unmittelbar hinter dem des Herzogs von Lothringen. Wir erkennen daraus die hohe Bedeutung, die unser Heimatkreis als Anmarschweg nach Aachen, der damaligen Reichshauptstadt, besessen hat. Der Ausgang des tombergischen Pfalzgrafengeschlechts war tragisch; im Kampf mit Erzbischof Anno von Köln unterlag der letzte des Geschlechts, Pfalzgraf Heinrich L, der auf dem heutigen Michelsberg in Siegburg, residierte. Er verlor sein festes Schloß an den Erzbischof, der es in ein Kloster umwandelte. Die Stammburg der Pfalzgrafen war bereits vorher unter Erzbischof Hermann von Tomburg an Köln gekommen, dazu Meckenheim und innerhalb des Kreises Ahrweiler Gelsdorf und Umgebung. Die Tomburg wurde im Jahre 1473 in einer Fehde zerstört.

Foto: Kreisbildstelle
Vinxtbach-Tal

Die Pfalzgrafen waren im Bereich ihres Amtsgebietes auch eigenbegütert; so war der Nachfolger des letzten Tombergers, Pfalzgraf Hermann II., Mitbesitzer des Dorfes Remagen. Er, wie auch die Tomberger, und alle seine Nachfolger traten in den damaligen Kriegswirren, namentlich „unter dem tragischen Salier Heinrich IV., immer und überall als stramme Verfechter der Reichs- und kaiserlichen Idee auf, trotzten päpstlichem Bann und partikularistischen Anmaßungen und fielen im Kampf für Kaiser und Reich. Seit der Regierung des Pfalzgrafen Heinrich II. rückte das territoriale Gebiet der lothringer Pfalzgrafschaft südwärts aus dem Bereich unseres Heimatkreises hinaus, wenn auch noch mancher größere Besitz und sonstige Rechtstitel in dem früheren Herrschaftsgebiet den Pfalzgrafen verblieben, so daß wir später, unter der jülichischen Herrschaft im Kreise Ahrweiler unter den Titulaturen der Besitztümer oft die Bezeichnung finden: die Jülich von der Pfalz zu Lehen trägt. Pfalzgraf Heinrich II. residierte am Laacher See, nannte sich de lacu und legte sich als erste den Titel Pfalzgraf bei Rhein zu, den seitdem alle seine Nachfolger bis auf die Wittelsbacher führten und den wir rangerhöht als Elector Palatiae auf der eingangs erwähnten Inschrift des Remagener Meilensteins finden.

Die fränkische Landnahme und die endliche Erschließung und Besiedelung des gesamten Ahr-tals und seiner Randhöhen begründete, durch die Eigenart der Landschaft bedingt, ein System, dessen geopolitische Grundlage ihm die Herrschaft bis weit über das Mittelalter hinaus sicherte; es ist das Aufkommen der Dynastengeschlechter und des damit zusammenhängenden Burgenbaues. Ahrgeschichte ist Dynastengeschichte! Aber wie jedes Ding eine Kehrseite hat, so auch dieses System: Es spiegelt im Ahr-

tal wie selten irgendwo in deutschen Gauen die partikularistische Zerrissenheit unseres Vaterlandes wider und legte mit den Grund zu zahlreichen kriegerischen Verwickelungen des Mittelalters und der Folgezeit, zerrte die Feudalgeschlechter in all die blutigen Wirren von den Adels- und Königsfehden des Hochmittelalters an über den Burgundischen und Kölnischen Krieg bis zu den Raubzügen Ludwigs XIV. hin, die unserer schönen Heimat an Rhein und Ahr die Drangsal des Krieges bis zur Neige zu kosten gaben.

