Seine Exzellenz gab der Eifel die Ehre – Ein edler Graf – ein geschmeichelter Dorfwirt – und eine journalistische Story

Seine Exzellenz gab der Eifel die Ehre

Ein edler Graf – ein geschmeichelter Dorfwirt – und eine journalistische Story

Karlheinz Grohs

Name und Titel lassen den schlichten bürgerlichen Zeitgenossen von heute zwar nicht mehr in Ehrfurcht erstarren wie das früher durchaus der Fall war, doch zu beeindrucken vermag tiefblaues Blut auch noch in unseren Tagen. Und wenn ein derart hochwohlgeborener „Herr von und zu“ zusätzlich anklingen läßt, daß er überdies über ein Millionenvermögen verfüge, dann – wer könnte es nicht nachvollziehen -gerät ein Eifeler Dorfwirt ins Schwärmen. „Ein solch hoher Gast in meinem Gasthof, welche Ehre.“ Klar doch, da kommt nur das allerbeste aus Küche und Keller in Frage. Die Wirtsfrau kramt ihr Festgewand aus dem Schrank, das Seidenkleid von der Goldenen Hochzeit vor zwei Jahren, der Wirt erinnert sich, daß ihm das Lodengrün eines Waidmannes besonders gut steht, und Kusine Maria, das Servierfräulein, wird angewiesen, nicht ohne einen tiefen Knicks an den Tisch zu treten.

„Graf Helmut von Baranof-Scharwar, Ritter von Estland, Livland und Oesel, mein Name.“ Kurz und knapp, so hat er sich vorgestellt, der Herr Graf, und dem Wirt der Dorfgaststätte „Zur Burg Olbrück“ im kleinen Eifelflecken Hain im oberen Brohltal jovial die Hand gereicht. „Sie sind auch der Burgverwalter, habe ich gehört. Nun, Herr Wirt, Ihnen sage ich es gleich, aber bitte, ganz im Vertrauen, den alten Kasten werde ich kaufen. Dann wird hier alles anders werden. Ich werde die Burg zu einem Nobelhotel umbauen, nur Gäste aus höchsten Adels- und Geldkreisen, verstehen Sie. Und, wenn Sie fleißig und tüchtig sind, Herr Wirt, dann könnte auch für Sie ’ne Menge abfallen. Umbau ihrer Gaststätte, gehobene Restauration, Daueraufenthalt des zahlreichen Personals, das wir für das Burghotel benötigen. Geld für den Umbau und die Neuausstattung Ihres Hauses. Kein Problem, wird alles von mir bezahlt.“

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Also sprach der Herr Graf von Baranof, während der gräfliche Fahrer draußen den Dreihunderter-Mercedes entlud und das gräfliche Gepäck hereinschleppte.

„Ob meine einfachen Zimmer dem Herrn Grafen wohl belieben mögen?“ seufzte der Wirt, und dienerte dem edlen Herren voran die Treppe ins Obergeschoß hinauf, ihm den Weg zu weisen. Es beliebte. Graf von Baranof nahm gleich die komplette erste Etage, denn der Herr Wirt möge verstehen, von den übrigen Gästen wolle er nicht gestört werden. Und außerdem: „Zwei der Zimmer, räumen Sie bitte aus und möblieren sie, so gut Sie können. Ich brauche selbstverständlich außer dem Schlafzimmer einen Salon und einen weiteren Raum, in dem ich die Mahlzeiten einnehmen kann. Und das Etagenbad nebst Toilette, dafür geben Sie mir die Schlüssel. Diese Örtlichkeiten sind natürlich ebenfalls nur für mich bestimmt.“

Der Wirt verstand, und trat mit Ehefrau, Servierfräulein und einem kräftigen Helfer aus der Nachbarschaft alsogleich in Aktion. Betten wurden abgeschlagen, Tische und Stühle aus der Gastwirtschaft nach oben geschafft, das eigene Wohnzimmerweitgehend von Möbelstücken entblößt. Denn ein Salon, der bedarf nun mal der entsprechenden wohnlichen Atmosphäre.

