Der 500jährige Kampf des Germanentums gegen die Romanisierung unserer rheinischen Heimat

VON BERNHARD KOSSMANN

Das älteste Kulturvolk, das wir in den Rheinlanden durch die Berichte der Römer kennenlernten, waren die Kelten. Sie waren ein Zweig der indogermanischen Völkerfamilie, zu der auch die Germanen und Slaven, Römer und Griechen, Perser und Inder gehörten, wie es die vergleichende Sprachwissenschaft lehrt. Als ihre Urheimat wird Süd-Osteuropa angenommen; von hier aus gingen sie auf Wanderung.

Kelten tauchten seit dem 7. Jahrhundert vor Christus in allen Teilen Europas auf. Sie besetzten schon früh neben Schlesien und Österreich ganz Süddeutschland. Aus diesem Raum erfolgte um 400 v. Chr. der große keltische Angriff auf Westeuropa. Zuletzt waren alle Länder bis Spanien, Gallien und Irland von keltischen Stämmen, die sich um befestigte Fürstensitze gruppierten, unter Kontrolle gebracht. Bei dem Zusammenleben der Kelten mit den im Lande verbliebenen Ureinwohnern dürften sich jene keltischen Dialekte herausgebildet haben, die heute noch in der Bretagne, in Irland, Schottland und Wales gebräuchlich sind.

Keltisch und von den Germanen einfach übernommen sind viele Berg-, Fluß- und Ortsnamen in Süd- und Westdeutschland. Selbst der Name unseres Heimatortes Remagen ist auch aus der keltischen Sprache entstanden. Bei Ausgrabungen fand man unter dem Fußboden der alten Kirche zwei Sigillatabruchstücke aus römischer Zeit mit dem ausgeprägten Stempel „RICOMI“, wodurch es sehr wahrscheinlich wird, daß es sich hiermit um eine lokale Fabrikmarke handelt mit einem Anklang an die Ortsbezeichnung. Die Römer haben den bereits vorhandenen keltischen Namen übernommen und ein wenig romanisiert zu Ricomagus — Rigomagus. Ein versprengtes Steinstück mit der Aufschrift „iCOMI“ wurde in Niederbieber gefunden.

Für die Rheinlande stammen die ältesten Nachrichten von dem römischen Feldherrn und Staatsmann Julius Cäsar (102—44 v. Chr.). Seine Hauptwerke sind „Der Gallische Krieg“ (Bell. Gall) und „Der Bürgerkrieg“. Diese Aufzeichnungen wurden später ergänzt durch den bedeutenden römischen Geschichtsschreiber Tacitus (55—120 n. Chr.). Das umfangreiche Gesamtwerk der „Historien“ behandelt die selbsterlebte Zeit der drei Flavier (Vespasian, Titus und Domitian) von 69—96. In den „Annalcn“ beschreibt er die Regierungszeiten nach dem verewigten Augustus von 14 bis 68 n. Chr. (Tiberius, Caligula, Claudius und Nero).

Für unsere Vorfahren ist seine „Germania“ von besonderem Interesse. Er schildert sie als ein unverdorbenes Kulturvolk, hebt die Tugenden hervor, ohne die Fehler zu verschweigen.

Das Vetternvolk der Kelten, die Germanen, bevölkerte ursprünglich das Tiefland zwischen Elbe und Oder, den Küstenstreifen bis zum Rhein, Schleswig-Holstein und Jütland, die dänischen Inseln und den südlichen Teil von Skandinavien.

In diesen Wohngebieten haben die Germanen sich zu einem großen Volk entwickelt, das aus zahlreichen Stämmen bestand. Die Eigentümlichkeiten in Sprache, Glaube, Sitte und Verfassung, durch welche in geschichtlicher Zeit alle germanischen Völker ihre gemeinschaftliche Abkunft verrieten und sich von den umwohnenden Völkern unterschieden, wurden hier gebildet. Immerhin hatten die Germanen auch viele Züge mit den Kelten gemeinsam, und erst Cäsar (Bell. Gall.) erkannte mit Sicherheit die sprachlichen und völkerkundlichen Unterschiede zwischen beiden. So hat er die Völker für immer sich zu scheiden gelehrt und den Namen Germanen üblich gemacht. Diese Erkenntnis spricht Tacitus in der „Germania 4″ aus, wo er von den Rassenmerkmalen der Germanen berichtet. Im Osten wurden die Germanen von den Slawen, im Süden und Westen von den Kelten flankiert.

Die Germanen waren bei ihrer Wanderung in das Urwaldgebiet der norddeutschen Tiefebene mit all ihren Fährnissen gelangt und hatten sie allmählich in ganzer Ausdehnung in Besitz genommen. Nach dem Abzug der Kelten besiedelten sie die ebenfalls von Urwald bedeckten mitteldeutschen Gebirgszüge. Das Wandervolk war mit den Anfängen der Ackerbaukultur nach dem Westen gekommen. Die Beschaffenheit des neuerworbenen Landes nötigte sie, trotz aller Vorliebe für das bequemere Nomadenleben doch dem rohen Ackerbau nicht zu entsagen. Die Waldnatur des Landes, das Waldleben seiner Bewohner blieben unverändert. Das war für die Freiheit der Deutschen in der Zeit der Römerkriege ein Glück. Die Pfadlosigkeit der Wälder erschwerte alle Bewegungen der Feinde und führte sie oftmals in die Irre, während sie den ortskundigen Eingeborenen ein sicheres Versteck für ihre bewegliche Habe bot.

