Nürburgring: wirtschaftlicher Kraftspender der Region – Eine Betrachtung zum 70jährigen Bestehen der Rennstrecke in der Eifel

Nürburgring: wirtschaftlicher Kraftspender der Region

Eine Betrachtung zum 70jährigen Bestehen der Rennstrecke in der Eifel

Luki Scheuer

Das Kind, das da am 18. Juni 1927, einem Samstag, feierlich auf den Namen „Nürburgring“ getauft wurde, hatte gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft. Es war gut geraten, erhob eine kräftige Stimme und – äußerst wichtig – seine Eltern versprachen sich etwas von ihm, betrachteten sie es doch als ihre eigene Zukunftssicherung. Die „Eltern“ des Nürburgrings waren die Menschen in der Eifelregion und waren die Motorsportler. Beide wünschten dem Täufling eine erfolgreiche Zukunft, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Bei den Eifelern standen wirtschaftliche Perspektiven im Vordergrund, bei den Motorsport-Anhängern, allen voran der ADAC Rheinland, war es die Gewißheit, endlich eine Heimat gefunden zu haben, die es möglich machte, Motorsport außerhalb öffentlicher Straßen zu betreiben. Ob einer der Gäste bei,dieser Feier aber damit rechnete, daß dieses Baby Nürburgring einmal 70 Jahre alt werden und sich 1997 noch als überaus vital und zukunftsorientiert präsentieren würde, ist nicht überliefert. Zu vermuten aber ist es, denn die Väter des Nürburgrings bewiesen Weitblick. Sie sahen in der Rennstrecke gewissermaßen die Rentenversicherung für die Region und ihre Menschen.

Siebzig Jahre, so alt wie einer feststehenden Redewendung zufolge „kein Schwein in der Eifel“ wird, ist der Nürburgring 1997. Er hat gute und schlechte Zeiten gehabt, schien manchmal am Boden, rappelte sich wieder auf, wurde angefeindet und mutig verteidigt und ist heute so wichtig wie damals: Der Wirtschaftsfaktor Nummer eins für die Region und die schönste und vielseitigste Anlage der Welt für den Motorsport.

Nicht einmal drei Jahre vergingen von der Idee bis zur Einweihungsfeier. Im Juli 1924 war der Pächter der Nürburger Gemeindejagd, Hans Weidenbrück aus Bonn-Bad Godesberg zusammen mit dem Adenauer Kreistagsmitglied Xaver Weber und dem Nürburger Gemeindevorsteher Hans Pauly Zuschauer beim ADAC-Eifelrennen in Nideggen. Die drei waren sich anschließend einig: Motorsport auf normalen Straßen, die nur für das Rennen abgesperrt werden, hat auf Dauer keine Chance. Also müssen Strecken her, die nur für den Sport und für Versuchsfahrten der Industrie zur Verfügung stehen.

Der Bau des Nürburgrings erfolgte im Rahmen von Notstandsprogrammen von 1925-1927.

Bereits 1907 war der Bau einer Rennstrecke in diesem Teil der Eifel im Gespräch gewesen. Ein Projekt, das einen gigantischen Kurs mit einer Rundenlänge von fast 100 Kilometern vorsah und bald in Vergessenheit geriet.

1924 ließ das Trio Weidenbrück/Weber/Pauly nicht mehr locker. Der Jagdpächter knüpfte die Beziehungen zum ADAC in Köln, Weber und Pauly „beackerten“ das Feld bei der Kreisverwaltung in Adenau und in der Gemeinde Nürburg.

Im Januar 1925 gründete Weidenbrück in Adenau einen Automobilclub. Dessen Vorsitz übernahm Dr. Otto Creutz, der als Nachfolger von Dr. Erich Klausener Landrat des Kreises Adenau, „ärmster Kreis im Lande Preußen“, geworden war. Creutz sah die Chance, die eine permanente Rennstrecke der Region und ihren Menschen bot. Die großen Rennen würden hunderttausende Besucher bringen, außerhalb der Rennen würden Touristen kommen, um die einzigartige Sportstätte zu erleben. Alle würden sie essen und schlafen wollen. Das würde die Gastronomie und die privaten Initiativen in Schwung bringen. Creutz war sich sicher, daß es keine bessere Zukunftssicherung für diesen Teil der Eifel geben könnte als die Rennstrecke. Der Landrat fand, als er die Pläne und Argumente bei der Regierung in Berlin vortrug, Hilfe durch seinen Vorgänger. Dr. Erich Klausener, 1934 von den Nazis ermordet, war in Berlin in einflußreicher Position tätig und öffnete Dr. Creutz in der Reichshauptstadt wichtige Türen mit den entsprechenden Empfehlungen und mit Erfolg: Das Rennstreckenprojekt in der Eifel wurde in das „Große Notstandsprogramm“ der Reichsregierung gegen die Arbeitslosigkeit aufgenommen. Nachdem in einer öffentlichen Einspruchsversammlung am 10. Juli 1925 die Einsprüche der Naturschutzverbände und des Eifelvereins gegen den Bau behandelt und verworfen worden waren, wurde die Baugenehmigung erteilt, und man ging ans Werk. In der Rekordzeit von weniger als zwei Jahren entstand die Gesamtstrecke von 28,265 Kilometern Länge. Ihre jeweils selbständig nutzbaren Kurse waren Nordschleife (22,810 Kilometer), Südschleife (7,47 Kilometer) und Start- und Zielschleife (2,238 Kilometer).