Was in der modernen Landesverteidigung die Festung bedeutet — man denke nur an den Kampf um Verdun im Weltkriege — war für das Mittelalter die Burg. Sie war nicht nur das feste Haus irgendeines Feudalherrn, nicht nur Kaserne und Arsenal, sondern sie verfolgte in der Regel auch einen ganz bestimmten strategischen Zweck, und damit trat sie an die Stelle der vorgeschichtlichen Burganlage, die meist als Gevatter an der Wiege einer benachbarten mittelalterlichen Burg stand. Die mittelalterliche Burg war in der Hauptsache Sperrfort; das charakterisiert ihre Bedeutung als geopolitischer Machtfaktor allerersten Ranges. Die mittelalterliche Höhenburg — um diese handelt es sich in unserm Gebiet ausschließlich — war also nicht wahllos auf einen beliebigen Hügel, Berg oder Felsen gesetzt; der Burgberg spielte geographisch in der Landschaft eine besondere Rolle, er riegelte eine ganze Landschaft ab, deckte und schützte sie. Diesem Zweck diente andernorts oft ein ganzes System von Burgen, und zu diesem Zweck machte die Burg erst die umgebende Landschaft geeignet. Der Burg aber und ihrem Dynastengeschlecht blieben die Geschicke der umliegenden Lande ursächlich verknüpft. So machte die Landschaft Geschichte, oder umgekehrt: Die Geschichte floß aus der Landschaft, war eine Funktion derselben, wie wir eingangs die geopolitische Betrachtungsweise definierten. Wenden wir diese Erkenntnisse nun auf die mittelalterlichen Verhältnisse des Ahrtals und des Kreises Ahrweiler an. Zeitlich erfolgte die Herausbildung der Territorialherrschaften allgemein erst seit dem Ende des 11. Jh.; sie wuchsen auf den Resten der vollends zersplitterten ehemaligen Gaue. Von der geographischen Hauptader des Landes, dem Ahrfluß, nahm das älteste Dynastengeschlecht seinen Namen: von Are, dessen Anfänge sich im Dunkel der Frühzeit verlieren. So hören wir schon im 10. Jh. von einem Sigibodo von Are, der Gaugraf im benachbarten Eifelgau war. Möglicherweise sind von seinen Nachkommen die Dynastengeschlechter von Arenberg und Saffenburg ausgegangen. Lichter wird die Geschichte mit Theoderich von Are, der im 12. Jh. von der Burg Are bei Altenahr aus das Gaugrafenamt im Ahrgau ausübte. Noch heute muß der Beschauer der Ruine der Burg Are, besonders der von Osten kommende, die Kühnheit und die Genialität der Bauherren bewundern, die diese Feste auf der engsten Stelle des schmalen und scharfen Felsgrates, wo sich die beiden Flußläufe am meisten nähern, aufbauten; die Burg beherrschte das Land flußauf- und -abwärts. Die ältere Linie der Ahrgrafen starb bereits im Jahre 1246 aus, Erben waren die verwandten Linien von Are-Nürburg und Hochstaden (die Stammburg der Hochstaden lag an. der Erft).

Ein Enkel des Nürburger Erben baute auf dem Berge bei Neuenahr eine Burg und wurde der Begründer der Neuenahrer Linie der Grafen von Are. So sehen wir die Lande rings an der Ahr zu jener Zeit im Besitze einer Familiendynastie, der allerdings kein langes Leben beschieden war. Mit dem Aussterben der Linien Nürburg und Hochstaden kamen deren Gebiete durch Vermächtnis an das Erzstift Köln, bei dem sie bis zum 19. Jh. verblieben. Durch Kölner Zugriff, den die Ahrweiler Bürger veranlaßten, um dem Raubwesen der Neuenahrer ‚Grafen ein Ende zu bereiten, kam bereits im 14. Jh. ein Teil der Grafschaft Neuenahr in Kölner Besitz. Die Linie Neuenahr derer von Are wurde an den Niederrhein verpflanzt (Linien Neuenahr—Alpen—Moers) und erreichte das Ende des 16. Jh. Eine Erbtochter brachte einen Teil des Ahrbesitzes an Saffenburg und mit diesem an Manderscheid. Als 1545 mit Kuno, dem letzten Grafen von Manderscheid-Saffenburg, auch dieser Zweig erlosch, teilten Köln und Jülich das Restgebiet von Neuenahr. Jülich war 1356 durch Schenkung Kaiser Karls IV. in den Besitz von Remagen und Sinzig gelangt, die bis dahin Reichsbesitz waren. In Remagen weist heute noch die Straßenbezeichnung „Am Hof“ auf den ehemaligen Charakter als königlicher Besitz hin; auch erwähnt die Gründungsurkunde der Propstei Apollinarisberg vom Jahre 1117 unter den Remagener Zeugen einen „Hildegerus avunculus eius qui fuit villicus regis“. Sinzig war bereits seit dem 8. Jh. Sitz einer königlichen Pfalz, und der Ort somit Königsbesitz. In Breisig waren die Jülicher Grafen schon sehr früh als Grundeigentümer aufgetreten. Vor dem Jahre 1545 waren die drei Rheinorte durch die sich dazwischen schiebende Grafschaft Neuenahr von dem übrigen Herzogtum Jülich getrennt; aber die A. F. H. verband die Besitzungen am Rhein mit dem Hauptteil im Hinterlande. Das kölnische Gebiet an der Ahr umschloß die arenbergische Enklave Saffenburg, auch Ländchen Saffenburg genannt, dessen Burgruine bei Mayschoß ähnlich der Burg Altenahr auf hohem, ahrumrauschtem, schwer zugänglichem Felsgrat thront und wegen der Kühnheit und Zweckmäßigkeit ihrer Anlage — sie sperrte das Tal vollkommen ab — als Typ einer mittelalterlichen Feste bezeichnet werden kann; auch die Anlage der Burg, wie sie die Gipfel Verhältnisse ausnutzt und in ihrem Mauerwerk den natürlichen Fels fortsetzt, muß als ein Meisterstück ihrer Erbauer bezeichnet werden. Erst die Feuerwaffen konnten ihre trutzigen Mauern bezwingen und den Platz einnehmbar machen (1706 im Spanischen Erbfolgekrieg). Das älteste Saffenburger Grafengeschlecht starb früh aus, Ministeriale setzten den Namen fort und pflanzten ihn in die benachbarten Ahr- und Eifelgeschlechter, bis das Land an das Haus Arenberg fiel. Die Burg schaut jetzt als gewaltige Ruine von hoher Bergeswarte weit in die Lande. Das erste Geschlecht der Grafen von Arenberg starb Ende des 13. Jh. aus; Erbtöchter trugen den alten Namen über die Geschlechter von der Mark-Altena, Barbancon und Ligne in die Neuzeit, wo das Haus als niederrheinische Industriemagnaten seine Rolle in geänderter Form weiterspielt.