Der Grund der Wanderung ist hier, wie früher und später, hauptsächlich die „Landnot“. Das Dasein ruhte ja noch auf der Viehzucht und nebenbei auf einem primitiven Ackerbau. Gelang es, die Nachbarvölker aus ihren Gebieten zu verdrängen, so erfolgte eine glückliche Erweiterung des eigenen Gebietes; gelang dies nicht, so ging das angreifende Volk entweder zu Grunde oder mußte sich zu fester Seßhaftigkeit und wirklichem Ackerbau bequemen.

In einfacher Fortsetzung der bisherigen Vorwärtsbewegung schoben die Germanenstämme, in unserer Heimat die Istväonen, in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung die Kelten auf das linke Rheinufer. Wie sich im einzelnen die Besitzergreifung vollzogen hat, wissen wir nicht.

Die gewaltigste dieser Wanderbewegungen ist der Zug der germanischen Kimbern und Teutonen aus dem Nordseegebiet. Auch sie suchten Land weitab von der bisherigen Heimat und gingen nach mehrjährigen Wanderungen beim Einmarsch nach Italien dem Untergang entgegen, In den Schlachten bei

Aquae Sextiae (102 v. Chr.) in der Provence und Vercellae (101 v. Chr.) am oberen Po errang der Konsul und Feldherr Marius mit seinem Heer von Freiwilligen einen totalen Sieg über die rohe Kraft der fellbedeckten Krieger aus dem Norden. Der Sieger befreite die Römer von einem mehrjährigen „kimbrischen Schrecken“ und dem „Furor Teutonicus“. Tragisch ehrenvoll war dieser erste große Vorstoß gegen die Welt des Südens ausgegangen. Für die germanische Nation war diese Niederlage ein Segen. Hätten die Kimbern und Teutonen Aufnahme in Italien gefunden, dann wären noch zahlreiche Bruderstämme nachgezogen und hätten ein ruhmloses Ende ihres Volkstums gefunden. Im Norden und Süden war der Rhein erreicht, in der Rheinpfalz und im Elsaß teils überschritten durch die Stämme der Triboker, Nemeter und Vangionen. Istväonische Scharen gingen über den Mittelrhein und drangen bis ins östliche Belgien, wo schon die Aduatucer, ein Rest der kimbrisch-teutonischen Wanderungen, saßen. Am ganzen Rheinstrom standen andere Germanenstämme zum Einzug nach Gallien bereit.

Die bedeutendsten der am Rhein in vorchristlicher Zeit wohnenden Cermanenstämme waren die Ubier — etwa zwischen Lahn und Sieg —, die Sugambrer — nördlich von erste-ren bis zur Ruhr und Lippe —, die Usipeter und Tenkterer nördlich von den Sugambrern, östlich von diesen die Brukterer und im Rheindelta die Bataver.

Da erschien im Jahre 58 v. Chr. der römische Statthalter Julius Cäsar, ein Neffe des Ma-rius, in Gallien. Nach Cäsar (Bell. Gall. 1,1) war Gallien in drei Hauptteile gegliedert. Den einen bewohnten die „Beiger“ im Nordosten, den zweiten die „Aquitanier“, den dritten die Stämme, die in ihrer eigenen Sprache „Kelten“, in der römischen aber „Gallier“ hießen. Dabei ist „Galli“ eine Latinisierung des griechischen Galatai (vgl. Galater in Kleinasien).

Unsere Heimat gehörte zur Zeit Cäsars zur Landschaft „Belgium“. Die Grenze war im Westen der Lauf der Seine und im Osten der Rhein von der Mündung bis zum Rheinknie beim heutigen Basel. Die Belgier waren schon früher aus Germanien eingewandert. Cäsar lobt sie als die tapfersten Kämpfer in Gallien. Aus den dauernden Bedrohungen des römischen Imperiums durch die landhungrigen germanischen Volksstämme zieht Cäsar nun die strategischen Konsequenzen. Er will Gallien zu einem Bollwerk Roms machen. Dabei muß er eine Doppelaufgabe lösen: das Land Gallien erobern und die eingedrungenen Germanen zurückweisen. Der Rhein soll dabei zur festen Grenze des römischen Reiches werden. Diese Aufgabe löste der Statthalter auf seine Art.

Auf seinem Vormarsch besiegte er im Jahre 58 v. Chr. zuerst die in Gallien einbrechenden Helvetier (Schweiz) bei Bribacte und trieb sie in die Heimat zurück. Sie hatten die Absicht, mit ihren Verbündeten ganz Gallien anzugreifen und die Herrschaft an sich zu reißen. „Nach Beendigung des Krieges“, schreibt Cäsar im Bell. Gall 1,30, „trafen als Gesandte fast ganz Galliens die Fürsten der Stämme bei mir ein, um mir ihre Glückwünsche darzubringen.“ Diese unterwürfige Handlung bekundete die Auswirkung des Krieges und die Zerrissenheit der Gallier.

Der nächste von Cäsar vertriebene Stamm waren die Sueben. Sie gehörten zu der Gruppe Westgermanen zwischen Elbe und Oder. Seit Jahrhunderten waren sie dabei, sich von dort nach Westen vorzuschieben und kamen bis zum Oberrhein. Die nordwestlichen Stämme waren den Sueben keineswegs gewogen, weil sie von ihnen terrorisiert wurden. Es war bei weitem das größte und kriegerischste Volk von allen Germanen; deshalb war es auch sehr gefürchtet.