Am Tag nach der feierlichen Eröffnung am 18. Juni 1927 fand das erste große Autorennen statt. Der Sieger hieß Rudolf Caracciola, fuhr einen Mercedes S und stammte aus Remagen. Der Nürburgring war von diesem Tag an bekannt, im Verlauf der nächsten Jahre wurde er berühmt und viel gerühmt als „schönste und schwierigste Rennstrecke der Welt“.

Plakat vom Eröffnungsrennen.

Publikumsmagnet „Ring“ damals und auch heute: Renngeschehen der 30er Jahre.

Angesichts der vielen Rennen und anderen Veranstaltungen, die dieser Kurs gesehen hat, ist es unmöglich, die Geschichte Jahr für Jahr Revue passieren zu lassen. Deshalb seien die Jahrgänge mit der Sieben am Ende im 70. Jahr als Meilensteine für die Entwicklung genannt. Das Eröffnungsjahr 1927 brachte nach dem Eifelrennen am 19. Juni als sportliche Höhepunkte noch die Großen Preise für Motorräder und für Wagen sowie die Radweltmeisterschaft der Straßenfahrer. Sportlich war das Jahr ein Erfolg, für die Region auch. denn schnell stellten die Menschen in den Dörfern rund um den „Ring“ fest, daß mit dem Ring und seinen Besuchern manches gute Geschäft zu machen sei. Die Nürburgring-Gesellschaft selbst dagegen war alles andere als auf Rosen gebettet. Die ursprünglich kalkulierten Baukosten waren längst Makulatur, und immer wieder mußte nach oben korrigiert werden.

Zehn Jahre später fragte keiner nach den Kosten, auch nicht danach, daß der Kreis Adenau inzwischen aufgelöst war. 1937 befand sich Deutschland im Rennfieber, vergleichbar der Begeisterung, die heute Michael Schumacher auslöst. Damals waren es die „Silberpfeile“ von Mercedes-Benz und Auto Union mit Fahrern wie Rudolf Caracciola. Bernd Rosemeyer, Manfred von Brauchitsch. Hans Stuck und Hermann Lang, die für Massenbesuch in der Eifel und gute Umsätze sorgten. Bernd Rosemeyer (Auto Union) gewann das Eifelrennen. Rudolf Caracciola (Mercedes) den Großen Preis von Deutschland.

1947 sah den Neubeginn. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der „Ring“ dank des Einsatzes eines Offiziers der französischen Besatzungstruppen wieder schnell Fuß gefaßt. Schneller als für möglich gehalten wurden die größten Schäden, die beim Aufmarsch der alliierten Truppen entstanden waren, beseitigt. Die Südschleife war am schnellsten soweit, daß hier am 17. August 1947 wieder ein Rennen gefahren werden konnte. Die Besatzungsbehörde genehmigte nicht nur das Rennen, sondern für jeden Besucher auch einen Schoppen Wein, eine Wurst, Kartoffelsalat und Brot, alles im Eintrittspreis von fünf Reichsmark enthalten. Wohl nie war am „alten“ Nürburgring der Prozentanteil der Eintritt zahlenden Besucher so hoch.

Die Zeit von 1947 bis 1957 markiert einen einsamen Höhepunkt in der Nürburgring-Geschichte: Großer Preis von Europa 1954. Mercedes war zum ersten Mal in der Formel 1 vertreten, was für fast eine halbe Million Menschen Grund genug war. in die Eifel zu kommen. Nicht so viele Besucher, aber ein überaus spannendes Rennen gab es beim Großen Preis von Deutschland 1957. Der Argentinier Jüan Manuel Fangio gewann auf Maserati und fuhr neunmal einen neuen Rundenrekord. Fangio war damals schon 46 Jahre alt. 20 Jahre älter als Michael Schumacher als der seinen ersten Weltmeistertitel gewann.

Die ersten zehn Jahre nach dem Neubeginn bestätigten den Nürburgring wieder als unverzichtbare Rennstrecke für den Motorsport und als Wirtschaftsmotor der Eifelregion. Die Geschäftspolitik war dabei eher einfach: Abwarten, was die Motorsportverbände und -clubs an Veranstaltungen planen und dann mitmachen. Um Aktivitäten außerhalb des Motorsports machte man sich wenig Gedanken, denn der Sport brachte von Jahr zu Jahr mehr Termine und mit ihnen mehr Menschen zum Nürburgring und in die Region. Das neue Medium Fernsehen sorgte dafür, daß die Rennen auf dem Nürburgring weltweit zu sehen waren, was wiederum die Touristen in die Eifel lockte, die sich auch außerhalb der Rennsaison diesen berühmten Kurs einmal ansehen oder erfahren wollten.