Na ja, ein Dorfgasthof wie der „Zur Burg 01-brück“ ist nun mal keine Nobelherberge und auch von der prunktvollen Weitläufigkeit eines gräflichen Familienschlosses weitentfernt. Doch auch hier läßt sich’s blaublütig leben, jedenfalls für eine Weile. Vier angenehme Wochen verbrachte Seine Exzellenz, der Graf von Baranof-Scharwar nebst Fahrer, unermüdlich umsorgt von den Wirtsleuten, im gastfreundlichen Eifel-quartier. Wer weiß, vielleicht wäre er sogar noch länger geblieben, hätte ihn nicht an einem für ihn zweifellos unseligen Wochenende das Schicksal in Gestalt eines zufällig aus Bonn angereisten Journalisten ereilt. Journalisten haben ein Gefühl für Stories und mitunter auch eine Spürnase. Und der Herr Graf? Der hatte wohl auch eine Witterung dafür, daß ihm nun Unheil ins gastfreie Haus stehe. Allzu neugierig waren die Fragen des Bonner Zeitungsmannes gewesen, der sich die Freiheit genommen hatte, den Herrn Grafen in ein intensives Gespräch über hochadelige Lebensläufe und exklusive Lebensqualitäten zu verwickeln. Dringende Geschäfte waren es, die den Grafen von Baranof-Scharwar, Ritter von Estland, Livland und Oesel, am nächsten Morgen veranlaßten, sich für einen Tag zu entschuldigen. Am Abend werde er zurück sein, und schon jetzt freue er sich auf die Fortsetzung der angeregten Unterhaltung vom Vorabend. Sprachs und verabschiedete sich mit der Geste des Edelmannes, ein huldvolles Winken. Noblesse oblige – Adel verpflichtet!

Der Herr Graf von Baranof ist nicht ins Eifeldorf Hain zurückgekehrt, weder am Abend, noch irgendwann später. Und die Rechnung für vier-wöchige Unterkunft nebst reichlich Speis und Trank, die ist dem Wirt „Zur Olbrück“ bis heute als teure Erinnerung an den hohen Besuch verblieben.

Doch wäre diese Geschichte vom edlen Herrn Grafen und dem so unedel geprellten Dorfwirt unjournalistisch, wenn sie nicht noch eine Fortsetzung hätte. Der Schauplatz hatte sich geändert. Graf von Baranof bezog eine Woche später ein neues Dauerquartier, und zwar in einer Zelle der Strafvollzugsanstalt Koblenz, Trakt Untersuchungsgefängnis. Und daß er dort nun von der Üppigkeit Eifeler Gastfreundschaft nur noch träumen konnte, das hat er dem Zeitungsreporter Charlie G. und dessen Kollegen Hans W. zu verdanken. Die haben nämlich Seine Exzellenz in gründlicher Recherche der gräflichen Existenz gründlich entkleidet.

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Von der blaublütigen Vita ist nichts übrig geblieben. Kein Abkömmling des zaristischen Obri-sten Graf Christof Boris von Baranof, Ritter zu Estland, Livland und Oesel, der Baronin Anna von Scharwar. Kein Besuch einer illustren Privatschule in der Mark Brandenburg mit dem Abitur 1936, kein Fahnenjunker, Leutnant und Oberleutnant in der deutschen Luftwaffe und so weiter und so weiter. Was war da alles zu lesen gewesen in dem Aktenordner, den der Herr Graf stets mit sich trug, und den er auch im Dorfgasthof „Zur Olbrück“ einem staunenden Publikum präsentiert hafte: Teilnehmer am Spanien-Feldzug mit der Legion Condor, später Pilot im traditionsreichen Jagdgeschwader Richthofen, 1941 Spionagelehrgang bei der Luftwaffe, danach Abwehrchef im Hauptquartier des Reichsmarschalls Hermann Göring. Anschließend Agenteneinsatz in Syrien, später erfolgreicher Jagdflieger an der Ostfront und an der Invasionsfront in Frankreich. Bei den Rückzugskämpfen in Belgien und Holland war er dabei, der Herr Graf von Baranof, am Niederrhein hat er im Frühjahr 1945 eine Kampfgruppe geführt und wegen seiner außerordentlichen Tapferkeit das Ritterkreuz erhalten. Dann der unvermeidliche, kriegsbedingte Absturz: britischer Gefangenschaft. Doch bald kam für den hochedlen Helden schon wieder der Aufstieg, nämlich Barmixer im Hauptquartier von General Eisenhower, danach 1948 Wechsel zum Geheimdienst und als GeheimagentAS 9. Durch vierzehn europäische Staaten ist der Geheimagent AS 9 gereist und hat lebensgefährliche Spionageaufträge erfüllt. Und nebenher war er immer auf der Suche nach dem gräflichen Millionenvermögen, dem Familienschatz, der vom Vater kurz vor seinem Tode irgendwo versteckt worden war. Hat er den Schatz gefunden? Selbstverständlich, denn einem Geheimagenten der absoluten Top-Klas-se bleibt nichts verborgen. War das ein Leben! Und da kommt dann plötzlich so ein Schreiberling daher und reißt das alles auseinander, hetzt gar die Kriminalpolizei auf seine doch so höchst edle Spur.