Die Sequaner in Gallien (westlich des Jura) hatten bei ihrem Streit mit den benachbarten Äduern den Heerkönig der Sueben Ariovist zu Hilfe gerufen. Dieser bildete in Gallien einen Kriegerstaat und zog immer neue Scharen von Germanen über den Rhein. Er nötigte seine Schützlinge, die Sequaner, ihm ein Drittel ihres Landes abzutreten; schließlich forderte er sogar das zweite Drittel. Die bedrängten Stämme wandten sich an Cäsar, und er besiegte Ariovist in der Gegend von Mülhausen im Oberelsaß vollständig. Nachdem Cäsar im Sommer 58 v. Chr. zwei große Kriege beendet hatte, begann er nach der Überwinterung das von den Kelten beherrschte mittlere Gallien zu unterwerfen. Viele Stämme traten nach der Besiegung Ario-vists als Bundesgenossen freiwillig in die Abhängigkeit von Rom. Alsdann unterwarf Cäsar die Völkerschaften der Beiger in Nord-Ost-Gallien ohne längere Gegenwehr. Nur die Stämme mit eingewanderten Germanen, wie Nervier und die heimatlichen Eburonen zwischen Maas und Rhein, leisteten dem Angreifer hartnäckigen Widerstand, der aber gebrochen wurde.

Damit war im Jahre 57 v. Chr. das linke Rheinufer ein Land des römischen Imperiums geworden. In kaum fünf Monaten hat Cäsar in unserer Heimat Weltgeschichte gemacht.

Nach dem Historiker Theodor Mommsen waren die Folgen dieses einen Feldzuges unermeßlich: „Der Rhein war die Grenze des römischen Reiches gegen die Deutschen geworden.“ Bis dahin war der Strom keine Völkerscheide, schon von altersher hatten Germanen das linke Rheinufer bewohnt.

Nach Beendigung des germanischen Krieges bot sich Cäsar wieder ein neues Hindernis. Die Usipeter und Tenkterer zogen in einer Stärke von 430 ooo Mann mit Weibern und Kindern in der Nähe von Kleve über den Rhein. Als Cäsar im Frühjahr 55 v. Chr. herbeieilte, baten sie um Landzuweisung, da sie sich gegen die nachstürmenden Sueven nicht mehr behaupten konnten. Die Führer wurden gegen alles Völkerrecht von Cäsar zurückgehalten und die nun nachfolgenden führerlosen Volksstämme auf der Gocher Heide (?) niedergemetzelt oder in den Rhein getrieben.

Anschließend machte Cäsar in den Jahren 55 und 54 v. Chr. je eine Überfahrt mit mehreren Legionen nach England und landete in Dover. Seine Legionen kämpften glücklich gegen die gallische Bevölkerung, trotz eines Angriffes auf die Schiffslager. Als er aus England im Jahre 53 v. Chr. zurückkehrte, legte er die Legionen im belgischen Gebiet in verschiedene Winterlager, Die Truppen, die in unserem Heimatgebiet, dem Land der Eburonen, überwintern sollten, wurden durch einen listigen Verrat des Königs Ambiorix unter Mithilfe der Treverer völlig vernichtet (Bell. Gall. 4,24—58). Zur eigenen Sicherheit, um die Sueven abzuwehren und die Sugambrer auf dem rechten Rheinufer zu züchtigen, hielt Cäsar einen zweiten Rheinübergang 53 v. Chr. für notwendig. Er wollte damit auch den Anspruch auf das germanische Kernland jenseits des Stromes neu demonstrieren. Er baute wieder eine Pfahlbrücke, eine technische Meisterleistung, zwischen Koblenz und Bonn. Zuerst verwüstete Cäsar das Gebiet der Sugambrer, weil sie den Eburonen Hilfsdienste erwiesen hatten.

Die fortschrittlichen Ubier, die sich ursprünglich im Lahngebiet niederließen und schon früh verwelschten, konnten Cäsar beweisen, daß sie das Treueverhältnis mit Rom nicht gebrochen hatten. Cäsar nahm die Rechtfertigung der Ubier an, doch mußten sie Spitzeldienste gegen die Sueben leisten. Durch ubi-sche Spähtrupps erfuhr der Feldherr, daß sich die Sueben in die tiefen Wälder zurückgezogen hatten. Aus Sorge um die eigene Sicherheit und infolge von Schwierigkeiten in der Verpflegung rückten die Römer über die Brücke auf unser Rheinufer bald wieder zurück. Nachdem im Jahre 53 v. Chr. das rechte Rheinufer gesichert und die Rheinlinie die feste Grenze zwischen dem Römerreich und Germanien war, konnte der Feldherr den brutalen Rachefeldzug gegen die Eburonen beginnen, der unsere Heimat zur Wüste machte. Warum ihr König Ambiorix es unterließ, seine Truppen zusammenzuziehen, um das Land zu verteidigen, wissen wir nicht. Durch Boten ließ er im Lande nur verkünden: „Rette sich, wer kann!“ Ambiorix selbst entkam über den Rhein.

Cäsar ermunterte nach Bell. Gall. 6,34 die Nachbarstämme, sogar die von jenseits des Rheines, zur Mithilfe bei der Ausplünderung des Landes. „Alle Dörfer, alle Häuser, die nur zu erblicken waren, wurden niedergebrannt; das Vieh wurde geschlachtet und überall geplündert. Das Getreide wurde von den vielen Menschen und den Pferden verbraucht. Die Reiterei kämmte alle Landstriche durch. Wer sich auch im Augenblick versteckt hatte, mußte verhungern.“ Die Reste der Bevölkerung jagte er über den Rhein zu den Sugambrern, wo bereits alles zerstört war. Damit war der Stamm der Eburonen in unserer Heimat ausgelöscht.

Wie Cäsar bereits 58 v. Chr. die kleinen Stämme der Triboker, Nemeter und Vangionen am Oberrhein auf der linken Rheinseite zu einer Riegelstellung zuließ, so verfolgte er wahrscheinlich die gleiche Praxis am Niederrhein mit den Ubiern. Jedenfalls drängte die von ihm geschaffene Lage und das Vakuum, das durch die Vernichtung der Eburonen in unserer Heimat entstanden war, zu einer Lösung.