Mit einem prachtvollen Finale schließt die Ahr die Bilder der Romantik in ihrem Tal; wo die Wasser des Flusses schon ruhiger fließen und das Tal breiter wird, halten Neuenahr und Landskron die Wacht am Eingang zum unteren Ahrtal. Ein majestätischer schwarzer Basaltkegel, steigt die Landskron unmittelbar von der Talsohle empor; nur auf der Nordseite ist der sonst ebenmäßige Bergkegel mit den Grafschafter Höhen verbunden, hier ankommenden Gegnern die einzige verwundbare Seite zeigend. Diese für mittelalterliche Verhältnisse glänzende strategische Lage reizte unbedingt zu einer Burganlage; an diesem wuchtigen Klotz, unmittelbar in der Nähe der A. F. H. gelegen, die in den kriegsschwangeren Zeiten des hohenstaufischen Machtstrebens so mancher deutsche Herrscher gezogen ist, konnte das Feldherrnauge Philipps, des Rotbarts Sohn, nicht vorüberblicken. Es war im Hochsommer des Jahres 1206, als er seinen Gegner Otto von Braunschweig bei Wassenberg a. d. Roer vernichtend aufs Haupt geschlagen hatte und König Philipp von Schwabenauf der A. F. H, wfeder nach Süddeutschland zog; da gründete dieser auf Reichsgebiet am nördlichen Ahrufer die Feste Landskron. Die Großen Kölner Annalen verzeichnen das Ereignis mit den Worten: „1206 (Philippus) inde ulträ .procedens in conflnio Rigiomagi et Sin-zeche se cum exercitu exposuit, montem quen-dam dictum Gimmich supra fluvium Aram preoccupans, castrum satis firmissimum in ipso construxit nomenque urbis Landescrone nuncupavit.“ Gimmich hat ehedem der Berg geheißen; wahrscheinlich lebt in dem heutigen Ortsnamen Gimmigen der unmittelbaren Nachbarschaft ein Nachklang des Wortes fort. Zweck und Ziel des Burgbaues waren klar: Die neue Feste sollte einerseits die von Köln aus bedrohte rechte Flanke Philipps sichern, wenn der König nach Aachen zog, andererseits der Aachener Krönungsstraße selbst zum Schütze dienen. Die Burg Landskron übernahm damit die Rolle, die einst in alter Zeit der vorgeschichtliche Ring wall am Scheidskopf bei Kirchdaun2) für denselben Straßenzug gespielt hatte! Als kaiserliche Burg schaute die stolze Feste jahrhundertelang ins Tal, so lange, wie die Nachkommen des staufischen Ministerialen Gerhard von Sinzig hier oben als Burgmänner ihres Amtes walteten. Mit dem jähen Erlöschen dieses tapferen Geschlechts sank auch Landskrons Größe ins Grab; was später kam, war nur ein schwacher Abglanz vergangener Reichsherrlichkeit. Aber so stark waren die aus Basalt gefügten Mauern der Burg, daß es erst den modernen Kriegswaffen des 17. Jh. gelang, ihren hohen Turm zu Fall zu bringen.

