Fußball-WM war auch im Kreis eine rauschende Party. Von den ausgelassenen Feiern im WM-Jahr 2006 und den Anfängen einer Sportart rund 100 Jahre zuvor

Vier Wochen lang gab es im Sommer 2006 auch im Kreis Ahrweiler WM-Fieber pur. Der Fußball war zu Gast bei Freunden und löste eine Begeisterung aus, wie sie sich selbst die kühnsten Optimisten nicht zu träumen wagten. Auch im Kreis hatten die Feiern an einigen Orten fast schon „historische Dimensionen“. Dieses Phänomen zu betrachten und gleichzeitig die simple Frage nach den Anfängen des Fußballspiels im Kreis Ahrweiler zu beantworten, bieten ein wunderschönes Kontrastprogramm.„Es war eine riesige fröhliche Fußball-Party der absolut friedlichen Art. Nach dem 3:1-Sieg der des Deutschen Fußball-Teams gegen Portugal im kleinen Finale wurde mit einem riesigen Autokorso und viel Ausgelassenheit in der Sinziger City in der Nacht von Samstag auf Sonntag gefeiert. Und nicht nur die portugiesischen Fußball-Fans waren mittendrin, sondern es wurde sehr international. So was geht ansonsten nur beim großen Karnevalsumzug am Veilchendienstag. Obwohl der nicht jene emotionale Begeisterungsstürme auslösen kann, wie dies die Fußball-WM im Land und auch in Sinzig getan  hat“. Von einer solch überschwänglichen Berichterstattung in den hiesigen Medien hätten die Fußballpioniere im Kreis nur träumen können .Denn erst vor und 100 Jahren startete die Sportart im Kreis Ahrweiler ihren Siegeszug.„Wo und wann wurde der erste Ball gespielt?“, diese simple Frage lässt sich so ganz einfach nicht beantworten. Es gibt einfach zu viele historische Unschärfen. 

Spielszene des SC Bad Neuenahr 07 gegen Remagen im Jahre 1948

Zur zeitlichen Einordnung. Ab Mitte des 19.Jahrhunderts infizierte das Fußballspiel, wie wir es heute kennen, die britische Insel. Der Deutsche Fußballbund (DFB) wurde im Jahr1900 gegründet. Ab 1903 wurden Deutsche Meister ermittelt. Den ganz großen Fußball-Boom im Kreis Ahrweiler gab es erst nach dem 1. Weltkrieg. 1919aber vor allen Dingen 1920 wurden reihenweise Fußballvereine gegründet. So unter anderem auch so renommierte Clubs wie der BC Ahrweiler, besser bekannt als ABC oder der TuS Oberwinter. Aber auch vor dem 1. Weltkrieg wurde schon im Kreis Ahrweiler gekickt. Ganz deutlicher Beleg: Der SC Bad Neuenahr – heute mit seinem Team in der Frauen-Bundesliga das Aushängeschild des Kreises – führt mit einigem Stolz das Gründungsjahr „07“ in seinem Vereinsnamen. Die Neuenahrer Kicker sind damit einer der ältesten Vereine im Fußballverband Rheinland. Und, doppelte Pionierleistung mit der im Jahre 1969 gegründeten Abteilung Frauenfußball auch in dieser Hinsicht in Deutschland ganz weit vorne. Die Frage nach dem ältesten Fußballverein in Deutschland löste in der DFB-Zentrale in Frankfurt einiges an Geschäftigkeit aus. „BFC Germania 1888 Tempelhof Berlin“, kommt dann nacheinigem Hin und Her die Antwort. Denn bei den ganz alten Vereinen wird beim DFB, wie überall,„die Sache etwas schwierig“. Und in Frankfurt war und ist man im WM-Jahr eifrig damit beschäftigt zu prüfen, ob auch all die Vereine die im WM-Jahr 100 Jahre alt werden und die große Ehrung wollen, auch wirklich vor 100 Jahren mit dem Fußballspielen begannen. Pioniere des Fußballsports im Kreis Ähnliches passierte beim Fußballverband Rheinland in Koblenz. Auch dort spuckt der Computer eben nicht auf Knopfdruck die ältesten Fußballvereine der Region aus. Und selbst die gelieferte Liste mit den Gründungsjahren der gemeldeten Fußballvereine bietet „Tus-Klippen“ und „Fusionsfallen“. So im Fall der im Jahr 1904 gegründeten heutigen Sportvereinigung Burgbrohl. Denn der aktuelle Verbandsligist (SG Brohltal 1973) fusionierte aus den 1904 gegründeten Turnern und den 1913 gegründeten Fußballern. Aber zumindest bis 1912 lässt sich das Fußballspielen in Burgbrohl zurückverfolgen. Die Germania aus Bachem und der FC Rhenania Gönnersdorf (beide 1911 gegründet) scheinen ebenfalls zu den Pionieren des Fußballsports zugehören. Ansonsten gab es bei vielen zwischen 1890 und 1914 gegründeten Vereinen zuerst die Turner und oft sehr viel später die Fußballer. Dabei können die Fußballvereine im Kreis ihre Gründung belegen. Denn eine Vereinsgründung im Kaiserreich war ein Akt, der Aktenproduzierte und damit sind auch meist die Vereinsgründer namentlich bekannt. Nur mit einem Fußballverein gründete man im konservativen Kaiserreich den falschen Verein. Ein Turnverein in den Traditionen von Turnvater Jahn war in den damaligen Zeiten politisch sicher wohlgefälliger. In den zugänglichen Chroniken findet sich nur wenig über das Vorleben und den Weg zur Vereinsgründung. Denn mit Sicherheit hat es wildes Kicken gegeben, das zu damaligen Zeit gerne als englische Krankheit bezeichnet wurde. Zumindest eine zarte Spur gibt es in der Geschichte des SC Rhein-Ahr Sinzig, der 1910 ins Leben gerufen wurde. Denn die Sinziger Kicker hatten sich den Fußball von den Lehren und Schüler der Präparandie abgeschaut. In Sinzig war es im Jahre 1904 zur Einrichtung einer Lehrer-Präparanden-Anstalt – so der damalige Sprachgebrauch – gekommen. Am 13. Januar1906 konnte das heute leer stehende Gebäude an der Lindenstraße offiziell seinem Zweckübergeben werden. Wie der Fußball in diese konservativen Kreise kam, mag ein Rätsel sein, aber möglicherweise waren die Präparanden in Sinzig zusammen mit den Kickern in Bad Neuenahr die ersten Fußballer im Kreisgebiet. Andere Vermutungen zielen drauf ab, dass die Arbeiterschaft der„Plattenfabrik“ und der „Glasfabrik“ ebenfalls„irgendwann nach 1900“ wild gekickt haben könnten. Denn immerhin ab dem Jahr 1911 gab es einen Verein oder eine Gruppe, die sich„Rheinland Sinzig“ nannte und auf einem Sportplatz an der Glasfabrik spielte.

