Die Bodendorfer große Rassel

Von Karfreitag bis Ostersonntag schwiegen früher in unserer Heimat im weiten Rund die Glocken. Kein Geläut rief die Gläubigen zur Messe und zum Gebet. „Die Glocken sind in Rom, Reisbrei essen!“ erklärte man den Kindern. Jetzt war die Zeit der Klapperjungen und -mädchen, Schulkinder, die mit Klappern, Ratschen und – in Bodendorf – mit der großen Rassel zum Kirchgang aufforderten.

Die große Rassel

Die Bodendorfer Rassel ist ein Holzkasten mit einer Länge von 55 cm, einer Breite von 19,5 cm und einer hinteren Höhe von 19 cm. Das Vorderbrett mit einem Schallloch von 8 cm Durchmesser ist 12 cm hoch. Das zweiteilige Deckelbrett hat einen oberen planen und einen gebogenen vorderen Teil. Wie das Frontbrett ist es aus Sperrholz. Alle anderen Teile sind aus astfreiem Tannenholz. Mit einer Kurbel am linken Seitenteil werden über eine Holzwelle die Klangfedern aus Holz oder Blech an einem Widerstand vorbeigeschleift. Dadurch wird ein lautes, knackendes Rasselgeräusch erzeugt. Der genaue Mechanismus ist nicht zu erkennen, da das Innere der Rassel nicht einsehbar ist. Das Besondere an der Rassel ist, außer ihrer Einmaligkeit in der Region, dass sie über und über mit Buchstaben bedeckt ist. Selbst auf den Schmalseiten der Kurbel sind solche eingeschnitten. Die Buchstaben, meist paarig, sind häufig übereinander eingeschnitzt, ältere sind von jüngeren überlagert. Ältere wurden häufig auch weggeschnitten, um Platz für neue, jüngere Zeichen zu schaffen. „Man brauchte immer ein scharfes Messer“, so die Erinnerung eines Klapperbuben. Zumeist sind die Zeichen Buchstabenpaare, die Anfangsbuchstaben des Vor- und Familiennamens der Träger.

Die große Rassel wurde stets von den Buben des 8. Schuljahres, den Vierzehnjährigen, getragen, ein eifersüchtig gehegtes Privileg. Nur sie führten die Rassel beim Klappergang durch die Straßen mit und brachten sie zum Erklingen. Wegen ihrer Größe und Unhandlichkeit wurde das Gerät nur innerhalb des Jahrgangs gewechselt und getragen. Jeder dieser Buben konnte und durfte am Ende der glockenlosen Zeit sein Signum in die Rassel einschneiden.

Die Namenszeichen

Die eingeschnittenen Buchstaben sind in der Zeichnung dargestellt. Einige sind durch Überlagerungen und Absplitterungen nur schwer zu erfassen. Bei der zeichnerischen Darstellung ist versucht worden, Form und Anordnung wie auf der Rassel wiederzugeben; nicht jedoch ihre Größe. Diese ist sehr unterschiedlich und schwankt zwischen kleinen Buchstabenpaaren (2 x 2 cm) und großen. Diese sind häufig bis zu 5-6 cm breit und hoch. Das größte Zeichen ist das M auf dem Bodenbrett, das über viele andere Zeichen reicht. Es hat eine Höhe von 9 cm und ist 6,5 cm breit. Auf dem Bodenbrett sind mehrere Buchstabenpaare in Rot und Blau nachgezogen.

Die große Bodendorfer Rassel und weitere Klappergeräte

Einige Zeichen auf dem Deckelbrett (in der Zeichnung unterstrichen) sehen wie Hausmarken aus. In zwei Fällen könnten sie bekannten Marken zugeordnet werden. Dies wäre jedoch spekulativ; bei ihnen handelt es sich sicherlich gleichfalls um verstümmelte Buchstaben.

Das Alter der Rassel

Wie alt ist die Rassel und seit wann ist sie in Gebrauch? Dies ist die Frage, die letztlich nicht genau beantwortet werden kann. „Die Rassel ist uralt“ so Heinrich Strohe (Jg. 1915). „Mein Vater war Stellmacher (Jakob Strohe, 1884-1962) und hat alle Bodendorfer Klappern gemacht, jedoch nicht die Rassel und auch nicht die Ratschen.“ Er erinnert sich, dass die Rassel mit Namenszeichen über und über bedeckt war, als er, noch nicht eingeschult, beim Klappern mitläuft.