So ging man auch in die sechziger Jahre. Die sahen vor allem eine Erweiterung des sportlichen Angebots und dort mit dem ADAC-1000-Kilometer-Rennen für Sportwagen ein neues Zugpferd, das sich in manchen Jahren sogar stärker zeigte als der jeweilige Große Preis der Formel 1. So auch 1967. dem 40. Bestehungs-jahr des Nürburgrings. Udo Schütz aus Selters und der Amerikaner Joe Buzetta gewannen auf Porsche die 1000 Kilometer. Es zeigte sich eine Regel bestätigt: Immer wenn deutsche Fahrer oder deutsche Fahrzeuge gute Erfolgsaussichten haben, kommen die Fans in Scharen.

Die Dekade von 1967 bis 1977 gehört zur interessantesten Zeit in der Nürburging-Geschichte. 1970 boykottierten die Formel-1-Fahrer die Nordschleife, weil sie ihnen zu gefährlich war. 21 Millionen Mark wurden in den nächsten Jahren ausgegeben, um den Kurs sicherer zu machen. Der Effekt: Die Rennwagen konnten schnellerfahren, die zusätzliche Sicherheit war schnell aufgebraucht. Am 1. August 1976 verunglückte Niki Lauda schwer, die internationale Motorsportbehörde gab im Frühjahr 1977 dem Nürburgring keine Genehmigung mehr für Formel-1-Rennen. Und das ausgerechnet im Jahr des 50. Geburtstags der Eifelrennstrecke.

Wie 1927 besannen sich die Verantwortlichen auf die wirtschaftliche Bedeutung einer voll funktionsfähigen Rennstrecke und entschieden sich für einen Neubau. Derwurde84 Millionen Mark teuer und am 12. Mai 1984 eröffnet. Zweifellos war der neue Kurs ein entscheidender Schritt für die Zukunftssicherung des Nürburgrings. Doch nicht nur der Neubau allein stellte die Weichen. Vielmehr gewann in der Nürburgringverwaltung und im Aufsichtsrat der Gesellschaft eine neue Geschäftspolitik immer mehr an Bedeutung, die nicht mehr allein auf den Motorsport baute. Krisen im Motorsport oder den Verlust von Spitzenveranstaltungen infolge internationaler sportpolitischer Entscheidungen, sollten nicht zum Kollaps der Rennstrecker führen. Der Nürburgring mußte aktiver in die touristischen und andere gewerblichen Aktivitäten eingebunden werden. Außerdem mußte er selbst neue Angebote schaffen, die weltgehend unabhängig vom Motorsport sind. Es galt, das Unternehmen auf mehrere Standbeine zu stellen. Daß es für diese Umstrukturierung keine Minute zu früh war, zeigte sich bereits 1986. Der Große Preis von Deutschland wurde an den Mitbewerber Hockenheim vergeben. Zehn Jahre lang sollte die Königsklasse des Motorsports einen Bogen um den Nürburgring machen.

In der Eifel machte sich daraufhin nicht Resignation breit, sondern zielgerichtete Aktivität. 1987 war die zweite Auflage des ADAC-Truck-Grand-Prix. Mit über 150.000 Besuchern das absolute Highlight der Saison im sportlichen Bereich und dabei sollte es auch in den folgenden Jahren bleiben. Ein erfolgreicher „Dauerläufer“ wurde auch das riesige Open-Air-Konzert ..Rock am Ring“. Veranstaltungen wie „Rad am Ring“ tragen weiter dazu bei, die Rennstrecke neuen Kundenkreisen zu erschließen. Einen Meilenstein in der Entwicklung ist das ..automotor und sport Fahrsicherheitszentrum“. Der Gewerbepark am Nürburgring ist im Aufbau und wird einmal Unternehmen beherbergen. die sich die Möglichkeiten einer modernen Renn- und Teststrecke nutzbar machen wollen.

Der Nürburgring in der ersten Reihe des Welt-Motorsports: Formel 1-Rennen auf dem Nürburgring (1995).

Als 1995 im Herbst die Formel 1 mit dem „Großen Preis von Europa“ und dem Sieg Michael Schumachers eine triumphale Rückkehr am Nürburgring feierte, schaute die Welt wieder auf den Eifelkurs. Keine sieben Monate später, im April 1996, war die Königsklasse des Motorsports wieder zu Gast, und auch die Motorrad-Weltmeisterschaft wurde wieder in der Eifel gefahren. – Der Nürburgring verzeichnete Höhepunkte seiner Geschichte.

70 Jahre alt ist der Nürburgring im Jahre 1997. Den Männern, die ihn einst planten und bauten, gebührt Lob und Anerkennung für ihren Mut und ihre Weitsicht. Denen, die heute die Geschicke der Gesellschaft lenken und damit auch entscheidend die Wirtschaft in der Region mit bestimmen, sei für ihre Arbeit Glück und Erfolg gewünscht. Das Grundkonzept stimmt und bietet beste Voraussetzungen dafür, daß auch in Zukunft gilt: Der Nürburgring wird älter, aber er altert nicht. Er bleibt jung und fit für seine wichtigste Aufgabe, wirtschaftlicher Kraft- und Lebensspender der Eifelregion zu sein.