Auch in Sinzig liefen die WM-Fußballfeten2006 fröhlich und friedvoll ab.

Allerdings bleibt vieles in Sinzig wie in Bad Neuenahr im Dunkel der Geschichte. Aber in diesen beiden Städten sind die Wurzeln des Fußballs im Kreis wohl zu vermuten. Denn nicht alle der vor dem 1. Weltkrieg gegründeten Fußballvereine wurden nach dem Krieg auch wiederbelebt. Und ob in den Pioniertagen auch alle Fußballer tatsächlich einen Verein gründeten, bleibt ebenfalls im Dunkel der Geschichte. Fußballfeten 2006Kein ungutes Gefühl gab es bei den ausgelassenen Fußballfeten im Kreisgebiet. Besonders heftig, weil „doppelt“ und dem spannenden WM-Verlauf angepasst, ging es dabei in Sinzig zu. Sinziger Besonderheit: In der Stadt leben und arbeiten über 500 Portugiesen, die bestens integriert und auch völlig fußballverrückt sind. Doppelte Beflaggung an Häusern und Autos, dies war den Zeiten des farbenfrohen WM-Fiebers „Normalität“. Denn an vielen Häusern wehte in diesen Tagen „Schwarz-Rot-Gold“ einträchtig neben den portugiesischen Nationalfarben. Und einträchtig hatten die Fans auch in den Viertelfinals mit ihren Teams im Elfmeterschießen zu zittern. Und einträchtig wurde auch die Trauer über das Aus im Halbfinale bewältigt. Der Trend der Sinziger Härtefans bei der WM: Man jubelte und zitterte sowohl für die deutsche wie der portugiesischen Mannschaft. Das verdoppelte schlicht das Fußballerlebnis. Die Party-Generation ist 2006 beim Fußball angekommen, dies war auch eines der Kennzeichen beim Jubel über die Tore der Klinsmanntruppe. Die schwarz-rot-goldene Farborgien in allen nur denkbaren Varianten waren„Dekoration“ für eine große Fußballfete, die fröhlich und friedlich ablief. Der grenzenlose Jubel nach dem Sieg im kleinen Finale, bei dem es ja letztlich um die „goldene Ananas“ ging, war fast schon etwas von einer anderen Welt. Nach dem Titelgewinn1990 wurde in Sinzig schon recht ausgiebig gefeiert. Aber seinerzeit waren die Fußballfans etwas unter sich. Bei dieser WM infizierte das Fußballfieber fast jeden und die Feierlichkeiten von 1990 wirkten gegen das, was in der Sinziger Innenstadt im Sommer 2006 abging, wie eingemütliches Kaffeekränzchen. 

Nachtrag

Der Autor dieser Zeilen hatte den Auftrag für diesen Beitrag recht leichtfüßig angenommen. Und auf bestem Rasen, weil mittendrin, war das Erlebnis Fußball-WM mit einem feinen Dribbling zu genießen. 
Doch der gepflegte Rasen wurde bei der Suche nach den Wurzeln des Fußballs zum Acker, der unerwarteter Weise längst noch nicht bestellt ist. Trotz intensiver Recherchen in Vereinschroniken, im Internet und Nachfragen beim Fußballverband Rheinland und beim DFB verbleibt einungutes Gefühl, das alles auch ganz anders gewesen sein könnte. 
Besitzer entsprechender Quellen und Dokumente aber vor allem von Fotos aus der Fußball-Szene im Kreis Ahrweiler vor dem Ersten Weltkrieg mögen sich also bitte beim Autor melden: Bernd.Linnarz@t-online.de