100 Jahre soziale Verantwortung für das Handwerk – Am 1.1.1893 nahm die Innungs-Krankenkasse die Arbeit auf
100 Jahre soziale Verantwortung für das Handwerk
Am 1.1.1893 nahm die Innungs-Krankenkasse die Arbeit auf
Bruno Schmitt
Vor 100 Jahren, am 27. November 1892, wurde die Innungs-Krankenkasse in Neuenahr gegründet. Sie nahm dann am 1. Januar 1893 ihre Arbeit auf.
Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Innungskrankenkassen war die „Novelle der Gewerbeordnung“ vom 18. Juli 1881. Das dürfte wohl die Geburtsstunde der heutigen Innungskrankenkassen gewesen sein, denn den Innungen wurde die Befugnis eingeräumt, „nicht selbständige“ Kassen einzurichten. Aus diesen Kassen sollte den Gesellen und Lehrlingen der Innungsmitglieder in den Fällen von Krankheit oder Tod, der Arbeitsunfähigkeit oder bei sonstigen Bedürfnissen eine Unterstützung gewährt werden.
Mit der Magna Charta der Sozialversicherung – der „Kaiserlichen Botschaft“ vom 17. November 1881 – wurde dann die gesetzliche Krankenversicherung geboren, die im „Krankenversicherungsgesetz“ vom 15. Juni 1883 ihre gesetzliche Verankerung fand.
Aber bereits zu den Zeiten, als noch in Preußen die Weichen für eine gesetzliche Krankenversicherung gestellt wurden und Fürst Bismarck die Thronrede des Kaisers vor dem neuen Reichstag verlas, waren die Handwerker in Neuenahr sehr stark mit der Gründung einer eigenen Handwerker-Krankenkasse beschäftigt, um die bei ihnen beschäftigten Gesellen, Gehülfen und Lehrlinge vor allen Wechselfällen des Lebens zu schützen und auf Dauer abzusichern.
Das „Haus des Handwerks“ in derAhrweiler Wilhelmstraße 19 ist Sitz der Kreishandwerkerschaft und der Innungskrankenkasse.
Aus den alten, bei der IKK Ahrweiler noch vorhandenen Protokollbüchern der „Handwerker-Innung zu Neuenahr“ ist zu ersehen, daß um 1886, und vermutlich auch schon davor, eine Art Kranken- und Sterbekasse bestanden hat. So ist bereits in der Tagesordnung der Sitzung der Handwerker-Innung zu Neuenahr vom 3. Juli 1891 unter Punkt 5 aufgeführt:
„Beratung über Gründung einer Innungskrankenkasse sowie über Erweiterung des Innungsbezirks über die ganze Bürgermeisterei“. Davor, und das läßt sich aus den Protokollbüchern auch so nachvollziehen, hat die Gewerbe-Innung zu Neuenahr – und damit auch die „Kranken-und Sterbekasse“-nur für den Gemeindebereich Neuenahr bestanden, und wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt (1892) auf den Bezirk der gesamten Bürgermeisterei Neuenahr ausgedehnt.
Am 18. August 1891 beraten eine „Commission“ und der Handwerksvorstand über die Statuten der neu zu gründenden Krankenkasse. Diese Statuten sollen abgeschrieben und der königlichen Regierung zur Genehmigung über-sandt werden. Interessant in diesem Sitzungsprotokoll ist der Vorschlag des Innungs-Vor-standes, den „Durchschnitts-Tageslohn“fürdie Beitragsentrichtung zur Krankenkasse für Meister auf 2 Mark, für Gesellen auf 1,50 Mark und für Lehrlinge auf 1 Mark festzusetzen. Gleichzeitig wird für den Eintritt in die IKK ein „Eintrittsgeld“ festgelegt, welches für Meister 1 Mark, Gesellen 80 Pfennig und Lehrlinge 50 Pfennig betragen soll. Wer dieses Eintrittsgeld zu entrichten hatte, ist nicht näher beschrieben.
Das Protokoll der Vorstandssitzung vom 27. November 1892 hält fest,
daß die Innungskrankenkasse (IKK) zum 1. Januar 1893 die Geschäfte aufnehmen soll.