Der Feldherr verließ 49 v. Chr. die gesicherte Provinz, um in Italien den zweiten Bürgerkrieg zu beenden. Cäsar blieb Sieger gegen Pompejus und die Senatspartei. Im Jahre 45 v. Chr. wurde er Alleinherrscher, Diktator und Imperator und 44 v. Chr. von verschworenen Republikanern ermordet. Der Ubierstamm, der wegen seiner Römerfreundschaft von den Nachbarstämmen oft bedrängt wurde, wünschte schon immer eine Umsiedlung als Föderale auf das linke Rheinufer. Es ist anzunehmen, daß schon zu Lebzeiten Cäsars dieser Stamm in unserer Heimat Wache hielt. Im Jahre 38 v. Chr. bewohnten die Ubier unsere Heimat. Tacitus berichtet in der Germania 28: „Die Ubier sind ja vor Zeiten herübergekommen; zum Beweise des Vertrauens wurden sie hart an das Ufer des Rheins gestellt — als eine Schutzwehr — nicht als Häftlinge.“ Die Grenze des Stammverbandes (Civitas) der Ubier reichte im Westen fast bis Aachen, im Süden bis zum Vinxtbach und im Norden bis Krefeld.

In den Jahren 16—13 v. Chr. wurde die Neuorganisation der gallischen Provinzen ausgeführt. Dabei wurden die von Germanen bewohnten Streifen des linksrheinischen Landes als Provinz „Germania“ abgetrennt, geschieden in die Militärbezirke „Germania superior“ und „Germania inferior“, die durch den Vinxtbach getrennt waren.

Nach Cäsar unternahmen die Römer zunächst keine Eroberungszüge mehr nach Germanien. Sie benutzten ihre ganze Kraft, Gallien völlig unter ihre Herrschaft zu bringen. Die Germanen mögen dies vielfach als Schwäche ausgelegt haben. Schon 38 v. Chr. hatte der Feldherr und Schwiegersohn des Kaisers Augustus (30 v. bis 14 n. Chr.) Vispanius Agrippa suebische Stämme über den Rhein zurücktreiben müssen. Andere germanische Volksstämme verbanden sich sogar mit den keltischen Treverern (29 v. Chr.) und weiteren linksrheinischen Stämmen zu gemeinsamen Raubzügen in das gallische Grenzgebiet. Erst nachdem Agrippa (19 v. Chr.) wieder nach Gallien und an den Rhein gekommen war, scheint zeitweise Ruhe eingetreten zu sein. Im Jahre 16 v. Chr drangen (nach Dio 20,4—6, Römische Geschichte) abermals Sugambrer in Gemeinschaft der Tenkterer, nachdem sie römische Kaufleute beraubt und gekreuzigt hatten, über den Rhein und schlugen den Legaten (Legionsführer) Lollius. In der Gegend von Aachen verlor die 5. Legion sogar ihre Adlerstandarte.

Diese schweren Kämpfe veranlaßten den Kaiser Augustus, Rom zu verlassen und an den Rhein zu eilen. Bei seinem mehrjährigen Verweilen in der Provinz hielt er es für notwendig, die Romanisierung durch neue Kolonien zu vermehren; 12 n. Chr. erhielt die „Ära Ubiorum“ (Köln) das italische Bürgerrecht. Der Altar des Kaisers Augustus, der von renommierten Sehern verwaltet wurde, war ein Heiligtum von überragender Bedeutung und ein geistiger Mittelpunkt für das innere Germanien, das man schon zum römischen Reiche rechnete. Nach Tacitus (Annalen 1,57 u. 59) war der Cherusker Segestes, Schwiegervater des Arminius, in den Jahren 9 u. 16 n. Chr. Oberpriester an der Kölner Ära. In diesen Jahren wird sich bei Augustus zuerst der Entschluß festgesetzt haben, zur Sicherung Galliens das Gebiet zwischen Rhein und Elbe zu unterwerfen. Mit der Ausführung des Planes wurde von 12 bis 9 v. Chr. Drusus, der jüngere Stiefsohn, beauftragt. Er suchte nicht den schnellen Sieg, sondern einen dauerhaften Erfolg. Er sicherte sich vor allem eine feste Operationsbasis, indem er die am Rhein vorhandenen Befestigungen Mainz, Köln und Xanten durch Brückenköpfe auf dem rechten Rheinufer vermehrte und außerdem 50 Befestigungen, meist nur Verstärkungen vorgefundener keltischer Anlagen, errichtete. Auch unser Heimatort Remagen war damals ein Marschlager mit Truppenunterkünften in Zeltlagern und Erdbunkern hinter Erdwällen. Es war noch keine Dauereinrichtung. Von Nymwegen bis Basel, wo mit ständigem Einbruch gerechnet werden mußte, lagen die Garnisonen in regelmäßigen Abständen von etwa 20 km Tagesmarschleistungen. Solche Standlager waren in unserer Heimat Bonn, Remagen, Andernach und Koblenz, Das Lager Remagen war wohl anfangs hauptsächlich eine Polizeistation für Hilfstruppen zur Flankendeckung der Ahrmündung. Von dem Hochufer des Lagerplatzes aus (heutige Pfarrkirche) konnten die rechts- und niederrheinischen Straßen gut eingesehen und überwacht werden.