Nichts ist übrig geblieben! Stattdessen verliest beim Prozeß vor dem Koblenzer Schöffengericht der Staatsanwalt nüchtern und knapp die echte Vita des wegen vielfachen Betrugs, fortgesetzter Zechprellerei und unberechtigter Titelführung angeklagten Pseudografen. Helmut Scharwar heißt er, der nichteheliche Sohn einer Landarbeiterin und eines Berliner Zimmermanns ist er, und erlernt hat er in jungen Jahren das Schlosserhandwerk.

Die Quittung, die ihm ob der vielen unbezahlt hinterlassenen Rechnungen das Gericht ausstellt, lautet auf dreieinhalb Jahre Gefängnis. Dreieinhalb Jahre hinter stabilen Eisengittern, die keine ornamentalen Torgitter einer gräflichen Burg sind. Charlie war eigens zum Prozeß nach Koblenz gereist. Das vorläufige Ende der baranofschen Münchhausiade wollte er sich nicht entgehen lassen, und außerdem galt es für seine Zeitung weiter zu berichten.

Voller Ingrimm blickte der Herr Graf nach der Urteilsverkündung zu ihm hinüber, dem üblen Zeitungsmann, der Detektiv gespielt und ihn ins ganz und gar unaristokratische Unglück gestürzt hatte. Charlie konnte sich vorstellen, was er ihm insgeheim wünschte. Und er mußte unwillkürlich lächeln. So ist nun mal das Leben, dachte er, ein ständiges Auf und Ab, mal ist einer hochedler Graf, mal nur ein biederer Schlosser. Wo liegt die Wahrheit? Darf man sich hochträumen in ein Leben jenseits der Realitäten? Man darf, wenn’s denn nur beim Träumen bleibt.

Im Fall des Millionärs Graf von Baranof, dersich in der Eifel die Ehre gab und die Burg Olbrück kaufen wollte, ist sich Charlie indes ganz und gar sicher. Seine Exzellenz, der Herr Graf, wird in seiner dreieinhalbjährigen Staatspension in Muße und mit viel Phantasie an einer neuen Vita basteln. Und irgendwann wird er sich irgendwo wieder einmal die Ehre geben, dann vielleicht als Abkömmling eines russischen Großfürsten, im jugendlichen Alter seinerzeit als einziger seiner Familie den kommunistischen Machern entronnen und ebenso einzig derjenige, der weiß, wo die unermeßlich kostbare Zarenkrone nun wirklich vergraben ist. Alles Gute und viel Glück für die weitere Zukunft wünschte Charlie, der Reporter, seiner Durchlaucht, dem Großfürsten in spe, derweil er aus dem Koblenzer Gerichtssaal zum nächsten Telefon ging, seiner Zeitung den Bericht durchzugeben.

Die Geschichte erscheint auch in: Karlheinz Grohs: Treffpunkt Heimat Wo die Ahr zum Rhein hin fließt… Heitere Geschichten aus der Region.