Wie Burg Landskron so waren auch die an der äußersten Nord- und Südflanke des Kreises Ahrweiler gelegenen Burgen Rolandseck und Rheineck zu strategischen Zwecken errichtet. Erstere erbaute der streitbare Kölner Erzbischof Friedrich I. von Schwarzenberg nach dem langwierigen und blutigen Kriege, den er zusammen mit ändern rheinischen Dynasten gegen den deutschen König Heinrich V. geführt hatte; nach Ausweis der Regenten der Kölner Erzbischöfe ist die Burg im Jahre 1131 begonnen worden. Einige Jahre vorher hatte derselbe Kirchenfürst das Schloß Wolkenburg im Siebengebirge erbaut; beide Burgen, sollten das Erzstift in der Rheinenge bei Rolandseck nach Süden abriegeln. Durch diese Burgen, später vermehrt durch Drachenfels und Godesberg, konnte der Kölner Erzbischof das Rheintal an dieser strategisch wichtigen Stelle jederzeit gegen feindliche Durchfahrt sperren. Demselben Zweck, Grenzburg des Kölner Erzstifts zu sein, diente Burg Rheineck bei Niederbreisig, in deren Bereich schon. die ältesten Lothringer Pfalzgrafen aus Tomberger Geschlecht Hobeitsrechte ausgeübt hatten. Rheinecks Geschichte verlief dramatisch. Ende des 1. Jh. war Pfalzgraf Siegfried von Ballenstedt (+ 1095) Eigentümer in diesem Gebiet; er gründete auch Kloster Maria Laach. Seine Witwe brachte das Land ihrem zweiten Gemahl, dem Grafen Otto von Salm, als Heiratsgut zu; durch diese Heirat erwarb Otto außerdem die Anwartschaft auf die rheinische Pfalzgrafenwürde. Er begründete das erste Dynastengeschlecht von Rheineck und nannte sich fortan nach seinem neuen Besitz. Das geschah um 1120. Sein Schwager, Kaiser Lothar II., erkannte seine Ansprüche auf den Pfalzgrafentitel an, und so erscheint Otto von Rheineck im 12. Jh. neben Wilhelm von Ballenstedt, Siegfrieds Sohn, als Pfalzgraf bei Rhein. Im Jahre 1138 legte Otto seine Würde freiwillig nieder, und zwar in der Voraussicht, daß diese nach Ableben des kinderlosen Pfalzgrafen Wilhelm ohnehin an seinen Sohn Otto den Jüngeren von Rheineck übergehen würde. Kaiser Konrad III. aber überging Otto zweimal mit seinen Ansprüchen und zog ihm, dem Parteigänger der Welfen, einen genehmeren Herrn als Pfalzgrafen bei Rhein vor. Otto aber blieb nicht untätig; durch seinen mütterlichen Erbteil Bentheim kam er in den Besitz neuer Machtmittel, und mit diesen gedachte er das sinkende Glück des Hauses Rheineck wieder zu heben. Nachdem er mit seinem holländischen Nachbarn, dem Bischof von Utrecht, den Degen mit mehr Mut als Glück erprobt hatte, kehrte er in seine väterlichen Besitzungen an den Rhein zurück. Es war gegen Ende des Jahres 1142 und Pfalzgraf Hermann III. von Stahleck, ein entschlossener und gewalttätiger Mann, eben aus dem Kreuzzug zurückgekehrt. In der mit Otto dem Jüngeren von Rheineck ausbrechenden Fehde wurde dieser Gefangener seines Gegners, der ihn in denVerliesen der pfälzischen Burg Stahleck erdrosseln ließ. Otto der Ältere überlebte das tragische Ende seines Sohnes nur um zwei Jahre; er starb 1150, Im Jahre darauf kam Kaiser Konrad selbst an den Rhein, und um dem langjährigen Streit um die Pfalzgrafschaft ein Ende zu machen, ließ er die Burg Rheineck von Grund auf zerstören; so wurde das Aufkommen einer zweiten Pfalzgrafschaft bei Rhein verhütet. Aber die Zeit, da Rheineck als Ruine den Rheinstrom zieren sollte, war noch, nicht endgültig gekommen.