Alle gallischen Legionen und Hilfstruppen (Auxillia) wurden 12 v. Chr. an das linke Rheinufer in Bereitstellung verlegt. Damit erstickte Drusus die Bewegungen im römischen Gebiet, ehe sie recht in Gang kamen. Er ging seinerseits über den Rhein und brandschatzte das Gebiet der Usipeter und Sugambrer. Drusus unternahm vom Rhein aus vier Feldzüge zur See und zu Lande in das germanische Land. Beim letzten Einmarsch drang er von Mainz aus bis zur Elbe vor und starb dann beim Rückmarsch durch einen Sturz vom Pferde. So erfolgreich war die Tätigkeit des Drusus, daß sein Tod keine größeren Erhebungen der Germanen zur Folge hatte. Sein Bruder und Kronprinz Tiberius setzte die „Befriedung“ des germanischen Raumes fort. Er wurde von dem Kaiser zu wiederholten Malen nach Germania abkommandiert, so 8 bis 7 v. Chr., dann wieder 4—5 n. Chr. Im Jahre 8 v. Chr. forderte er von den Sugambrern, die seit langen Jahren die eigentlichen Urheber aller gegen die Römer gerichteten Bewegungen waren, die Unterwerfung. Die Gesandtschaft ihrer Fürsten wurde vom Kaiser Augustus gefangen genommen. Nach Suetons Kaisergeschichte, Tiberius 9, wurde dann der führerlose Volksstamm, 40 ooo unterworfene Sugambrer, nach Gallien in „zugemessene Gebiete“ umgesiedelt. Ihr Wohnsitz war am linken Niederrhein; sie hießen fortan hier Cugerner. In den Jahren 6 v. Chr. bis 2 n. Chr. zieht sich Tiberius halb freiwillig nach Rhodos zurück.

Im Jahre 9 n. Chr. war Quintilius Varus Statthalter zwischen Rhein und Elbe. Er wird geschildert als ein staatsmännisch und politisch unkluger Mann. In kurzer Zeit hat er sich durch unbarmherzige Anwendung des römischen Rechts und rücksichtslose Steuererpressung verhaßt gemacht. Unter Leitung des cheruskirschen Fürsten Segimer und besonders seines Sohnes Armin hatte sich eine Verschwörung mehrerer germanischer Völkerschaften zur Abschaffung des römischen Joches gebildet. Auf die Kunde, daß bei einem der östlichen Stämme eine Empörung ausgebrochen wäre, zog Varus mit 3 Legionen in das sumpf- und waldreiche Hügelgebiet zwischen Erns, Weser und Lippe und wurde dort wahrscheinlich schon auf dem Marschwege angegriffen. Durch die Kopflosigkeit des Varus, der sich alsbald verloren gab, wurde das römische Heer völlig vernichtet. In Rom herrschten ungeheure Bestürzung und maßlose Befürchtungen vor einer Überflutung Galliens durch Germanen. Die Befürchtungen waren gegenstandslos: die Germanen dachten nur an die Säuberung des ostrheinischen Landes. Tiberius sicherte wieder die Rheingrenze. Germanikus, der von Tiberius adoptierte Sohn des Drusus, übernahm, als Tiberius 14 n. Chr. den Thron bestieg, die Provinz Gallien und damit den Oberbefehl im germanischen Kriege.

Tiberius hatte die frühere Politik einer kriegerischen Unterwerfung Germaniens aufgegeben und war nun gesonnen, die Germanen sich selbst und ihrer Uneinigkeit zu überlassen. Trotzdem unternahm Germanikus ohne kaiserliche Ermächtigung, ohne Veranlassung und ohne Kriegserklärung von 14 bis 16 n. Chr. drei Feldzüge von Köln und Mainz aus. Er fällt in das Land der Chatten (Hessen) und Cherusker ein, bestattet die Gebeine der im Jahre 9 gefallenen römischen Soldaten und besiegt bei Idistaviso den Arminius. Tiberius ruft Germanikus ab und gibt die Eroberung Germaniens auf, die soviel Blut und Gut gekostet hatte.

Die Rheinarmee wurde auf Garnisonen am linken Rheinufer verteilt; Xanten und Mainz erhielten je zwei Legionen, Neugründungen in Bonn und Neuß je eine Legion. Dazwischen schuf Tiberius Auxilliarkastelle, die für längere Zeit Bestand haben sollten. So entstand um etwa 16 n. Chr. auch unser Kastell Rigomagus. Es war ein Kohortenlager mit durchschnittlich 360—500 Mann Hilfstruppen unter dem Kommando eines Römers. Dieses Lager wurde zu Beginn des Jahres 1900 bei den Fundamentierungsarbeiten für den Neubau der kath. Pfarrkirche in einer Tiefe von 5 m unter dem aufgeschütteten Boden des alten Friedhofes von den Archäologen des Bonner Provinzialmuseums entdeckt. Diese älteste Befestigung bestand aus Wall und Graben. Der Wall war eine Holz-Erde-Mauer, d.h. zwei abgestütze Eichenholzwände mit meist 3 m (10 Fuß) Abstand voneinander. Die Erde der Gräben diente zur Auffüllung des Walles. (Siehe Heimat-Jahrbuch 1965: „Remagen zur Römerzeit“.)

Nach den Zerstörungen der Festungsanlagen im Bataveraufstand  69/70 wurde die Holz-Erde-Mauer durch eine 1,20 m dicke Steinmauer in moderner Bauart mit Toren und Türmen ersetzt.