Hätte sich die Anfangsvermutung von einigen Hausmarken bestätigt, wäre ein Alter um 1800 denkbar. Die vermutete Hausmarke ähnelt der Haus- marke des Hendrichuß Nelles, die für 1773 belegt ist. Diese wie auch andere hätten im 19. Jahrhundert durchaus noch bekannt und in Gebrauch sein können, so z.B. zum Zeichnen der Brotlaibe im Backes. Das Zeichen ist jedoch wahrscheinlich ein verstümmelter Buchstabe, vermutlich ein M. Geht man von der ältesten, möglichen Namensdeutungen der Zeichen aus, ist ein Anfangsgebrauch um 1890 wahrscheinlich. Auf jeden Fall wird sie vor dem II. Weltkrieg im Klapperzug mitgetragen.

Die Zeichendeutung

Einige Buchstabenpaare sind aufgrund ihrer Kombination und da sie nur einmal vor­kommen, ziemlich eindeutig zu bestimmen. Es sind dies Michael Seifer (MS), Hein­rich Strohe (HST) und Ernst Bauer (EB) auf der Kurbel sowie Toni Beitzel (TB) auf dem Deckel. Auf dem linken Seitenbrett haben sich Michael Drexel (MD), Anton Welsch (AW), Toni Welsch (TW) und Heinrich Giesen (HG) ver­ewigt. Auf dem rechten Brett stehen HN für Heinrich Nelles und RS für Reinhold Seifer, auf dem Bodenbrett TM für Toni Meurer und MH für Matthias Hardt. Einige der genannten haben auf Befragen erklärt: „Natürlich, ich habe mich auch eingeschnitten!“

Unsicher bis unmöglich sind Zuordnung und Deutung dort, wo Buchstabenkombinationen zwei- oder mehrfach vertreten sind. Hinzu kommt die Tatsache, dass in Bodendorf viele Familiennamen wie Bauer, Becker, Beitzel, Manhillen, Meurer, Hardt oder Welsch häufig vorkommen. Viele dieser Familien sind darüber hinaus kinderreich und stellen somit über Jahre Klapperbuben, die sich alle in die Rassel einschnitten. Bei vielen Namenszeichen und Einzelbuchstaben ist eine Namenszuweisung nicht möglich.

Deutungsmöglichkeiten sind:

W (14 x) Welsch, Werhahn, Willems, Witsch?

AB (10 x) Adam Becker, Anton Becker, Albert Breuer, Anton Beitzel?

MA (8 x) Matthias Alfter?

AH (6 x) Adam Hardt, Adolf Henneke, Adam Hermann, Alfred Hupprich?

HH (5 x) Heinrich Hardt, Heinrich Henneke, Heinrich Hermann, Hilger Hermann?

HB (5 x) Hubert Breuer, Heinrich Bauer,

Heinrich Bielinski?

GB (2 x) Gottfried Büchel, Georg Bielinski?

PB (2 x) Peter Bauer, Peter Becker, Peter

Beitzel, Peter Breuer?

HD (2 x) Hubert Deller?

RK (2 x) Robert Kraus?

AK (2 x) Alfred Kramprich, Adam Kraus,

Anton Kraus?

HK (2 x) Hubert Kramprich, Hubert Kraus,

Hilger Kraus?

HS (2 x) Heinrich Seifer, Hubert Seifer?

AM (2 x) Albert Manhillen?

JB (1 x) Johann Bauer, Johannes Bauer,

Josef Bauer?

MK (1 x) Matthias Kramprich, Matthias Kraus, Michael Kraus?

HM (1 x) Heinrich Manhillen, Hubert

Manhillen, Hubert Meurer?

MM (1 x) Matthias Manhillen, Matthias

Meurer?

MP (1 x) Matthias Pütz, Michael Pütz?

JW (1 x) Johannes Welsch, Josef Welsch?