Es werden aber auch die ersten Beiträge und Leistungen in dieser Sitzung beschlossen: der Meister soll 90 Pfennig, der Geselle 75 Pfennig und der Lehrling 45 Pfennig an Beitrag im Monat bezahlen. Dafür wird als Leistung u. a. ein Sterbegeld in Höhe von 35 Mark für den Meister, 30 Mark für den Gesellen und 16 Mark für den Lehrling festgelegt.
Auch die ersten Schritte von „Selbstverwaltung“ sind in den Protokollbüchern erkennbar. Im Sitzungsprotokoll vom 27. Dezember 1891 ist festgehalten, daß die von Seiten der Regierung zurückgesandten Statuten der Krankenkasse in der nächsten Generalversammlung „in Gegenwart der Gehülfen“ zu besprechen sei.
Im Verlaufe des Jahres 1892 folgten dann in kurzen Abständen Vorstandssitzungen, in denen immer wieder die „Statuten der Krankenkasse“ besprochen und beraten wurden. Am 27. November 1892 ist es dann endlich so weit: der Innungsvorstand der Handwerker-Innung zu Neuenahr gründete die Innungs-Krankenkasse.
Im Protokollbuch ist zu lesen: „Es wurde beschlossen, daß die Krankenkasse am 1. Januar 1893 ins Leben treten soll und sollen die hierzu erforderlichen Büroutensilien bis zu diesem Zeitpunkte beschafft werden. Es wird eine Generalversammlung der sämtlichen Innungsmitglieder nebst deren Gesellen auf den 18. Dezember 1892 bestimmt, wovon die Aufsichtsbehörde behufs Wahlvornahme zu benachrichtigen ist. Diese Versammlung soll Nachmittag 5 Uhr bei Kreie stattfinden. Tagesordnung
1) Wahl des Vorstandes und des Revisions-Ausschusses der vom 1. Januar an bestehenden Innungskrankenkasse“.
Am 11. Dezember 1892 beschloß der Vorstand der noch bestehenden „Neuenahrer Kranken-und Sterbekasse“ die Anschaffung von weiteren 200 Quittungsbücher zum Preis von 40 Mark.Ebenso Bücher für das Mitglieder-Verzeichnis, zur Kontrolle der Einnahmen und insbesondere zur Kontrolle des ausgezahlten Krankengeldes. In der nächsten Vorstandssitzung am 13. Dezember 1893 wurde dann beschlossen, noch weitere 100 Krankenkassen-(Mit-glieds)bücherzu bestellen. Wahrscheinlich, um für den erwarteten Mitgliederzuwachs der „neuen“ Innungskrankenkasse bestens gerüstet zu sein. In der gleichen Sitzung beschloß der Vorstand ebenfalls einstimmig, Dr. Niessen aus Neuenahr zum Kassenarzt für die Mitglieder der neuen Innungskrankenkasse zu bestellen und zwecks Absprach über Leistung und Vergütung „in nähere Unterhaltung mit ihm zu treten“.
Die Arbeit der Selbstverwaltung wird ebenfalls immer deutlicher, was sich in gemeinsamen Sitzungen von Kassenvorstand, Innungsvorstand und besonders ausgewählten Gesellen – der Begriff „Gesellenausschuß“ erscheint hier zum ersten Mal – niederschlägt. Aber auch die Verwaltung selbst wurde immer mehr ausgebaut; ein Rendant wurde eingestellt und mit einem „fürstlichen“ Gehalt bedacht: ausgehend von einer geschätzten Beitragseinnahme von 5.000 Mark/Jahr wurde ihm ein Gehalt in Höhe von 10 Prozent der tatsächlichen Einnahmen zugebilligt.
Der Vorstand der IKK Neuenahr hat Ende des 19. Jahrhunderts bereits sehr weitblickend gehandelt und eine Art „Rücklage“ geschaffen. Unter dem 13. März 1895 erfolgt der Beschluß, Beträge in einen Reservefond einzuzahlen. Die Höhe der einzuzahlenden Beträge ist jedoch nicht ausgewiesen. Angelegt wurde dieser Reservefond bei der damaligen „Neuenahrer Darlehensbank“. Unter dem 2. Januar 1900 wurde diesem Konto ein weiterer Betrag in Höhe von 100 Mark zur Auffüllung des Reservefonds überwiesen.