Von nun an war der Rhein bis zum 3. Jahrhundert hinein die Militärgrenze Galliens, die nur in der Provinz Ostgermanien über den Strom hinaus als Limes (Grenzwall zwischen Rhein und Donau) nach Osten verlegt wurde (Domitian bis Hadrian 81—138 n. Chr.). Auffallend ist das Schweigen der historischen Quellen in einem Zeitraum von 150 Jahren, etwa von 100 bis 250 n. Chr. Bis zu den Frankeneinfällen, die um die Mitte des 3. Jahrhunderts begannen, wurden die Truppen Germaniens selten gegen die rechtsrheinischen Germanen eingesetzt. Für die Provinz Niedergermanien verlief das 2. Jahrhundert gänzlich ohne kriegerische Verwicklungen. Es bedeutete für unsere Heimat eine glückliche Friedenszeit. Allenthalben entstanden größere und kleinere Städte, besonders im Anschluß an militärische Lager, wie das auch bei dem Kastell Rigomagus der Fall war. Heerstraßen durchzogen alle Provinzen. Von besonderer Bedeutung war die „Römerstraße“, eine Verbindung der Rheinkastelle mit Rom. Sie führte in Remagen im Verlauf der Bach- und Hauptstraße dicht an dem Kastell vorbei. Von einem allgemeinen Wohlstand zeugen unsere Ausgrabungen der Säulenbauten des Praetoriums, dem Hauptquartier des Kommandanten. Damit verbunden waren meist Göttertempel und Theater. Wasserleitungen aus dem „Lützelbachtal“ und der „Bergtränk“ speisten die Brunnen mit klarem Trinkwasser und füllten die Becken des Tempels und der Bäder. Die Römer brachten die Winzer mit; sie bepflanzten die sonnigen Rheinufer mit Reben. Römische Kaufleute gelangten unter dem Schutz des Friedens in das innere Germanien und entfalteten hier einen blühenden Handel. Kaiser Trajan begann um das Jahr 100 n. Chr. mit dem Bau des Limes, der den Rhein schützte.

Darauf begann im 3. Jahrhundert für die Provinz Niedergermanien wieder eine Epoche starker militärischer Bedrängnis. Es wurde eine Zeit des tiefsten Niederganges des Imperiums. Der Mangel einer festen Erbfolge der römischen Kaiser zerrüttete die römische Zentralregierung unter den Soldatenkaisern von 192 bis 284 n. Chr.

Die Kaiser wurden von den Legionären oder den übermächtigen Prätorianern (Leibwache der Kaiser) ein- und abgesetzt. Nach dem Tode des Soldatenkaisers Septimus Severus (211) regierten in nur 73 Jahren nicht weniger als 23 Kaiser, von denen mehrere sich nur einen Monat auf dem Thron hielten. Manchmal kam die Nachricht von einer in der Provinz erfolgten Legionswahl eines neuen Kaisers gleichzeitig mit der Meldung von dessen Ermordung in Rom an.

Wenn die Rheinlegionen nach Italien marschierten, um ihre Feldherren zum Kaiser zu erheben, war das für die germanischen Völker immer das Signal zum Vorbrechen über den Rhein. Daran konnten auch die gallischen Sonderkaiser Postumus (260) und Tetricus (274) nichts ändern. Schon 260 war der Limes in den Händen der Germanen. Fast alle Kaiser des 3. bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts hatten Germaneneinfälle zu bekämpfen. Die von Tacitus genannten Stämme der Ubier, Sugambrer, Bataver, Brukterer, Kninefaten, Amsivarier und Chatten hatten sich zu einem neuen Bund der „Franken“ zusammengefaßt. Dies läßt auf eine Umgruppierung und straffere Organisation an der Grenze schließen. Auch die anderen jugendlichen Germanenvölker zwischen Rhein und Elbe hatten die Machtlosigkeit des untergehenden Römerreiches erkannt und schlössen sich zu den Bünden der Sachsen, Thüringer, Bayern und Goten zusammen. Von der Mitte des 3. Jahrhunderts ab wird von den römischen Kriegschronisten über den Völkerbund der Franken berichtet. Zur Regierungszeit des Soldatenkaisers Valerianus (253—260) und seines mitregierenden Sohnes Gallienus überschritt im Jahre 257 ein Schwärm des besitzhungrigen und eroberungsfreudigen Bauern- und Viehzüchtervolkes der Franken den Rhein. Sie stießen raubend und sengend sogar bis nach Spanien vor, und es bedurfte für die Römer eines vieljährigen und schweren Kampfes, um die Rheingrenze vor den Invasoren zu sichern. Es wäre die ungeeignetste Zeit gewesen, das Kastell Rigomagus wegen zu schwacher Befestigung preiszugeben. Wir sehen vielmehr um das ]ahr 270 n. Chr. unser Kastell mit einem neuen mächtigen Festungsgürtel umgeben. Die Mauer ist bis zu einer Breite von 3 m verstärkt und zu mindestens doppelter Höhe überbaut. Sie diente noch mehrere Jahrhunderte als Prellbock gegen germanische Angriffe.