Anlaß zu neuem Streit gab diesmal die Burg selbst, und zwar waren es ihre beiden mächtigen Nachbarn, die sich um den Besitz stritten. Im Jahre 1156 hatte Friedrich Rotbart die rheinische Pfalzgrafenwürde seinem Halbbruder Konrad verliehen; dieser hatte eine Fehde mit Kölns gewaltigem Erzbischof Reinald von Dassel, Kaiser Friedrichs Reichskanzler, einem scharfen politischen Kopf, wie wenige vor und nach ihm auf dem erzbischöflichen Stuhle zu Köln; die Geschichte kennt ihn ferner als furchtlosen Haudegen und nimmermüden Verfechter der kaiserlichen Idee. Er war es auch, der die Gebeine des hl. Apollinaris nach Remagen brachte. Für eine vor Mailand durch Reinald erlittene Demütigung gedachte Pfalzgraf Konrad sich daheim zu rächen; er ließ sich verleiten, am Rhein in die Lande des noch abwesenden Kölners einzufallen. Da er das Gebiet von Rheineck als eine früher zur Pfalz gehörige Besitzung als sein Erbe ansah, wollte er sich des Platzes bemächtigen. Reinald, der die Anschläge seines Gegners zeitig in Erfahrung brachte, beauftragte seinen streitbaren Domdechanten Philipp von Heinsberg, Burg Rheineck schleunigst wieder aufzubauen und zu besetzen. Das gelang, namentlich da der Trierer Kirchenfürst seinen Kölner Kollegen unterstützte und den Stahlecker Pfalzgrafen aus „nachbarlicher Freundschaft“ zu schädigen trachtete. Pfalzgraf Konrad sah seine Pläne vereitelt, versuchte aber noch, in einer Schlacht das Glück zu erproben. Als er aber bei Andernach auf das wohlgerüstete Heer des Gegners stieß, muß ihm wohl der Mut entfallen sein, und er kehrte um. Rheineck aber blieb im Besitze Kölns und wurde die zweite starke Grenzburg im Oberstift. Die Burg erhielt wie die Burgen Altenahr und Rolandseck einen erblichen Burggrafen und war bis zur Franzosenzeit Kölner Lehen.

In das System der mittelalterlichen Landesverteidigung gehörten auch eine Reihe befestigter Orte, Städte und Dörfer im Kreis; ich nenne neben Ahrweiler, Remagen und Sinzig die befestigten Orte Gelsdorf, Heimersheim, Bodendorf, Königsfeld, Koisdorf, Westum, Löhndorf, Niederbreisig, Unkelbach und Oberwinter, die teils durch ihre Lage wie Remagen, Sinzig und Bodendorf oder durch ihre dynastische Abhängigkeit wie vor allem Ahrweiler in das befestigte System einbezogen waren und dadurch an dem bunten Kleid der Landesgeschichte mitwebten. Ich denke, an Hand dieser von Örtlichkeiten der Heimat herangenommenen Beispiele eine kleine Vorstellung davon geweckt zu haben, wie die mittelalterliche Burg den Angelpunkt darstellte, an den fast alles geschichtliche

Geschehen sich knüpfte, d. h. wie die Örtlichkeit, die Landschaft, den Geschichtsablauf bedingte und das Warum und Weshalb desselben dem späteren Beschauer erschließt, wie bereits der griechische Geschichtsschreiber Polybios

(208 bis 127 v. Chr.) in seiner „Geschichte des röm. Staates“ sich ausdrückt und so durch die Hineinbeziehung geographischer Momente in die geschichtliche Betrachtung als erster Geopolitik trieb.

Anmerkungen:

  1. Benannt nach dem Auel- od. Oelberg i. Siebengebirge, der höchsten Erhebung d. Gebiets, der damaligen Mal- od. Gerichtsstätte, wo der Pfalzgraf Öffentlich zu Gericht saß. Wir haben dieselbe Erscheinung im Malberg bei Waldbreitbach, der höchsten Erhebung des Engersgaues. — Der Awelgau umfaßte das Gebiet des Siebengebirges und des Westerwaldes.
  2. Der damalige, heimatkundlich tätige Verleger des Jahrbuches, Dr. phil. Karl Kollbach, hatte in einer Fußnote darauf hingewiesen, daß der alte Flurname „Sachsenburg“ bei Richmühle in der Gemarkung Nierendorf, nordwestl. Kirch-daun, zu dessen Pfarrei Nierendorf vor 1798 gehörte, in nächster Nähe der A. F. H. mit diesen historischen Gegebenheiten im Zusammenhang stehen müsse. (Schriftleitung.)