Auch die ersten Verträge mit Krankenhäusern wurden von der Selbstverwaltung vorbereitet. Unter dem 7. Januar 1900 weist ein Vorstandsprotokoll innerhalb der Tagesordnung unter Punkt2folgendesaus: „Aufnahme von Kranken respektive Unterbringung im Falle ansteckender Krankheiten: Es wurde beschlossen, daß mit dem Kloster in Ahrweiler Unterhandlungen in dieser Sache gepflogen werden“. Wie diese Verhandlungen zum Abschluß gebracht wurden und wie die Pflegesätze zum damaligen Zeitpunkt ausgesehen haben, ist anhand der Protokolle nicht verifizierbar.
Der Vorstand befaßte sich in seinen Sitzungen – oft fanden diese in einem Abstand von einer Woche, manchmal in Abständen von 3 Monaten statt – mit allen Dingen, die in irgend einer Form für die Krankenkasse von Bedeutung waren. So wurden Ärzte zugelassen; neue Mitglieder aufgenommen, da sie nach Ortskenntnis gesund waren und kein Risiko darstellten; wurde lange darüber diskutiert, ob Wein ein Arzneimittel sei und wer denn die Lieferung vornehmen dürfte; da wurden die Beiträge und die Leistungen festgesetzt, und vieles mehr.
Die nächsten Hinweise auf die Höhe der Pflegekosten in den örtlichen Krankenhäusern und auf die Arzthonorare sind enthalten in zwei Sitzungsprotokollen aus den Jahren 1919 und 1922.
Im Sitzungsprotokoll vom 7. Dezember 1919 heißt es: „Der Vorstand nimmt Kenntnis davon, daß die Pflegekosten ab 1. November 1919 pro Tag 4.50 Mark kosten im Krankenhaus Kloster Maria-Hilf“.
Und im Sitzungsprotokoll vom 20. Januar 1922 ist festgehalten: „Es wird Kenntnis genommen, daß die Ärzte für das III. Quartal 1921 auf die Pauschale 60 Prozent mehr verlangen, für das IV. Quartal 1921 120 Prozent mehr verlangen. Sowie auch, daß die Krankenhauspflege im Kloster Maria-Hilf sowie im St. Maria-Josef Kloster in Ahrweiler pro Tag mit Reichsmark 25 berechnet wird.“
Mit Einsetzen der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 20 er Jahre und der damit einhergehenden Inflation hafte die Handwerker-Innungskrankenkasse auch ihre Probleme. Drei Niederschriften über Vorstandssitzungen (am 26. August, 23. und 30. September 1923) geben darüber Auskunft , in welch rasantem Tempo die Inflation vonstaften ging und wie sie sich auf die Einkünfte der Versicherten und die von ihnen zu zahlenden Beiträge auswirkte. Offensichtlich ging damals alles so schnell, daß die Vorstandsmitglieder Ausschnifte aus den Tageszeitungen in die Protokollbüchereinklebten, aus denen die zu zahlenden Wochenbeiträge abgelesen werden konnten.
Am 28. Oktober 1923 befaßte sich der Vorstand der IKK sogar mit der Möglichkeit der Auflösung der Kasse, da nur noch 107 Mitglieder verzeichnet wurden und somit die Leistungsfähigkeit der Kasse nicht mehr sichergestellt war. Diese Absicht wurde jedoch offensichtlich nicht weiter verfolgt, denn am 28. November 1923 fand die nächste Vorstandssitzung statt, in der von der Auflösung der Kasse dann schon keine Rede mehr war.
Über die nächsten Jahrzehnte hinweg wuchs die Handwerker-Innungskrankenkasse zu Neuenahr stetig; die Protokollbücher verzeichnen keine Besonderheiten mehr. Die Selbstverwaltung war in diesen Jahren mit all den Problemen befaßt, die auch heute die Selbstverwaltung beschäftigen: nämlich über Beiträge und Leistungen zu beschließen; Ärzte als Kassenärzte zuzulassen; die Pflegesätze mit den Krankenhäusern in Neuenahr und Ahrweiler auszuhandeln; über die Personalkosten (Vergütung für den Rendanten mit Festlegung der Sonderzahlungen für Brand und Licht) zu beraten, und vieles mehr.