Der auch vom Heere zum Kaiser erhobene Diokletian (284—305) war der erste Herrscher, der die Zuchtlosigkeit und den Übermut des Heeres für längere Zeit bändigte. Er versuchte das Menschenmögliche, um den drohenden Zusammenbruch zu verhindern. Dabei war der Kaiser weniger Soldat als Politiker und Organisator. Er führte die unbeschränkte Monarchie ein und entmachtete den Senat. Das Reich, wenn auch noch als Einheit betrachtet, wurde unter vier Herrscher verteilt. Rom ist nicht mehr Wohnsitz des Kaisers. Schon bald ernennt er seinen Freund Maximianus zum Mitregenten und überträgt ihm die Verwaltung der westlichen Reichsteile. Sein Amtssitz ist das frontnähere Mailand, während Diokletian selbst die Provinzstadt Nicomedia (Marmara-Meer) in eine neue Metropole umwandelt und von hier aus das Imperium regiert. Als zusätzliche Residenzen schafft er in Gallien Trier für Constantius Chlorus (Gemahl der hl. Helena) und in Illyrien Sirmium (westlich von Belgrad) für den Schwiegersohn Galerius. Maximian und Constantius sichern wieder den römischen Besitzstand am Rhein, nachdem im Jahre 287 die Franken nochmals das Moselland und Trier verheerten. Auf ein gefährliches Gebiet wagte sich Diokletian mit planwirtschaftlichen Maßnahmen. Mit ihnen soll auch das private Leben gleichgeschaltet werden. Genaue Preistarife für die Waren und Dienstleistungen werden bekanntgegeben, Wucherer schwer bestraft. Freizügigkeit des Handels und Verkehr wird aufgehoben. Die Steuereinnehmer wurden für unsere heimische Bevölkerung zum Schrecken des flachen Landes. Die Menschen flohen lieber von ihrer Heimstatt und gingen teils unter die Räuber. Die einzigen, die sich auf ihren Ländern hielten, waren die reichen Gutsbesitzer, die sich mit Leibeigenen und bewaffnetem Gesinde umgaben und dem Schatzamt die Stirn boten.

Diokletian und Maximian dankten 305 ab, und es entstehen längere Kämpfe um die Herrschaft. Aus ihnen ging Konstantin der Große (324—337) als Alleinherrscher hervor. Die Reichsverwaltung wird auf den von Diokletian geschaffenen Grundlagen abschließend geordnet. Konstantin verlegte den Hauptsitz der Regierung von Rom, das als beständige Residenz schon länger aufgegeben war, nach Byzanz, das vom Kaiser verschönert und nach ihm später Konstantinopel genannt wurde.

Konstantin ließ die Militärgrenze am Rhein durch neuerbaute Wehranlagen sichern. Trotzdem wurde die Rheinzone von 352 an in einem bis dahin noch nicht dagewesenen Umfang von den Germanen heimgesucht. Die Thronstreitigkeiten zwischen den Söhnen des Kaisers nutzten besonders die Franken und Alemannen aus zu einem Großangriff mit großen Zerstörungen auf dem linken Rheinufer.

Konstantins Sohn, Konstantin II., vereinigte nach dem Tode seiner Brüder und nach der Beseitigung der Nebenkaiser abermals das ganze Reich von 355—361. Er schickte seinen Vetter, den Kronprinzen Julianus, als Oberbefehlshaber an den Rhein. Nachdem die Städte von Straßburg bis Mainz von den Alemannen befreit waren, marschierte er durch unsere Heimat und eroberte die fränkische Hauptstadt Köln zurück. Ammianus Marcellinus, ein Geschichtsschreiber der römischen Kaiser von 96 bis 378 n. Chr., erlebte selbst die Frankenkämpfe am Rhein in der Zeit von 353 bis 378. Er erwähnte zum erstenmal 356 n. Chr. unseren Heimatort Remagen als „Oppidum“ (Stadt), Er schreibt: „In diesen Landstrichen ist keine Stadt, kein Kastell zu sehen. Nur bei „Confluentes“ (Koblenz), einem Ort, der so genannt ist, weil dort die Mosel in den Rhein fließt, befindet sich das Oppidum Rigomagus und in Colonia (Köln) ein einzelner Turm.“ Danach hat unser verstärktes Kastell diese Zeit der Zerstörungen gut überstanden.

Cäsar Julianus, von 361 bis 363 selbst Kaiser, berichtete weiter über seine Kriegserfolge am Rhein nach Ostrom: „In Massen siedelten die Germanen in aller Ruhe um die zerstörten keltischen Städte herum. Von solchen Städten mit zerstörten Mauern gab es wohl 45, von den Kastellen und Forts ganz abgesehen. In diesem Zustand übernahm ich Gallien und gewann als erstes die Stadt Agrippi-na (Köln) zurück. Da waren alle Barbaren vertrieben.“

Trotz des gewaltigen Sieges war Julian aber gezwungen, das Niederlassungsrecht auf dem linken Rheinufer anzuerkennen. „Unter dem Beistand der Götter“, schrieb Julian, „nahm ich einen Teil der Salier (Franken) in das Reich auf, vertrieb dagegen die Chamaven und erbeutete viele Rinder und Frauen mitsamt ihren Kindern.“ Es waren Experimente der Not, die nur befristete Wirkung ausübten. Gregor von Tours (Historiae Francorum 2,9) berichtet uns von einem neuen Raubzug der Franken und der Vernichtung des römischen Heeres im Jahre 388 unter den Führern Ge-noband, Marcomer und Sanno. Sie „töteten eine Menge Menschen, verheerten die fruchtbarsten Landstriche Niedergermaniens • und jagten den Bewohnern Schrecken ein.“ Ein Teil der Franken war mit der Beute schon über den Rhein gezogen. Zwei römische Generale folgten ihnen nach. Dort wurden sie in den Wäldern in eine Falle gelockt. „Hier versanken zuerst die Reiter im Morast . . ., die Legionen wurden niedergehauen, und fast alle Führer fielen.“ Die Römer erlitten hier nochmals das Schicksal der Varus-Legionen.

