„Dingeln“ – ein alter Brauch in Dernau. „Wat fehlt ihr dann? E Schöppsche Wing – Dat kann net senn!“

„Wat fehlt ihr dann?“ Diese Frage könnte ein des hiesigen Dialekts kundiger Mediziner seiner Arzthelferin stellen, um eine erste Vorinformation über die nächste Patientin zu erhalten. Doch die mögliche Antwort:„E Schöppsche Wing!“ würde ihn mit Sicherheit verblüffen, da im Ahrtal zum einen kein Mangel an köstlichem Rebensaft besteht. Des Weiteren sind sich immer mehr Menschen der gesundheitsfördernden Wirkung des Weines, insbesondere des Rotweines bewusst. Die Erforschung der gesundheitlichen Effekte des Weines steigert den Absatz von Rotwein rasant. So wäre die Reaktion des Arztes:„Dat kann net senn!“ nur allzu verständlich. Doch leider hat diese kleine fiktive Dialogszene auf den ersten Blick wenig mit dem „Dingeln“ zu tun.

Walter Trarbach, Dernauer Bürger, spricht die Satzfolge:“Wat fehlt ihr dann? – E Schöppsche Wing – Dat kann net senn!“ in einem rhythmischen Stakkato. Ein Dernauer – Mitglied einer Rap-Band? Existiert im Ahrtal etwa eine Rap-Gruppe mit dem Namen „Krass-jode-Wing“, die im Stil von „Fettes Brot“ spielt? – Weit gefehlt!

Walter und Peter Trarbach beim „Dingeln“ im Glockenstuhl der Dernauer Kirche

Die Auflösung des Rätsels

Weißer Sonntag. Kurz nach 8.00 Uhr.

Behände steigen Walter Trarbach und sein Sohn Peter die Stufen des Glockenturms der Katholischen Pfarrkirche empor. Die Kirche aus dem 18. Jahrhundert, die im Jahre 2000 liebe- und stilvoll restauriert wurde, bildet neben dem Krausberg das Wahrzeichen des Ortsbildes von Dernau. Oben im Glockenstuhl angekommen, bietet sich den beiden ein malerischer Blick auf die schönen Häuser, die idyllischen Weinberge, die langsam dahinfließende Ahr und auf eine wimmelnde „Masse“, die sich auf dem Schulhof der St. Martin-Grundschule versammelt hat.

Musikfetzen einer Blaskapelle dringen bis zum Kirchturm empor. Der Festzug mit Pastor, den festlich gekleideten Kommunionkindern, den Eltern, Verwandten und Dernauer Bürgern setzt sich nun vom Schulhof aus in Richtung Pfarrkirche in Bewegung.

Walter und Peter Trarbach haben zuvor im Glockenturm schon das elektrische Läutewerk abgeschaltet. Die Beiden haben aber noch eine weitere wichtige Vorarbeit für das „Dingeln“ erledigt:

In einer Vorrichtung im Turm holte Walter Trarbach die Spannvorrichtung, bestehend aus drei Spannschlössern, für das Festsetzen der Glocken. Sie ermöglichen das „Dingeln“, das „Anschlagen unbewegt hängender Kirchen-glocken nach einem lokal überlieferten Rhythmus“. Auf ein Zeichen seines Sohnes spannt Trarbach Senior die Seile, so dass nur noch ca. 4 cm Abstand zwischen den Klöppeln und den drei Glocken vorhanden sind. Ein Seil führt zur linken Hand, das zweite zur Rechten und das dritte Seil zum rechten Fuß. Das „Dingeln“, „Dengeln“ oder auch „Beiern“ erfolgt jetzt mit am Klöppel befestigten Seilen, die mit den Händen und dem Fuß gezogen werden:

„Ding – Dinge – Dang.
Ming Frau oss krank.
Wat fehlt ihr dann?
E Schöppsche Wing –
Dat kann net senn!“

So tönt das „Dingeln“ markant über den Ort. Es versetzt die Menschen immer in eine freudige Festtagsstimmung.

Der Kommunionszug erreicht die Kirche. Die Orgelmusik setzt zum Einzug ein. Jetzt verstummt das Glockenschlagen.

„Dingeln“, „Dengeln“, „Beiern“ ist ein alter Brauch, der an kirchlichen und weltlichen Festtagen auch an der Ahr noch üblich ist. Jedoch wird diese Tradition nicht mehr flächendeckend im Kreisgebiet praktiziert. Vielerorts musste das feierliche Glockenanschlagen eingestellt werden, als im 1. und 2. Weltkrieg die Glocken zum Einschmelzen herangezogen wurden. Nach 1945 fanden sich immer weniger Mitbürger, die die Fähigkeit des „Dingelns“ beherrschten, bzw. die sich diesem aufwendigen und freiwilligen Dienst unterwerfen wollten.

Das „Dingeln“ bereitet Walter und Peter Trarbach große Freude.

Aber diese Tradition lebt fort, auch z. B. in Altenahr, Ahrweiler, Bachem, Heimersheim und Westum. Walter Trarbach erfüllt es mit Stolz, dass die Dernauer „Dingeltradition“ durch seinen Sohn Peter weiterhin gesichert ist. Man ist sich hier auch der Familientradition bewusst und berichtet, dass schon im 19. Jahrhundert ein Cornelius Heimermann sowie dessen Enkel Josef Pätz über Jahrzehnte dieses Ehrenamt ausübten. Peter Winnen und Felix Ley waren die direkten Vorgänger von Walter Trarbach, der seit 1979 diese alte Tradition fortführt.

Das Ehepaar Loni und Josef Pätz in Dernau. Josef Pätz war über Jahrzehnte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges „Dingelmeister“ in Dernau.

Und:Wenn die Trarbachs ihre rhythmische Liedzeile „Wat fehlt ihr dann…“ vortragen, die ihnen letztlich als Stütze zum Einhalten des Klangrhythmus dient, ist auch „E Schöppsche Wing“ in Griffnähe. – Der Rotwein beflügelt die Dingelmeister zu einem weitern Klanggedicht:

„Heiliger Johannes Schutzpatron,
behöd os Dörb, de Wonget un Flur,
schenk os widde jode Wing,
dann künne me zefredde senn.“

Prost – Zum Wohle! Auf dass die lebendige Tradition des „Dingelns“ in unserer schönen Heimat noch lange fortleben möge!

Anmerkungen:

Mein Dank gilt einer Dernauer Gesprächsrunde mit dem Bürgermeister Manfred Wolff sowie Karl Kreuzberg, Norbert Marner und Walter Trarbach.

Vgl.: Hildegard Ginzler, Bräuche im Kreis Ahrweiler. In: Der Kreis Ahrweiler im Wandel der Zeit, 1993, S. 233-250