Vom 24. September 1923 ab sind die Lohnstufen, Grundlöhne und Beiträge wie folgt festgesetzt:
Lohnstufe | Tagesarbeitsverdienst | Grundlohn | Wochenbeitrag | ||
von | M | bis | M | M | |
1 | bis | 1167000 | 600000 | 273000 | |
2 | 1167000 | 2334000 | 1600000 | 683000 | |
3 | 2334000 | 4668000 | 3000000 | 1365000 | |
4 | 4668000 | 9333000 | 6000000 | 2730000 | |
5 | 933SOOO | 18669000 | 12000000 | 5460000 | |
6 | 18669000 | 23334000 | 18000000 | 8190000 | |
7 | 23334000 | 32667000 | 24000000 | 10500000 | |
S | 32667000 | 37335000 | 30000000 | 13650000 | |
9 | 37335000 | 46668000 | 36000000 | 16380000 | |
10 | 46668000 | 51333000 | 42000000 | 19110000 | |
11 | 51333000 | 60666000 | 48000000 | 21840000 | |
12 | 60666000 | 65334000 | 54000000 | 24570000 | |
13 | 65334000 | und | mehr | 60000000 | 27300000 |
Die Arbeitgeber haben die notwendigen Lohnangaben in der bekannten Weise bis zum 27. Sept. 1923 zu erstatten, andernfalls ist der Kassenvorstand zur eigenen Festsetzung der Beiträge ohne Pflicht zur Rückerstattung berechtigt. Durch die tägliche Entwertung des Geldes, und um die Leistungsfähigkeit der Kasse zu erhalten, werden die Arbeitgeber ersucht, bis zum 5. eines jeden Monats die fälligen Beiträge zu entrichten. Zu empfehlen wären wöchentliche á Konto-Zahlungen. Spätere Eingänge müssen der Geldentwertung halber mit 10 Prozent Zuschlag pro Woche berechnet werden. Beiträge, welche bis zum 20. eines jeden Monats bei der Kasse nicht eingezahlt sind, werden mit 10 Prozent Einziehungsgebühr eingeholt. |
Bewegte Wochen brachte die Inflation im Jahre 1923 bei der Entwicklung der Tagesarbeits-
verdienste und der Wochenbeiträge.
Nach dem Ende des 2.Weltkrieges verfügte General König für die französische Besatzungszone die Auflösung der Innungskrankenkassen; deren Mitglieder wurden der örtlichen AOK zugeführt. Diese „Alliierte Militärverordnung Nr. 39“ wurde zum 1. Januar 1950 wieder aufgehoben; Innungskrankenkassen waren für die Durchführung der Krankenversicherung der im Handwerk Tätigen wieder zugelassen.
Sofort traten die Neuenahrer Handwerker auf den Plan und riefen die „Innungskrankenkasse Neuenahr“ wieder ins Leben, die dann ab dem 1. Januar 1950 wieder für den Amtsbezirk der Gemeinde Neuenahr bestand.
Ab November 1952 betrieben dann die Mitglieder der Selbstverwaltung der IKK Bad Neuenahr die Erweiterung der IKK auf das gesamte Handwerk im Kreis Ahrweiler.Mit Beschluß vom 20. Januar 1953 stimmte das Versicherungsamt Ahrweiler der Erweiterung der IKK Neuenahr auf das gesamte Handwerk im Kreis Ahrweiler zu. Die Beschlußkammer des Oberversicherungsamtes Koblenz hat dann am 27. März 1953 den Beschluß des Versicherungsamtes Ahrweiler für verbindlich erklärt: die „Innungskrankenkasse für den Kreis Ahrweiler in Ahrweiler“ konnte zum 1. Mai 1953 auf Kreisebene ihre Arbeit aufnehmen.
Bei der IKK Ahrweiler sind von 1953 an die nächsten Jahre und Jahrzehnte bis einschließlich heute geprägt von einem stetigen Aufwärtstrend.
Die jahrzehntelange Hauptaufgabe, die Versicherung für den Fall der Krankheit, ist für die IKK Ahrweiler heute zu einer umfassenden Dienstleistung zur Sicherung der Gesundheit geworden. Der Gesundheitsförderung und -Vorbeugung räumtdie IKKdabei einen immergrößeren Stellenwert ein.
Die IKK Ahrweiler hat sich in den 100 Jahren ihres Bestehenszu einem modernen, leistungsstarken und zukunftsorientierten Versicherungsträger entwickelt, der für alle im Handwerk Tätigen der gesetzlich zuständige Krankenversicherungsträger ist.