Beispiele von Initialen und Hauszeichen auf der großen Rassel

Deutungsmöglichkeiten für die zweimal vorkommenden TF, EH, AT, OT und WT konnten nicht ermittelt werden, ebenso für die anderen nicht angesprochenen Doppelbuchstaben wie z.B. FA, PA, TD oder TS. Bei den Einzelbuchstaben sind die P (2 x) sicherlich den Familien Plenz und Pütz zuzuordnen. Als Quelle für die Deutungsversuche wurde das alte Protokoll- und Beitragsbuch der St. Sebastianus-Bruderschaft herangezogen, das den Zeitraum von 1860 bis 1956 umfasst.

Die Klappergänge

An den Klappertagen, in der glockenlosen Zeit, wurde stets viermal geklappert. Am Morgen zweimal zwischen 06.00 und 07.00 Uhr, mittags um 12.00 Uhr und ein letztes Mal abends um 18.00 Uhr. Die Klapperkinder sammelten sich am Gasthaus Rhein-Ahrtal (heute Oberbillig) und der 14-Nothelfer-Kapelle. Von dort ging ihr Zug durch die Hauptstraße, an der Burg vorbei, bis zum Heerweg. Dort, an der Anna-Kapelle und dem Kastanienbaum, wurde eine kurze Rast gemacht. Hier durften dann die jüngeren Klapperbuben und auch die Mädchen einmal die Rassel drehen. Danach ging’s zurück über Hauptstraße und Ellig zur Kirche und Schule, wo der Zug sich auflöste. Morgens um 07.00 Uhr war Messe, auch für die Schulkinder, danach begann der Unterricht. Beim ersten Klappern waren häufig wegen der frühen Zeit nicht alle Klapperkinder da; stets jedoch der harte Kern des 8. Schuljahres.

Die Klapperverse

Morgens beim ersten Gang wurde zum Klang der Rassel, Klappern und Ratschen gesungen:

Steht auf, steht auf ihr lieben Leut,
kommt mit, kommt mit zum heiligen Kreuz
Ave Maria! Zum ersten Mal!

Beim 2. Morgengang:
Hört an, hört an, ihr lieben Leut,
kommt mit, kommt mit zum heiligen Kreuz
Ave Maria! Zum zweiten Mal!

Beim Klappern mittags und abends:
Hört an, hört an, ihr lieben Leut,
die Zeit zum Beten ist nun da.
Ave Maria!

Am 0stermorgen, vor der Messe, wurde der Vers abgewandelt in:
Hört an, hört an, ihr lieben Leut,
kommt mit, kommt mit zum heiligen Kreuz,
in diesem Jahr zum letzten Mal!
Ave Maria!

Beim Gang durch die Elliggass wurde öfter auch ein Schmähvers gesungen. Dieser lautete um 1935:

Hört an, hört an, Ihr Ellige Lück,
ihr stinket wie die Geißeböck
auch
Ellige Pänz hann Flöh im Rück,
stinke wie die Geißeböck

nach 1945:
Hört an, hört an, ihr Ellige Pänz,
die Zeit zum Beten ist jetzt da.

Dies geschah jedoch nur, wenn keine „Ellige Pänz“ bei den Klapperkindern waren.

Das Ende des Klapperns

Das Klapperbrauchtum ist in Bad Bodendorf nach 1970 eingeschlafen. Ursache war u.a. auch die Schulreform von 1969 mit der Auflösung der Volksschule und die Neugliederung in Grund- und Hauptschule. Die Achtklässler waren jetzt nicht mehr vor Ort. Gleichzeitig begann ab 1970 der Um- und Erweiterungsbau der Pfarrkirche. Die große Klapper hatte bis dahin ihren Platz zwischen den Jahren in der Sakristei. Wegen der Bauarbeiten musste diese geräumt werden. Die Küsterin, Frau Christine Deller, nahm daher die Klappergeräte mit nach Hause, um sie auf dem Speicher aufzubewahren. Dort wurden sie vom Berichterstatter entdeckt und der Grundschule übergeben. Hier hingen sie, zusammen mit dem Portalbalken der ersten Bodendorfer Schule von 1741, im Eingangsbereich. Beim jüngsten Um- und Neubau der Schule kamen Rassel, Klapper und Ratsche in das Bodendorfer Heimatarchiv.

Geklappert wird im Sinziger Stadtbereich noch in Löhndorf und Franken. Die Kommu­nionkinder pflegen hier diesen schönen, alten Brauch auch weiterhin.