In der Folge war das Reich wieder geteilt. Mit Theodosius (379—395) hatte ein wirklich bedeutender Herrscher den Kaiserthron bestiegen. Er durchschaute die Bedürfnisse der Zeit mit klarem Blick, daß das alternde Reich sich mit römischen Kräften der jugendfrischen Germanen nicht mehr erwehren konnte. Es ließ sich nur dann noch halten, wenn es ihm gelänge, sich aus diesen Germanen seine Reichsverteidiger zu bilden und diese zu Trägern der römischen Kultur zu machen. Das ging aber nur, wenn der römische Hochmut darauf verzichtete, sie als Barbaren zu behandeln. Theodosius hat das getan und die tüchtigsten Germanen in die höchsten Ämter des Zivil- und Militärdienstes befördert. In Italien regierte Valentin II. Zum leitenden Minister des Westreiches ernannte Theodosius den Franken Comes Argobast. Der Titel Comes sagt, daß er ein zum Hof gehöriger Begleiter und Kommandeur der kaiserlichen Leibwache (Palastwache) war. Dieser regierte mit kräftiger Hand, Er bekämpfte die in Gallien wieder eingefallenen aufrührerischen Frankenstämme und verfolgte sie über die Rheingrenze. Es war der letzte Kriegszug in die Wälder Galliens, und damit war auch der Germanisierungsprozeß zu Ende, Bald war Argobast der eigentliche ungekrönte Herrscher des Weltreiches. Doch wandte sich zuletzt Theodosius gegen den Franken Argobast und besiegte ihn bei Aquileja (Golf von Triest), weil er Valentin II. gestürzt und einen Schattenkaiser ernannt hatte. Theodosius vereinigte nochmals das römische Reich. Vor seinem Tode 395 verfügte er noch eine dauernde Reichsteilung für seine Söhne Honorius und Arcadius. Die Grenze zwischen West- und Ostrom führte ungefähr gleichlaufend mit dem 19. Längengrad östl. Länge und begann an der Großen Syrte in Nordafrika und endete bei Sirmium in Illyricum westlich von Belgrad (Jugoslavien).

Für den zwölfjährigen Honorius (395—423) sollte in der westlichen Reichshälfte der Vandale Stilicho die Regierung führen. Sterbend übergab Theodosius letzterem sogar den Oberbefehl über die Heere beider Reichshälften. Die Stellung, die er ihm jetzt übertrug, bekundete, wie sehr Theodosius von der Unentbehrlichkeit der Germanen für den römischen Staat überzeugt war. Als nun die Westgoten unter ihrem ehrgeizigen König Alarich (395—410) in Italien einfallen wollten, da beorderte der Reichsmarschall Stilicho 401 alle noch am Rhein stehenden Kerntruppen nach Italien. Damit gelang ihm vorläufig der Sieg in einer blutigen Schlacht vor Verona. Stilicho bekam den Ehrentitel „Retter des Vaterlandes“. Ermuntert durch den Abzug der römischen Truppen aus unserer Heimat 406 n. Chr. brachen buntgemischte Scharen von Vandalen, Alanen und Sueben durch die Siedlungen der Franken und Alemannen, die als seßhafte Ackerbau treibende Westgermanen sich ihnen nicht anschlössen, hindurch und überschritten den Rhein auf breiter Front. Stilicho überließ die Verteidiger Galliens den föderierten Franken und Alemannen. Diese warfen sich auch den Anstürmenden entgegen. Obgleich 20 ooo Vandalen mit ihrem König fielen, endete der Kampf doch mit der vollständigen Niederlage der für Rom kämpfenden Germanen. Drei Jahre lang wurde Gallien von der Völkerflut bis an die Pyrenäen verwüstet, zahlreiche Städte vernichtet. Bei diesen furchtbaren Verwüstungen scheint das Kastell Rigomagus mit seinem Vicus zerstört worden zu sein. Nach dem Staatskalender des römischen Reiches unter Kaiser Va-lentian III. (425—455) bestand unterhalb An-dernach überhaupt kein Garnisonort mehr.

In langsamem Vorschreiten besetzten nun auch Franken, Alemannen und Burgunder das linke Rheinufer vollständig. Von einer geregelten Grenzverteidigung konnte im 5. Jahrhundert nicht mehr die Rede sein. Die römische Regierung gab jedoch dieses Land bis zur Mitte des Jahrhunderts nicht auf. Durch die Reichsgründungen der Germanen war das weströmische Reich auf Italien, das Alpengebiet und die fast selbständig verwaltete Landschaft an der Seine in Gallien zusammengeschrumpft. Die Kaiser waren ohnmächtig, da die Oberbefehlshaber der fast nur mehr aus Germanen bestehenden Truppe willkürlich über die Besetzungen des Thrones schalteten.

Der letzte weströmische Kaiser Romulus (kleiner Mann), der dreizehnjährige Sohn eines Heerführers, wurde von Odovakar, einem germanischen Truppenführer im römischen Solde, 476 abgesetzt. Odovakar verzichtete auf den Kaisertitel und nannte sich schlicht „König von Italien“. Der Senat erkannte den neuen König an und bat den byzantinischen Kaiser Zeno, keinen neuen Kaiser zu erheben. Damit fand das weströmische Reich seinen sogenannten „Untergang“, weil es im „ewigen Rom“ keinen Träger der Kaiseridee mehr gab.

Nichts hätte näher gelegen, als von Ostrom aus die alte Residenz wieder zur Hauptstadt zu machen. Doch zog es die Imperatoren von Konstantin an (330) mehr nach dem Osten zur neuen Hauptstadt Constantinopolis. Die alte Roma überließen sie dem christlichen Bischof von Rom, dessen Stellung als Erster unter den Gleichen später durch die Würde eines Vicarius imperii (Reichsstatthalter) angehoben wurde.

So zeigt die 5oojährige Kultur in den Rheinlanden vornehmlich einen militärischen Charakter. Es gelang der römischen Kultur allmählich, Germanien zu erobern und aus Barbaren ein hochentwickeltes Volk erstehen zu lassen, das berufen war, in der Folgezeit das morsche Römerreich zu stürzen und Träger der Weltgeschichte zu werden.